„Vertrauen schafft Schnelligkeit und senkt die Kosten“
Eva Schulte-Austum begleitet Führungskräfte und Unternehmen dabei, durch Vertrauen souveräner und erfolgreicher zu werden. Sie gilt als Deutschlands bekannteste Vertrauensexpertin, ist Gründerin des World Trust Projects und Bestsellerautorin des Buchs „Vertrauen kann jeder“.
Am 7. Dezember spricht Astrid Maier mit Eva Schulte-Austum im NWXnow-Videocast daüber, wie man Vertrauen als Kompetenz in professionellen Kulturen zu verankert. Wir haben sie vorab zum Interview getroffen.
Wie würdest du Vertrauen definieren?
Eva Schulte-Austum: Im Grunde gibt es drei konkrete Merkmale. Vertrauen bedeutet: Ich gebe Kontrolle ab, ich gehe ein Risiko ein und ich gehe davon aus, dass andere es nicht ausnutzen. Wenn Führungskräfte in die Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter vertrauen, dokumentieren und kontrollieren sie nicht, bis der Arzt kommt. Menschen, die ein starkes Vertrauen haben, kennzeichnet deshalb vor allen Dingen die richtige Haltung. Wenn ich zum Beispiel mit Führungskräften essen gehe, beobachte ich, wie sie dem Servicepersonal begegnen. Solche Situationen sagen viel mehr über die Unternehmenskultur aus als die Texte auf ihrer Unternehmenswebsite.
Und warum ist Vertrauen eine Schlüsselfunktion für eine positive Unternehmenskultur?
Eva Schulte-Austum: Ganz plakativ gesprochen: Vertrauen schafft Schnelligkeit und senkt die Kosten. Wo Vertrauen fehlt, werden sich Mitarbeitende eher verstecken und versuchen, Fehler zu vertuschen. Im schlimmsten Fall machen sie nur noch Dienst nach Vorschrift, feiern krank oder verlassen das Unternehmen irgendwann. Deshalb braucht es eine Atmosphäre, in der sich Mitarbeitende trauen, Verantwortung zu übernehmen und Fragen zu stellen.
Denn Vertrauen packt uns bei unserer Ehre. Wo uns Vertrauen entgegengebracht wird, wollen wir es auf keinen Fall enttäuschen. Wir hängen uns richtig rein und versuchen, dieses Vertrauen zu bestätigen. Das ist ein ganz zentraler Tipp, den ich Führungskräften in meinen Trainings immer mitgebe: Ihr könnt nicht erwarten, dass Mitarbeitende von Beginn an alles können. Aber ihr könnt ihnen Stück für Stück ein bisschen mehr zumuten, um sie zu fördern und zu fordern.
Woran kann ich erkennen, ob ich meiner Vorgesetzten oder meinem Vorgesetzten vertrauen kann – und umgekehrt?
Eva Schulte-Austum: Wenn man so will gibt es neun Eigenschaften, anhand derer wir darüber entscheiden, ob wir Menschen vertrauen oder nicht – und die uns selbst auch als vertrauenswürdig erscheinen lassen.
Wir vertrauen Menschen, die verschwiegen sind und Dinge für sich behalten können.
Wir vertrauen Menschen, die ehrlich sind und Situationen nicht dramatisieren oder beschwichtigen.
Wir vertrauen Menschen, die respektvoll mit uns umgehen, unsere Grenzen wahren und uns auf Augenhöhe begegnen.
Wir vertrauen Menschen, die transparent kommunizieren und ihre Entscheidungen nachvollziehbar machen.
Wir vertrauen Menschen, die sich wieder und wieder als zuverlässig erweisen, die ihre Grenzen kennen und nur das versprechen, was sie wirklich leisten können und wollen.
Wir vertrauen Menschen, die aufrichtig und loyal sind, sich also an ihre eigenen Werte halten. Das bedeutet zum Beispiel, dass man sich als Führungskraft hinter die Mitarbeitenden stellt, wenn sie irgendwas vor die Wand fahren.
Wir vertrauen Menschen, die empathisch sind und Einfühlungsvermögen und Verständnis für unser Handeln aufbringen.
Wir vertrauen Menschen, die uns unterstützen und den Sport am Abend sausen lassen, um uns zu helfen, wenn wir gerade viel um die Ohren haben.
Wir vertrauen Menschen, die neutral und vorurteilsfrei handeln und uns einen Vertrauensvorschuss geben, auch wenn sie uns noch nicht gut kennen.
Aus deiner Erfahrung als Vertrauenscoach: Wie ist es denn hierzulande um das berufliche Vertrauensverhältnis bestellt?
Eva Schulte-Austum: Was wahnsinnig spannend ist: Es gibt offenbar tief verwurzelte gesellschaftliche Wertesysteme, die diese Eigenschaften erleichtern oder erschweren. Wenn man sich in deutschen Unternehmen umschaut, stellt man fest: Da ist viel Luft nach oben. Das hat tatsächlich etwas mit unserer kulturellen Herkunft zu tun. Wir sind über viele Generationen hinweg darauf geeicht worden, uns über Leistung zu definieren. Frei nach dem Motto: Mein Haus, mein Auto, mein Boot. Außerdem brauchen wir viel Sicherheit, um uns wohl zu fühlen. In Deutschland noch viel mehr als in anderen Ländern. Momentan leben wir durch den Corona-Ausbruch aber in einer sehr unsicheren Welt. Dadurch befinden wir uns geradezu in einer Vertrauenskrise. Wir versuchen verzweifelt, Kontrolle über unser Leben wiederzuerlangen, was sich natürlich auch auf uns und unser Erleben der Welt auswirkt. Und auf die Art und Weise, wie wir arbeiten und mit unseren Mitmenschen umgehen.
Du hast dich im Rahmen deines Buchs „Vertrauen kann jeder“ auch mit dem Vertrauensverhältnis in anderen Ländern beschäftigt. Was machen andere denn besser als wir?
Eva Schulte-Austum: Wenn wir beispielsweise auf Europa gucken, dann sind die Vertrauenswerte in skandinavischen Ländern wie Schweden, Dänemark und Norwegen sehr viel stärker ausgeprägt. Das liegt daran, dass diese Länder kollektivistisch geprägt sind, das heißt das Wohl der Gemeinschaft ist wichtiger als das des Individuums. Im Joballtag bedeutet das, dass Entscheidungen nicht vom Häuptling mit den meisten Sternen am Revers getroffen werden, sondern ein gemeinschaftlicher Konsens gesucht wird. Das ist deshalb besonders wertvoll für die Motivation im Team, weil möglichst viele Menschen hinter einer Entscheidung stehen.
In Schweden zum Beispiel definieren sich Führungskräfte auch viel weniger über einen Titel, wodurch sie ihren Mitarbeitenden auf Augenhöhe begegnen. Das führt zu einem positiven Regelkreis: Man schenkt sich gegenseitig mehr Vertrauen, die Mitarbeitenden fühlen sich stärker wertgeschätzt und übernehmen dadurch auch gerne mehr Verantwortung. Das Ergebnis: Die Produktivität steigt, Kosten werden gesenkt und die Bindung ans Unternehmen gestärkt.
Das klingt, als müssten deutsche Unternehmen ihre Vertrauenskultur grundlegend überdenken?
Eva Schulte-Austum: So ist es. Und genau das ist mein Job. Wenn das Reisen aufgrund von Corona nicht gerade unmöglich ist, dann bin ich ungefähr 150 Tage im Jahr auf Achse und halte Vorträge und Führungskräftetrainings, um diese Botschaft zu verbreiten. Ich bin allerdings kein Freund davon, den Zeigefinger zu erheben. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wir Menschen dann am meisten bewegen können, wenn wir echte Geschichten erzählen. Wie die Anekdote vom Vorstandsvorsitzenden eines mittelständischen Unternehmens: Während des Lockdowns im Frühjahr, im Zuge der ersten Kurzarbeitswelle, hatte er alle Mitarbeitenden, die sich zu diesem Zeitpunkt in der Probezeit befanden, mit sofortiger Wirkung entfristet. Seine Botschaft: Das Unternehmen predigt Werte wie Respekt, Wertschätzung, Teamgeist und Verantwortung nicht nur, sondern setzt sie auch in die Tat um. In einem Zeitraum von drei Monaten hatte das Unternehmen seinen Umsatz um 34 Prozent gesteigert – bei gleichbleibender Personaldecke und ohne Krankmeldungen.
Hast du einen konkreten Tipp, wie sich Vertrauen gewinnen lässt?
Eva Schulte-Austum: Vertrauen entsteht natürlich durch die Summe aller genannten Faktoren. Aber einer der effektivsten ist aus meiner Sicht die Begegnung auf Augenhöhe. Egal wen ihr vor euch habt: Nehmt euer Gegenüber ernst und verhaltet euch einem Praktikanten oder einer Reinigungskraft gegenüber genauso respektvoll wie eurer direkten Kollegin. Respekt ist nicht an eine Position oder eine Hierarchiestufe geknüpft. Respekt sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Wenn jemand Hilfe braucht, geht hin und fragt, was ihr tun könnt. Mit dieser Form der Wertschätzung erarbeitet ihr euch einen großen Vertrauensvorsprung.
Über die NWXnow
„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Das alte Sprichwort, das perfekt in die streng geordnete Organisation des Industrie-Zeitalters passte, wird angesichts von Home-Office und unsicherer Zukunft plötzlich sinnlos. Denn an die Stelle von Kontrolle muss in unserer neuen Realität Vertrauen treten. Wie aber sieht bedachtes Vertrauen aus, und wie wird es Teil der Unternehmenskultur?
Mehr von Eva Schulte-Austum und zum Thema Vertrauen gibt es am 7. Dezember im NWXnow Videocast.
Wir präsentieren analog zur NEW WORK EXPERIENCE die neue digitale Formatreihe NWXnow. Wir möchten weiterhin ein Forum für die Diskussion zur Zukunft der Arbeit bieten. Denn wir sind davon überzeugt: Es geht mehr denn je um die Frage, wie wir die Weichen für eine zukünftige Arbeitswelt stellen, in der wir arbeiten wollen. Um Klarheit und Orientierung zu schaffen, sprechen wir dazu regelmäßig mit unterschiedlichsten Experten, Vordenkern und Praktikern.
Die NWXnow beinhaltet Videocasts, bei denen Fachleute aus Gesellschaft, Wirtschaft und Politik über den Wandel der Arbeitswelt sprechen, spannende Artikel, Hintergrundinformationen, Interviews, Online-Workshops und Webinare, spannende Artikel und vieles mehr. Die zentrale Fragestellung: Was kommt, was bleibt und was verändert sich?
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