© Tim Rost

Unternehmenskultur: „Vergebung ist eine starke und befreiende Kraft.“

Ein gutes Arbeitsklima hat viel mit Vergebung zu tun. In seinem Buch „Kraftquelle Tradition. Benediktinische Lebenskunst für heute“ beschreibt Bodo Janssen, wie das Vergeben bei den 850 Mitarbeitern der norddeutschen Hotelkette Upstalsboom Einzug gehalten hat. Wir haben mit ihm dazu gesprochen.

Sie sind ein Vordenker der New Work-Bewegung. Warum sollte das Thema Vergebung im Arbeitsalltag eine Rolle spielen? Was meinen Sie genau damit?

Bodo Janssen: Mir geht es immer darum, einen mitmenschlichen Arbeitsethos in einem wirtschaftlichen Unternehmen zu leben. Und dazu gehört das Vergeben. Ich kann einem Menschen verzeihen, anstatt ihm etwas über Jahre nachzutragen. Im Vergeben steckt eine starke und befreiende Kraft.

Wie hat sich diese Kultur im Unternehmen entwickelt?

Janssen: Ich denke, dass unsere jährlichen Ruanda-Reisen dafür ausschlaggebend waren. 2015 sind wir mit einer Delegation erstmals dort hingefahren, weil wir eine Schule bauen wollten. Wir haben damals das Genocide Memorial besucht und an dieser Gedenkstelle wurde uns bewusst, was für schreckliche Gräueltaten dort geschehen waren. In annähernd 100 Tagen hatten Angehörige der Hutu-Mehrheit etwa 75 Prozent der in Ruanda lebenden Tutsi-Minderheit sowie moderate Hutu, die sich am Völkermord nicht beteiligten oder sich aktiv dagegen einsetzten, getötet. Was uns besonders beeindruckte: die Menschen hatten einander vergeben, um gemeinsam das Land wieder aufzubauen. Das hat uns geprägt. Die Mitarbeiter, zurück in Deutschland, sind ganz anderes mit Streit umgegangen. Sie waren weniger nachtragend. Lappalien, die früher zu Zoff im Unternehmen führten, erübrigten sich. Mit jeder Delegation, die nach Ruanda fährt, kultiviert sich das Versöhnen in unserem Unternehmen ein wenig mehr. Vielen fällt es leichter, Dinge anzusprechen, die nicht gut gelaufen sind. Sie sprechen über ihrer Fehler, vielleicht weil sie denken, dass alles im Vergleich zu dem, was in Ruanda passiert ist, nicht so wichtig ist.

Sie sagten, dass interessanterweise diejenigen Führungskräfte am meisten zu der Fehlerkultur beitragen, die dazu bereit und in der Lage sind, um Vergebung zu bitten?

Janssen: Genau, mich würde ich da als Lernenden einschließen. Ich hatte vor einiger Zeit, einmal entschieden, kein Büro mehr benötigten zu müssen. Stattdessen wollte ich mir bei Bedarf immer einen Schreibtisch im Unternehmen suchen. Das führte allerdings dazu, dass ich immer seltener im Büro auftauchte und stattdessen meine Freiheit immer mehr auskostete. Ich dachte, es läuft auch so. Allerdings führte mein Verhalten zu Konflikten mit meinen engen Mitarbeiten. Eine Kollegin reagierte sogar mit psychosomatischen Beschwerden, weil sie so glaubte, mich nicht mehr erreichen zu können und sich deshalb handlungsunfähig fühlte. Sie konnte irgendwann im wahrsten Sinne ihre Arme nicht mehr bewegen; ihr waren die Hände gebunden. Als mir das klar wurde, dass ich damit zu tun habe, habe ich um Vergebung gebeten, in dem ich zugab, mir mehr Freiheit genommen zu haben, als der Gemeinschaft guttat. Das hat bei meinen Mitarbeitern ganz viel bewirkt. Letztlich haben mir die Mitarbeiter gesagt, wie wichtig es war, dass ich meinen Fehler eingestanden hatte. Sie haben mir dann ein Büro eingerichtet und jetzt gibt es auch feste Besprechungszeiten.

Was hat es mit den Culpa-Sessions auf sich?

Janssen: Das ist auch ein Element, das wir eingeführt haben. Die Culpa-Sessions sind aber keine Abendveranstaltungen, sondern sie können Teil unserer regelmäßiger Besprechungen sein. Es ist ein Angebot. In unseren Hotels arbeiten ja die unterschiedlichsten Menschen miteinander. Jeder hat seine Geschichte, seinen Charakter, seine Ecken und Kanten und klar: es entstehen Konflikte. In den Sessions geht es darum, dass jeder Teilnehmer darüber berichtet, was bei ihm in den letzten Tagen schiefgelaufen ist. Es geht darum, um Entschuldigung zu bitten und Meinungen zu erfragen, wie sie ihr Verhalten entwickeln können, um besser zu werden. Das Vorgehen stärkt die Gemeinschaft ungemein.

Inwieweit hat denn diese Kultur des Vergebens Auswirkungen auf die Arbeitskultur und die Mitarbeiterzufriedenheit?

Janssen: Es ist eine größere Leichtigkeit und innere Sicherheit im Umgang miteinander entstanden. Es gibt mehr Bewegung unter den Mitarbeitern. Die Vergebung nimmt dem Einzelnen und dem Einzelnen in der Gemeinschaft an sich das Gefühl perfekt zu sein. Vielleicht würde ich das Gefühl vergleichen, dass vielleicht ein kleines Kind hat, das den großen Bruder im Rücken weiß. Der große Bruder vermittelt eine Sicherheit. Hier kann nichts passieren, denn Fehler führen nicht dazu, dass mir der Kopf abgerissen wird. Ich traue mir viel mehr zu tun. Es entsteht Vertrauen. Aber ich muss dafür natürlich auch Voraussetzung beim Menschen dafür schaffen. Es muss eine gewissen Offenheit im Unternehmen herrschen. Das heißt ein gewisses Bewusstsein, denn es braucht, Mut in die Tiefen seines Selbst hinabzusteigen und seinem Schatten ins Gesicht zu schauen.

Die Mitarbeiter sind alle achtsam und reflektiert? Das ist doch bei einer größeren Gruppe sehr schwierig, oder?

Janssen: Es wird in Zukunft immer wichtiger werden, der Persönlichkeit des Einzelnen im Unternehmenskontext Raum zu geben und gerecht zu werden. Besonders dann, wenn ich auch in Zukunft noch Menschen als Mitarbeiter für mein Unternehmen gewinnen möchte. Sicher muss sich ein Bewusstsein erst entwickeln. Das braucht Zeit, aber es gibt Krücken. Ich versuche Möglichkeiten zu schaffen, die es meinen Mitarbeitern ermöglichen, zu reflektieren. In der Zentrale steht zum Beispiel ein Mitarbeiter-Feedback-Terminal. Dort kann ich antippen, wie ich mich an diesem Tag fühle und ich werde aufgefordert, ein Kommentar abzugeben, besonders wenn etwas nicht gut läuft. Das fördert die Selbstreflektion. Es erreichen mich auf diese Art natürlich auch viele Beschwerden und ich reagiere darauf und gebe ein Feedback, um dieser Person zu helfen. Aber ich denke, dass ich immer mein Bestes gebe, um Mitarbeiter weiterzuentwickeln.

„Stell Dir vor, Arbeitet bedeutet für Dich, nur das zu tun, was Dich wirklich erfüllt.“

Angespornt vom miserablen Ergebnis einer Mitarbeiterbefragung suchte Bodo Janssen einen Weg, um das Betriebsklima zu verbessern. Antwort darauf und auf die Frage: „Wie sieht die Arbeit aus, die ich wirklich will?“ fand er in der Grundlage des Ordenslebens der Benediktinermönche, der Regel des heiligen Benedikt. Im Rahmen dieser Multimedialen Lesung von seinem neuestem Buch: "Kraftquelle Tradition - Benediktinische Lebenskunst für heute" verdeutlicht er, wie aus dieser Vorstellung Realität wird. Die Lesung findet am 30.10. in München statt - mehr Informationen finden Sie unter diesem Link.

Der Autor: Bodo Janssen erbte 2006 die norddeutsche Hotelkette Upstalsboom, nachdem sin Vater bei einem Flugzeugabsturz starb. Führung bedeutete für ihn damals, sich an Zahlen zu orientieren.

Nach einer Mitarbeiterbefragung 2010 erhielt er deprimierende Bewertungen. Janssen zog sich daraufhin regelmäßig in ein benediktisches Kloster zurück. Auf Grundlage der Lebensregeln des Heiligen Benedikt aus dem 6. Jahrhundert entwickelte er eine eigene Unternehmenskultur.

Über das Buch: In „Kraftquelle Tradition. Benediktinische Lebenskunst für heute“ erzählt Janssen von seinen Klosteraufenthalten und zeigt, wie er das Erlebte auf seine Hotelkette angewendet hat. Im Mittelpunkt steht das Wohlbefinden des Mitarbeiters. Er zeigt auf, wie man als Unternehmer seine Mitarbeiter unterstützten kann, sich selbst zu entfalten und ihre Fähigkeiten zu entdecken.

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