Virtualisierungsprojekte planen (1)
Es sollte gelebte Praxis sein, ein Virtualisierungsprojekt immer mit einer Planungsphase zu beginnen. Dabei werden die Anforderungen gesammelt und nach möglichen Lösungen Ausschau gehalten. Wir zeigen, welche Daten und Anforderungen in Sachen Hypervisor, VMs, Hardware und Backup notwendig dafür sind. Hier spielen technische Gegebenheiten ebenso eine Rolle wie organisatorische. Im ersten Teil geht es darum, wie Sie zuerst einmal Ihre Anforderungen bestimmen und auf was Sie bei der passenden Hardware achten sollten.
Stehen Sie vor der Einführung der Virtualisierung oder vor der Aufgabe, eine bestehende Installation zu erweitern beziehungsweise zu erneuern, bietet sich am Markt eine unglaublich hohe Anzahl an Lösungen. Sie sollten zu Beginn des Projekts alle Spezialitäten dieser Lösungen zunächst ignorieren und sich darauf konzentrieren, was Sie selbst in Ihrer Umgebung benötigen und welche Probleme und Engpässe Sie aktuell haben. Erst im zweiten Schritt sollten Sie eine genauere Auswahl der zukünftigen Werkzeuge andenken, sonst laufen Sie Gefahr, Ihre Anforderungen auf die gewünschte Lösung zurecht zu biegen.
Die richtigen Fragen stellen
Setzen Sie sich hierzu einmal in Ruhe mit allen Beteiligten zusammen und definieren Sie die Anforderungen an ein solches System. Hier sollten Sie die Wünsche und technischen Bedingungen aufführen, allerdings ergibt es hier auch Sinn, aktuelle Probleme oder Engpässe aufzunehmen und auszuarbeiten. Je deutlicher und ausführlicher Ihre Anforderungen sind, desto besser können Sie später auf die Suche nach einer Lösung gehen. Es ist klar, dass an dieser Stelle häufig die Kluft zwischen Anforderungen (Wunsch) und Realität (Budget) sehr groß sein kann und sich alle Anforderungen entweder nicht oder nur mit einem enorm großen Budget realisieren lassen. Bleiben Sie also realistisch.
Unsere grundlegende Empfehlung, ein Problem genau anzuschauen und dafür eine passende Lösung zu suchen, mag vielleicht banal und einfach klingen, wird aber leider immer wieder ignoriert, vor allem vom Marketing diverser Anbieter. Hier wird häufig ein Werkzeug als "die Lösung" vorgestellt.
Ein Beispiel, das wir seit einigen Jahren immer wieder gerne aufzeigen, ist "die Cloud". Als Schlagwort schon seit Jahren vollkommen überstrapaziert, wird "die Cloud" immer gerne als "die Lösung" verkauft: "Ich brauche mehr Performance" – "Buch dir doch mal eben Ressourcen in der Cloud", "Meine lokalen Ressourcen sind aufgebraucht" – "Verschieb doch mal eben einen Teil der Ressourcen in die Cloud" oder "Wir brauchen einen weiteren Mitarbeiter" – "Lass doch eine KI in der Cloud für dich arbeiten."
Natürlich kann die Auslagerung von Diensten zu einem Anbieter, der sich auf diese Art von Lösung spezialisiert hat, sinnvoll sein. Leider wird aber häufig "die eine Lösung" genommen und auf sämtliche Probleme geworfen, die im IT-Alltag auftreten. Ganz so einfach ist es leider dann doch nicht und meist auch nicht ganz so günstig. Gehen Sie daher den anderen Weg und beginnen Sie mit Ihren Problemen, Anforderungen und Wünschen an die neue Infrastruktur.
Ein weiterer Tipp, den wir Ihnen an dieser Stelle mit auf den Weg geben: Dokumentieren Sie Ihre Ergebnisse. Wir erleben es in der Praxis immer wieder, dass in einem Workshop vorab die unterschiedlichen Möglichkeiten diskutiert und besprochen wurden. Im Laufe eines solchen Workshops kommen die IT-Verantwortlichen dann aber häufig an Stellen, bei denen sie feststellen, dass eine im Vorfeld angedachte Lösung nicht funktioniert. Dies kann eine technische Begrenzung sein, ein Budgetproblem oder eine Einschränkung bei vorhandener Hardware. Wird nun genau dokumentiert, warum diese Lösung nicht in Frage kommt, lässt sich später wieder auf den Workshop und die erkannten Probleme verweisen. Teilweise stoßen auch nachträglich andere Personen zum Projekt und haben ähnliche oder gleiche Lösungsansätze. Um dann nicht erneut ausgiebig erklären zu müssen, warum dies nicht möglich ist, sind die Ergebnisse der ersten Planungsrunde wichtig. Dokumentieren Sie also, denn so verfügen Sie direkt über ein kurzes Planungsdokument mit Möglichkeiten und Einschränkungen.
Die richtigen Zahlen kennen
Bei der Definition von Anforderungen hilft es ungemein, wenn Sie aktuelle Zahlen beisteuern können. Gerade im Bereich der Virtualisierung gibt es einiges, was sich in nackten Zahlen ausdrücken lässt:
Aktuelle Anzahl virtueller Server
Anzahl der physischen Server, die in Zukunft virtualisiert werden sollen
Zukünftig vorgesehene VMs, die bisher noch nicht vorhanden sind
Aktuell benötigter Speicherplatz aller Systeme und deren zukünftig erwartete Wachstumsrate
Aktuell im Betreib befindliche Hardware-Hypervisoren und deren zukünftige Anzahl
Aktuell genutzte Bandbreite im Netzwerk, IOPS im Storage und sonstige Ressourcennutzung der virtuellen Infrastruktur
Aktueller Bedarf an Arbeitsspeicher für alle VMs
Dies sind nur einige der Fragen, die Sie sich stellen sollten. Wenn Sie auf einen Teil oder sogar alle Fragen aktuell keine Antworten haben, ist dies kein Beinbruch. Während der Projektphase sollte genug Zeit sein, um diese Zahlen und Fakten zu sammeln.
VMs, Performance und Wachstum ermitteln
Schauen Sie sich an, wie hoch der Anteil an virtualisierten Systemen in Ihrer Umgebung ist. Die meisten Firmen haben einen Wert zwischen 60 und 95 Prozent, eher selten finden sich heute noch kleinere Werte. Von den vorhandenen Systemen sollten Sie sich einen Überblick verschaffen und herausfinden, wie diese Maschinen aktuell betrieben werden. Im besten Fall haben Sie bereits ein Monitoringsystem im Einsatz, das Ihnen diese Zahlen direkt liefert. Ist dies nicht der Fall, erfahren Sie im Artikel "Monitoring, Backup und Recovery" ab Seite 24, wie Sie solch ein System aufsetzen und dauerhaft betreiben.
Haben Sie kein Monitoring im Einsatz, können Sie diese Daten trotzdem recht schnell herausfinden. Wir empfehlen zur Ermittlung dieser Daten ist das "Assessment and Planning Toolkit" (MAP-Toolkit) [www.microsoft.com/en-us/download/details.aspx?id=7826] von Microsoft. Mit Hilfe dieser kostenfreien Software können Sie innerhalb von wenigen Tagen herausfinden, wie es in Ihrer IT-Landschaft aussieht. Sie installieren das Programm in einer VM oder physisch (wir bevorzugen eine VM, da sich das Programm so ganz einfach wieder entsorgen lässt). Nach der Installation müssen Sie Domänen-Credentials angeben, danach scannt das System einen definierten Bereich und sammelt von allen Systemen, die gefunden werden, Performancedaten.
Das Programm ist nicht nur für die Virtualisierung geeignet, sondern beispielsweise auch für SQL- oder Exchange-Server. Sie können die gewünschte Dauer der Messung angeben, danach erhalten Sie eine Übersicht über die Systeme inklusive der aktuell vergebenen und genutzten Ressourcen.
Achten Sie bei der Messung darauf, dass Sie einen realistischen Zeitraum für die Inventarisierung wählen. Eine Messung zwischen 20 und 23 Uhr ist wenig aussagekräftig, wenn Ihre Kollegen zwischen 6 und 17 Uhr arbeiten. Wir empfehlen an dieser Stelle einen Zeitraum von einer (Arbeits-)Woche. Dies zeigt auch mögliche Spitzen an Tagen mit voller Besetzung im Kollegium.
Ein weiteres Tool, das sich sehr gut für diese Art von Aufgabe eignet, ist "Veeam ONE" [www.veeam.com/de/virtualization-management-one-solution.html] von Veeam Software. Das auf VMware und Hyper-V spezialisierte Programm kann eine bestehende Infrastruktur auslesen und auswerten. Hierzu wird ebenfalls eine VM oder ein physisches System benötigt, auf dem Sie die Software installieren. Sie bekommen eine leicht eingeschränkte Version der Software kostenlos, diese ist aber in vielen Fällen völlig ausreichen für die Projektphase. Eine der Einschränkungen der freien Version ist beispielsweise die Dauer der Datenspeicherung. Diese erstreckt sich (je nach Sensorwert) zwischen 24 Stunden und sieben Tagen.
Einmal installiert, lassen sich die aktuell genutzten Hypervisoren agentenlos ansprechen, danach beginnt die Protokollierung der Daten. Sie erhalten in kurzer Zeit eine Menge Informationen über Ihre Umgebung, die zudem grafisch sehr gut aufbereitet werden. Veeam ONE zeigt Ihnen sehr schnell die genutzte Bandbreite im Netzwerk, die Performancewerte aller VMs sowie des Hypervisors, die Bandbreite und Latenz zum Storage, die anliegenden IOPS-Werte und vieles mehr. Wir können die Software nur empfehlen, da sie innerhalb kurzer Zeit viel Licht ins Dunkel bringt und Ihnen so viele Daten aufbereitet, wie es manuell niemals in so kurzer Zeit möglich wäre. Viele Unternehmen, die diese Software während der Projektphase eingesetzt haben, haben unserer Erfahrung nach auch danach noch weiter Daten sammeln lassen, um sich einen Überblick zu verschaffen.
Investieren Sie in die kostenpflichtige Version der Software, können Sie hier sogar über Monate oder Jahre hinweg Ihren Datenwachstum beobachten und ein Ende der Speicherkapazität berechnen lassen. Ein weiterer Vorteil der Software ist, dass der Hersteller selbst mehr als 300 Reporte eingebaut hat, mit denen Sie Informationen filtern und anzeigen können: Die Top-VMs in Ihrer Landschaft, die VMs mit dem größten Unterschied zwischen angelegter und abgefragter Leistung, die Cluster-Auslastung, alle VMs mit Snapshots älter als X Tage und noch viel mehr. Eine Überbuchung der Cluster-Ressourcen wird hier zum Beispiel sehr schnell sichtbar und Sie bekommen direkt eine Warnung. So können Sie zeitnah handeln und die Ressourcen in Ihrem Cluster wieder so zuteilen, dass eine geplante Wartung oder der Ausfall von einem System oder einer Site problemlos abgefangen werden kann. Besitzen Sie eine Lizenz, könnten Sie zum Beispiel die Wachstumsrate auf Ihrem Storage-System ausgeben lassen und so den Bedarf an einer Erweiterung oder einem neuen System untermauern.
Augen auf beim Hardwarekauf
Werden im Zuge des Projekts neue Server angeschafft, sollten Sie sich hier ebenfalls einige Gedanken machen. Dank der gesammelten Daten über die bereits angesprochenen Programme haben Sie einen ungefähren Richtwert, was Ihre aktuellen Systeme an Leistung bieten. Diesen Wert müssen Sie mit dem Faktor multiplizieren, der das Wachstum und die steigenden Anforderungen in den nächsten Jahren beinhaltet.
Hierbei spielt es auch eine Rolle, wie lange Sie die Server betreiben möchten. Häufig werden Server auf fünf Jahre geplant und bestellt. An dieser Stelle lautet unser Tipp, die Server immer mit einem Jahr mehr Wartung als die geplante Laufzeit zu ordern. Dies hat mehrere Gründe: Zum einen werden Migrationsprojekte selten genau passend beendet und dauern meist länger als die geplanten fünf Jahre. Dies führt dazu, dass Ihre Server im schlimmsten Fall während der Migrationsphase einen Defekt bekommen oder es anderweitig zu einem Supportfall kommen kann. Sind die Systeme noch in einer aktiven Wartung, ist dies deutlich entspannter, als wenn der Hersteller den Support entweder nur gegen den Einwurf von Münzen oder sogar gar nicht mehr anbietet. Weiterhin ist der direkte Kauf von sechs Jahren meist deutlich günstiger als die Verlängerung nach fünf Jahren.
Achten Sie beim Kauf von Hardware darauf, dass alle Systeme identisch ausgestattet sind. Der Aufbau einer hochverfügbaren Plattform ist mit gleicher Hardware deutlich einfacher. Dies beginnt damit, dass Sie die virtuellen Server nicht im Kompatibilitätsmodus betreiben müssen, bei dem Sie technische Funktionen bewusst entfernen und somit das System in seiner Leistung beschneiden. Weiterhin gestaltet sich die Wartung und Pflege der Systeme unkomplizierter bei einem Modell einer Baureihe als bei unterschiedlichen Systemen, die eventuell sogar noch von unterschiedlichen Herstellern sind. Haben Sie nur ein Modell im Einsatz, können Sie dies bei vielen Herstellern auch über eine Managementsoftware verwalten.
Ein Beispiel ist hier die Openmanage-Suite der Firma Dell EMC. Hier können Sie all Ihre Hardware-Hypervisoren aufnehmen und inventarisieren. Durch den Abgleich der Systeme mit einer Katalogdatei, die alle Updates und Versionen der Firmware/BIOS-Updates enthält, sehen Sie direkt auf einen Blick, ob es eine neue Firmware gibt. Sie können die Installation entweder manuell durchführen oder auch einen Durchlauf in der Nacht planen, bei dem die Systeme nach und nach geupdatet werden. Durch die Erstellung einer Baseline können Sie alle Systeme definieren. Durch diese Definition stellen Sie sicher, dass sich die Server in dem von Ihnen gewünschten Zustand befinden.
Gerade bei VMware-Systemen ist dies sehr sinnvoll, da VMware eine recht strikte Vorgabe hat, mit welcher Firmware die Komponenten getestet und freigegeben sind. Bringt der Hersteller ein neues BIOS heraus, das von der Firma VMware noch nicht offiziell unterstützt wird, wird dies so lange nicht eingespielt, bis Sie es als Administrator in der Baseline Ihrer Server erlauben.
Im zweiten Teil des Workshops skizzieren wir, wie Sie Cluster-Server sowie Einzelsysteme planen und den Hypervisor festlegen oder wechseln. Im dritten Teil und letzten Teil erklären wir, warum ein wirkungsvolles Backupkonzept auch bei Virtualisierung so wichtig ist.
Autor: Jan Kappen