Dr. Bernd Slaghuis

Dr. Bernd Slaghuis

für Job & Karriere, berufliche Neurorientierung, Bewerbung

Einmal berufliche Neuorientierung, bitte!

Bild: gratisography.com
Berufliche Neuorientierung: Alte Hasen auf der Suche nach Berufung.

Vom Top-Manager zum Surflehrer in der Südsee. Einfach mal was Neues machen. Ist das überhaupt realistisch? Wie die berufliche Neuorientierung (nicht) gelingen kann ...

Selbstverwirklichung im Beruf trendet. Hoch ist die Wechselbereitschaft der Deutschen. Kein Wunder, denn die Identifikation mit dem eigenen Arbeitgeber sinkt laut Studien jedes Jahr weiter. Warum es also jetzt nicht auch einmal versuchen, selbst eine größere Kehrtwende im Beruf zu schaffen und endlich die eigene Berufung zu finden?

Bunte Beispiele für erfolgreiche Neuorientierungen gibt es da draußen reichlich: Der frühere Art Director einer Agentur, der jetzt Hochzeiten plant. Der Jurist, der nun Schuhe maßfertigt. Oder der TV-Moderator Tobias Schlegl, der letztes Jahr prominent zum Rettungssanitäter umsattelte.

Tschakka, DU kannst das auch!

Glauben wir den Glücks-Gurus, die von ihren großen Bühnen den chronisch Job Frustrierten Mut machende Parolen zurufen wie„Folge deiner Berufung! Tue, was du liebst, und du wirst glücklich! Alles ist möglich, du musst es nur selbst richtig wollen!“, dann scheint das alles ganz einfach mit der Neuorientierung zu sein.

Ich bin mir sicher,  für viele ihrer Anhänger eine für den kurzen Moment motivierende Welt voller Energie und schier unendlicher Möglichkeiten, doch am Ende zahlt das alles mehr auf die eigene Berufung und das Konto der Heil Versprechenden ein, als dass es den Weg zur nachhaltigen Veränderung ebnet.

Manchmal habe ich den Eindruck, die bequeme Konsumentenhaltung unserer modernen Wegwerfgesellschaft ist längst auch im Berufsleben angekommen. Wem es zu anstrengend oder unbequem wird in seinem Job, der sucht sich lieber flott was Neues, als sich ernsthaft mit den Hintergründen für die eigene Unzufriedenheit sowie den echten eigenen Bedürfnissen und Zielen zu beschäftigen. Was sind schon zwanzig Jahre Berufserfahrung und tiefes Expertenwissen wert, wenn jetzt endlich die Berufung winkt - und das auch noch so einfach ist?

Dabei ist eigentlich allen Angestellten klar, dass sie den Job nicht wie ihre Unterhose tauschen können. Doch spätestens je näher der 50. Geburtstag rückt, desto größer wird die Torschlusspanik, die letzte Chance zu verpassen, doch noch ein wenig mehr von Glück, Erfüllung, Freude oder Sinn im Beruf verspüren zu dürfen.

Eine Bewerbung als Quereinsteiger ist kein Zuckerschlecken

Wer sich mit einem Jobwechsel beschäftigt, weiß aus dem Kollegen- und Freundeskreis, wie lange Bewerber heute mitunter suchen, bis sie sogar als Experten in ihrer Branche einen neuen Arbeitgeber gefunden haben. Wie soll das bei einer Neuorientierung und somit dem Quereinstieg als Branchenfremder funktionieren?

Ja, so vielfältig die Möglichkeiten für neue Karrierewege in unserer Arbeitswelt heute sind, so schmaler erscheint mir gleichzeitig auch der Spalt in der Tür potenzieller neuer Arbeitgeber geworden zu sein, als Neuorientierer mit nicht-linearem Lebenslauf einen Fuß dort hinein zu bekommen.

Auch wenn die Karriere-Webseiten Deutschlands Top-Arbeitgeber verkünden, Quereinsteiger, frisches Denken und Diversity seien höchst willkommen, gewinnt doch zu oft der Kandidat das Rennen, dessen Profil für HR leicht verständlich ist und einfach logisch zur offenen Stelle passt.

Eine echte Hürde für alle Neuorientierer, die sich entweder nur durch eine exzellente Bewerbungsstrategie nehmen lässt, noch besser jedoch über andere Wege außerhalb des klassischen Bewerbungsprozesses, etwa persönliche Kontakte oder Empfehlungen, überwindbar ist.

Die Alternative, der Schritt in die Selbständigkeit, kommt nur für sehr wenige Neuorientierer in Betracht, die ich im Coaching kennenlerne. Je länger sie angestellt waren, umso unwahrscheinlicher – es sei denn, das Konto ist gut gefüllt und der neue Beruf ist mehr Hobby als Existenz. Vielen fehlt die zündende Idee für das eigene Business und die finanziellen Risiken erscheinen mit zunehmendem Alter, Lebensstandard und Verpflichtungen zu hoch. Hinzu kommen der Respekt vor der plötzlich maximalen Eigenverantwortung sowie die Angst vorm Scheitern und dem Gesichtsverlust.

Neuorientierung ist ein intensiver Prozess

Es tut mir leid, wenn ich jetzt das schöne Luftschlösschen von der beruflichen Neuorientierung so schonungslos zunichte gemacht habe. Eine berufliche Neuorientierung lässt sich weder bei Amazon in den Einkaufswagen legen, noch zücke ich als Coach das Silbertablett und präsentiere Ihnen den neuen Traumjob beim Wunsch-Arbeitgeber um die Ecke, der immer schon auf Sie gewartet hat.

Doch ich wäre ein schlechter Coach, es so stehen zu lassen. Berufliche Veränderungen sind möglich, wenn auch aus meiner Erfahrung in bestimmten Grenzen und manchmal nur über einen längeren Zeitraum der Vorbereitung.

Zum Glück haben wir heute mehr denn je die Möglichkeiten und auch die Freiheiten, bewusst und gezielt etwas im Beruf (und auch im Leben) zu verändern. Frei einen Weg einzuschlagen, von dem wir glauben, dass er uns in Zukunft gut tut, zur momentanen Lebenssituation passt und uns stärker zu dem hinführen wird, was uns als Ziel für die Zukunft besonders wichtig ist.

Und zwar unabhängig davon, ob Arbeit suchend, angestellt, selbständig, Führungskraft oder Top-Manager: wir alle sind der Chef und damit Gestalter des eigenen Lebens. Manche mögen über bessere Voraussetzungen für Veränderungen im Beruf verfügen als andere, doch Möglichkeiten besitzen wir alle. Davon bin ich überzeugt - und klinge jetzt hoffentlich nicht auch wie einer dieser Tschakka-alles-ist-möglich-Gurus.

Neu-Orientierung ist ein Prozess. Es bedarf einem sich Umschauen, nach vorne, zur Seite und auch mal nach hinten. Hinschauen, was im eigenen Umfeld geschieht. Neugierig sein, Trends schnüffeln und Entwicklungen beobachten. In der eigenen Branche und auch global. Netzwerken, interessanten Menschen zuhören und Impulse aufnehmen, wirken lassen und beobachten, wo sie hinführen. Das Unterbewusste wahrnehmen. Ratio und Emotio. Offen sein und echtes Interesse entwickeln für Neues. Flexibilität und das Verlassen der eigenen Komfortzone trainieren. Entscheidungen treffen, etwas ausprobieren und bewusst bewerten, was geschieht und ob es in die richtige Richtung führt.

Erfolgreiche Neuorientierer verfügen über echte Klarheit im Innen und Außen sowie die passende Haltung zu Arbeit und Leben.

Klarheit über die eigenen Stärken, Talente, Werte und Ziele, über echte Motive und auch hinderlichen Ängste und Sorgen.

Klarheit über die Ziel-Position und die Aufgaben, die Ihren Werten wieder mehr gerecht werden, das passende Arbeitsumfeld, die Kultur in einem Unternehmen und die Menschen, die um Sie herum sein werden, Sie auf Ihrem Weg begleiten, führen und unterstützen.

Klarheit über den Weg dorthin, zumindest über die ersten Schritte, die Sie gehen können - und auch gehen möchten. Klarheit über das, was Sie hierfür vielleicht auch noch benötigen und tun können. Klarheit, wer Sie hierbei begleiten, unterstützen und motivieren kann.

Neues darf auch Angst machen, Zeit beanspruchen und anstrengend sein. Veränderung darf genauso auch leicht sein und schnell gehen. Sie dürfen Fehler machen und Erfolge feiern. Sie dürfen Ihren Weg unterwegs anpassen, Stufen überspringen, innehalten und auch ein Stück zurück gehen.

Wer mit offenen Augen so durch die Welt geht, neugierig ist, Chancen entdeckt statt ausschließlich Gefahren abwehrt, in Lösungen statt in Problemen denkt, flexibel auf Neues reagieren kann und gleichzeitig das Alte zu schätzen weiß, der hat heute und in Zukunft unfassbar viele Optionen für positive Veränderungen.

Und manchmal ist es vielleicht auch gerade gut und alles darf so bleiben, wie es ist.

Wer schreibt hier?

Dr. Bernd Slaghuis
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Karriere- und Business-Coach, Dr. Bernd Slaghuis

für Job & Karriere, berufliche Neurorientierung, Bewerbung

Karriere ist heute mehr als nur "höher, schneller, weiter". Seit 2011 habe ich über 1.800 Angestellte bei ihrem nächsten Schritt im Beruf begleitet. Von der Neuorientierung und Bewerbung bis zum Onboarding. Meine Erfahrungen teile ich hier als XING Insider, auf meinem Blog und als SPIEGEL-Kolumnist.
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