Früher war alles besser! WANN? Experten sind nie Erneuerer
Neu = nicht wissen.
Experte = wissen.
Neu = unsicher.
Experte = sicher.
Neu = absurd.
Experte = klar.
Stillstand durch Kompetenz
„Unternehmen werden weniger innovativ, wenn sie kompetenter werden“, sagt Knut Haanaes, Senior Partner bei The Boston Consulting Group. Unfassbar! Warum verlieren Unternehmen ihre Innovationskraft mit wachsender Kompetenz? Warum werden kompetente Experten weniger innovativ? Wachsendes Wissen sollte zu einer Innovationsflut führen! Ist Wissen keine Basis, um immer mehr zu ergründen und zu hinterfragen? Warum bleiben erfolgreiche Experten stehen? Eine bahnbrechende Erkenntnis, eine neue Entdeckung macht einen Menschen zum Experten. Nach Jahren der Forschung und harten Arbeit ist diese Person gefragt. Die Expertise zahlt sich endlich aus, es gibt Honorare, Auszeichnungen und Ehrendoktorwürden. In der Folge sind alle Vorträge zu DEM Thema der Expertise. Wer einen Experten einlädt, will keine Überraschung erleben. Es wäre eine Katastrophe, würde der Stargast unerwartet das Gegenteil behaupten. Bloß nicht. Gibt es Schwachpunkte in der Ideologie des Experten? Nein, der Erfolg ist der beste Beweis, dass alles richtig ist. Wer im Experten-Olymp angekommen ist, genießt den Erfolg. Es läuft. Erfolg macht blind für andere Meinungen. Kommt Widerspruch, dann werden Querdenker abgetan als einsame Rufer in der Wüste und Neider, die es aus eigener Kraft nicht geschafft haben. Recht zu haben, ist Teil der Inszenierung von vielzitierten Experten. Wer bereits Experte ist und Recht hat, stellt keine neugierigen Fragen und muss daher zwangsläufig stehen bleiben. Es war hart genug, sich mit der Expertise im Markt durchzusetzen. Experten sind Gefangene ihrer Expertise. Wer einmal angekommen ist, der lehnt Wandel ab, statt sein Wissen permanent zu erneuern.
Sicher, dass ich recht habe
Auch ich rücke seit Erscheinen meines Buches Mythos Fachkräftemangel 2014 nicht von der Position ab, dass Fachkräftemangel ein hausgemachtes Problem der Unternehmen und Branchenverbände ist. Wenn ein Unternehmen einen individuellen Fachkräftemangel beklagt, findet man häufig Primär-Mängel: Laaaaaaaaangweilige Stellenanzeigen. Mangel an Bekanntheit und Sichtbarkeit im Bewerbermarkt. Eine mangelhafte Willkommenskultur gegenüber Bewerbern. Keine Kenntnis über die 1.001 neuen Wege in der Personalgewinnung. Dazu ein eklatanter Fragenmangel. Gepaart mit hohen Ansprüchen wie zehn Jahre Berufserfahrung - natürlich ohne die eigene Bereitschaft, auszubilden. Fehlende Offenheit für Studienabbrecher als Azubis und eine ausgeprägte Altersdiskriminierung, die bei Mitte 40jährigen beginnt. Als Sahnehäubchen ein Mangel an Wertschätzung gegenüber den eigenen Mitarbeitern. All diese Mängel führen in der Folge zum Mangel an Fachkräften. Ich habe sieben Jahre lang für mein Buch recherchiert und bin mir sicher, dass ich recht habe. Warum sollte ich meine Meinung ändern? Ich hoffe, Sie spüren mein eigenes Schmunzeln! Meine Kritik an Experten ist selbstkritisch.
Kompetenter Experte offen?
Experten eilt der Ruf voraus, welche Meinung sie vertreten. Verträte ein Experte plötzlich eine andere Meinung, wäre er nicht mehr der Experte. Also bleiben Experten bei ihrer Meinung. Im Idealfall arbeiten Experten (A) mit Kreativen (O) zusammen. Das klappt aber nur, wenn der kompetente Experte offen bleibt und kritische Fragen zulässt. Wie viele Experten kennen Sie, die bei kritischen Fragen souverän bleiben und sich darauf einlassen? Wie viele Experten kennen Sie, die pauschal Recht haben müssen? Expertise basiert auf Daten, Mustern und Modellen von gestern und vorgestern. Wenn Experten ihr Modell zu wichtig nehmen, dann halten sie es für die Wahrheit. Nur wenige Experten schaffen es, Abstand zu ihrem eigenen Werk zu wahren, und offen zu bleiben für andere Modelle. Experten haben viel zu verlieren, ihren Ruf, gute Posten und lukrative Aufträge. Das ist existenziell. Ein Experte ist eine bekannte Marke. Das setzt keiner aufs Spiel.
Freundschaftsdienst im Dienst
Maria Krautzberger, Präsidentin des Umweltbundesamts, tweetete: „Wir brauchen eine Stadt, in der wir das Auto nicht mehr brauchen.“ In Berlin wächst der Anteil von Fahrradfahrern schneller als der von Autofahrern. Aber nicht Maria Krautzberger trifft regelmäßig die Bundeskanzlerin, sondern Matthias Wissmann, der von 1993 bis 1998 Bundesminister für Verkehr war und seit 2007 der Präsident des Verbandes der Automobilindustrie ist. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Wissmann ist Experte für Verkehr, sein Rat wird in der Regierung gebraucht. Auch Sie fragen Ihre Freunde, wenn Sie guten Rat brauchen. Warum sollten Politiker nicht Freunde fragen, wenn sie Expertenwissen brauchen? Da weiß man, was man hat. Wer seinen Freundeskreis aufgebaut hat, bleibt in dieser Gruppe. Soweit so gut – wenn nicht früher oder später eine Hand die andere waschen müsste. Zu blöd. Ein schmaler Grat. Und Hand aufs Herz: Verzichten sie bewusst auf den Rat eines Freundes, wenn es einen Interessenskonflikt geben könnte? Haben Sie noch nie einen Freundschaftsdienst im Dienst getan? Fast jeder kommt mal in Grauzonen. Aber wo ist die Grenze? Wer war wem noch einen Gefallen schuldig, wenn Parteifreunde lukrative Aufträge und Posten bekommen? Freundschaft und Nachbarschaftshilfe sind wichtige Werte. Oder? Na also! Auf Freunde kann man sich verlassen. Der ist loyal und hat sich bewährt. Netzwerke, Old Boys‘ Clubs und Vetternwirtschaft - man kennt sich, man hilft sich.
1.055.229 Mitarbeiter OHNE Management
Ob Politik, Unternehmen oder karitative Organisationen, alle Etablierten verbindet die Wahrung der eigenen Interessen und Privilegien. Die Diakonie und die Caritas betreiben in Deutschland 54.341 Einrichtungen mit 1.055.229 Mitarbeitern. Können Sie sich 1.055.229 Mitarbeiter OHNE Management vorstellen? In der Pflege wird besonders laut über Fachkräftemangel geklagt. Schaut man genauer hin erkennt man einen unmenschlichen Zeitdruck. Der niederländische Pflege-Anbieter Buurtzorg zeigt, wie man Pflege kostengünstiger und zugleich besser machen kann. Was 2007 mit einem Menschen begann, hat den Pflegemarkt in den Niederlanden umgepflügt. Über 10.000 Mitarbeiter haben sich der neuen Idee angeschlossen und erwirtschaften 200 Millionen Euro Umsatz. OHNE Management, kein Wasserkopf. 50 Angestellte arbeiten in der Verwaltung. Alle anderen Mitarbeiter sind Pflegekräfte, die sich selbst organisieren. Sie teilen ihre Zeit selber ein. Sie entscheiden selbst, welcher Patient spontan mehr Zeit und Aufmerksamkeit braucht. Mit Buurtzorg haben Pflegekräfte bessere Arbeitsbedingungen, das merken auch die Gepflegten. Sie werden messbar schneller gesund. Das Buurtzorg-System verursacht 35 Prozent weniger Kosten im Branchenvergleich. Der Gewinn wird in Innovation reinvestiert. Alle Beteiligten sind glücklich. Eine krasse Prozess-Innovation mit außergewöhnlichen Ergebnissen. Stellen Sie sich mal das gesamte Gesundheitswesen ohne Management vor. Angeblich gibt es zu wenige Ärzte. Würden Ärzte von den Bürden der Bürokratie entlastet, hätten sie über 50 Prozent freie Zeit. Es mangelt nicht an Ärzten, sondern an einer tiefgreifenden Prozess-Innovation. Was wäre, wenn die Buurtzorg-Prozess-Innovation auf die gesamte Wohlfahrts- und Gesundheitsbranche übertragen werden würde?
Veto des Alten
„In den meisten Großunternehmen muss sich jemand, dem ein radikal neues Geschäftsmodell vorschwebt, an die Verteidiger des alten Geschäftsmodells wenden, um Mittel zu erhalten. Folglich hat allzu häufig derjenige das Vetorecht über die neue Sache, der die alte Sache lenkt“, schreibt Gary Hamel in 'Das revolutionäre Unternehmen'. Die Entscheider an den Schalthebeln haben sich bewährt und hochgearbeitet. Kommt etwas Neues, wird ihr Burgfrieden gebrochen. Logisch, dass da jeder sofort in Verteidigungshaltung geht. Alles andere wäre fahrlässig. Die Ablehnung der neuen Ideen wird fundiert begründet. Nur liegt dieses Fundament immer in der Vergangenheit und Gegenwart des Marktes. Zukünftige Veränderungen werden nicht wahrgenommen. Dazu müssten sich Experten selbst radikal hinterfragen und ins Risiko des Neuen und Unbekannten gehen. Aber das passiert nicht. Hand aufs Herz: Lassen Sie sich gerne hinterfragen? Wie reagieren Sie auf Kritik? Wägen Sie in Ruhe ab oder gehen Sie sofort in Verteidigungshaltung? Daran scheitert Innovation in Organisationen: Niemand lässt sich gerne hinterfragen. Abwehr gegen Angriff ist zutiefst menschlich. Innovatoren kämpfen mit der Abwehr, neue Mehrwerte werden wie Fremdkörper abgestoßen. Dem setzen sich immer weniger Gründer in Deutschland aus. Die Zahl der Gründungen ist deutlich eingebrochen, stellt die KfW Bankengruppe im Gründungsmonitor fest. Der stabile Arbeitsmarkt hält Menschen davon ab, ins Risiko des Unbekannten zu gehen.
Kein System schafft sich selbst ab
Risiko ist immer das beste Argument dagegen. Ganze Organisationen lehnen sich gegen Risiko auf. Organisationen sind geschaffen, um zu bleiben. Sie sind stabil und leben länger als Menschen. Die älteste Stiftung Hamburgs ist fast 800 Jahre alt. Die Bürgerspitalstiftung in Wemding in Bayern geht auf das 10. Jahrhundert zurück. Der Zweck einer Stiftung bleibt qua Satzung über Jahrhunderte erhalten. Doch Organisationen, große Konzerne, Kirchen, Parteien haben einen großen Nachteil: Sie schwimmen im eigenen Saft und erstarren. Wer in Organisationen in eine angesehene Funktion aufsteigt, hat lange durchgehalten und alle Energie ins Strippen ziehen investiert. Dieses Spiel kann ein kreativer Geist nicht gewinnen, denn wer aneckt, kommt aufs Abstellgleich und verlässt die Organisation. Kein System hat sich jemals selbst abgeschafft. In Behörden, Ministerien, Verbänden, Wohlfahrt, Gesundheitswesen bilden sich Strukturen, Freundschaften und Seilschaften. Die Seilschaften können Gutes bewirken, doch sie dienen immer auch dem eigenen Machterhalt. Gibst du mir, gebe ich dir. Das schafft Abhängigkeiten. Ursprünglich haben Hierarchien Abläufe vereinfacht durch klare Zuständigkeiten. Nun stabilisieren sie den Machterhalt. Neue Ideen müssten mehrere Ebenen von Experten passieren. Aussichtslos. Ausgesiebt. Macht erhalten. Der Zweck heiligt die Mittel. Doch die Organisation lernt nichts Neues, sie bleibt stehen. Als Nebenwirkung wächst Inkompetenz. Expertise veraltet. Macht und Mauern, Burgen und Reiche stürzen ein. Manches ändert sich schleichend wie der Klimawandel und der demografische Wandel. Anderes kommt überstürzt wie der Fall der Deutschen Mauer.
Neue Haltung mit neuen Werten
Es gibt vereinzelt Organisationen mit Traditionen, die verändern sich von innen heraus. Bodo Janssen, Geschäftsführer der Hotelgruppe Upstalsboom, hat alte Werte wie Gewinnmaximierung über Bord geworfen, um Platz zu machen für eine neue Haltung mit neuen Werten. Zum Beispiel dass Führungskräfte dienen. Personalleiter Bernd Gaukler sagt: „Als Führungskraft muss einem bewusst sein, dass man dazu da ist, Menschen zu führen. Das ist eine Dienstleistung.“ Bodo Janssen: „Wir haben alles geändert.“ Die Organisation Upstalsboom ist eine völlig neue Welt. Das merken auch 350.000 Gäste pro Jahr. Der Wandel kam nicht freiwillig, wirtschaftliche Probleme und eine hohe Fluktuation der Mitarbeiter machten Druck. Eine Organisation kann sich erneuern. #AllesGehtAnders. Doch die typische Reaktion der Ewiggestrigen ist der verklärte Blick zurück. Meckern über das Unvermögen der Jungen. Bewahren, was ist. Wehren gegen Neues.
Früher war alles besser
'Früher war alles besser.' Kennen Sie den Spruch? Was ich nicht verstehe: Wann war alles besser? Im Mittelalter? In der Industriellen Revolution? Kürzlich beobachtete ich eine ältere Frau, die sich über eine Ketchup-Lache auf dem Fußgängerweg empörte: „Früher wäre das nicht passiert.“ Stimmt, vor 72 Jahren war das kein Ketchup, sondern eine Blutlache. Als sie jung war, herrschte Krieg und die Straßen waren voller Leichen. War das wirklich besser? Wie kann man ernsthaft behaupten, früher sei alles besser gewesen? In den 1920er Jahren mit unvorstellbar hoher Inflation und Arbeitslosigkeit? In den 30er Jahren, als die Verfolgung von Kommunisten und jüdischen Mitbürgern begann? 40er Jahre im Weltkrieg mit barbarischer Menschenvernichtung, Vergasung, Euthanasie, Bombenhagel, Trümmern und Zerstörungswellen durch zwei Atombomben? In den 60er Jahren, als für Frauen die 3K-Regel galt: Kinder, Küche, Kirche? Oder war alles besser 1968 beim Einmarsch russischer Truppen in Prag? Als ich geboren wurde, sagte die Hebamme zu meiner Mutter: „Unverantwortlich, in diesen schlimmen Zeiten noch Kinder zu gebären.“ In den 80er Jahren mit Tschernobyl, Kaltem Krieg und atomarem Wettrüsten? Oder eingemauert in einer Diktatur mit Todesstreifen quer durch Deutschland bis 1989? Wann war alles besser? Wer möchte ernsthaft früher leben?
Wissensschätze als Zutat für Neues
Viele Menschen haben sich in der verklärten Vergangenheit und im Jammern über die Gegenwart eingerichtet. Aber nicht nur die Nörgler, auch anerkennte Experten leben in der Vergangenheit. Das einzige, was uns voran bringt: Neugier. Fragen. Wer kann geübt und gekonnt fragen? Entwicklung findet JETZT statt. Schrittt für Schritt. #AllesGehtAnders wenn es jemand MACHT. Idee = Grenze weg. Gewinnen wir Experten, ihre Expertise zu hinterfragen! Nutzen wir Wissensschätze als Zutat für Neues!