Generation Helikoptereltern: Darauf müssen sich Unternehmen einstellen
Die Phase des Heranwachsens und Reifens verlängert sich
Die volle Verantwortung für das eigene Leben beginnt heute später, denn Eltern fühlen sich lange verantwortlich für ihre Kinder und meinen, dass sie ihnen ständig sagen müssten, was zu tun ist. Sie strukturieren ihren Tagesablauf, und es gibt kaum mehr unverplante Stunden, in denen sie sich ohne Anleitung ausprobieren können. „Solange man Heranwachsende davor bewahrt, in ein Auto zu laufen oder im Pool zu ertrinken, ist es richtig. Aber Erwachsene beschneiden die Kreativität und den freien Geist von Kindern, wenn sie als Helikoptereltern ständig besorgt um sie herumkreisen oder sie wie die sogenannten Tigereltern zu Höchstleistungen treiben. In beiden Fällen bleibt wenig Spielraum, um das zu entwickeln, was später ein erfolgreiches Leben auszeichnet: Unabhängigkeit, Vertrauen, Respekt, Dankbarkeit und Freundlichkeit“, sagt die US-amerikanische Pädagogin Esther Wojcicki.
Helikoptereltern sind ständig in Sorge, dass ihren Kindern etwas zustoßen könnte. Sie wissen jederzeit, wo sie sich gerade aufhalten und fühlen sich auch in späteren Jahren als enger Begleiter ihrer Kinder. So übernehmen sie häufig sogar federführend die Berufs- und Studienwahl. Unternehmen und Hochschulen reagieren inzwischen darauf und beziehen sie in ihre Informations- und Kontaktprogramme mit ein. Es gehen mittlerweile sogar mehr Anfragen von Eltern als von Jugendlichen bei ihnen ein, wie der Bildungs- und Sozialforscher Klaus Hurrelmann bestätigt.
Bereits eine Studie aus dem Jahr 2013 im “Journal of Child and Family Studies” belegte, dass Studenten, die Helikopter-Eltern hatten, später häufiger an Depressionen litten und Antidepressiva nahmen. Die Forscher vermuten, dass diese kontrollierende und beschützende Haltung der Eltern mit der Entwicklung von Autonomie, Kompetenz und Selbstbewusstsein interferiert. Bereits im Jahr 2000 beschrieb der Psychologe Jeffrey Arnett den Begriff “emerging adulthood”, um die heute verlängerte Phase bis hin zum wirklichen „Erwachsensein“ zu beschreiben. Viele Jugendliche in ihren 20-er Jahren sehen sich heutzutage noch nicht als erwachsen an. Als Gründe wurden die längere Lebenserwartung, die Erziehung durch Helikopter-Eltern und Jobs genannt, die kaum gut bezahlt wurden und dadurch die Jugendlichen weiterhin abhängig machten.
Zwanzig Jahre später sind die beruflichen Chancen deutlich besser als die der Vorgängergeneration. In den meisten Branchen und Regionen herrscht Nachwuchsmangel, und es fehlen Fachkräfte. Das ist der große Unterschied zu früheren Generationen. Die jungen Menschen wachsen in einer Zeit auf, in der den Unternehmen der Nachwuchs ausgeht. Sie kann es sich deshalb leisten, anspruchsvoll zu sein und hat heute sowohl hohe Bildungs- und Berufserwartungen als auch hohe Ansprüche an ihre Arbeitgeber. Der Beruf soll interessant sein. Doch vor allem ist den Jugendlichen ein sicherer Arbeitsplatz wichtig. Das ergab die 17. Shell Jugendstudie 2015.
Der Generation Z, die nach 1994 geboren ist, wird die Sehnsucht nach klaren Strukturen und Stabilität zugeschrieben. Das Komplizierte, in das früher eingegriffen werden konnte, ist heute dem Komplexen gewichen. Die Welt wird immer unübersichtlicher und unsicherer. Hinzu kommt, dass die heutigen Probleme mit alten Denk- und Organisationsstrukturen nicht gelöst werden können. Gleichzeitig kommen immer mehr gesellschaftliche und ökologische Herausforderungen auf uns zu, für die nachhaltige Strategien und innovative Lösungen gesucht werden. Wir befinden uns heute an einer Grenze zu dem, was wir noch nicht kennen und verstehen, von dem wir allerdings wissen, dass es alle Lebensbereiche grundlegend verändern wird. Vielleicht sehnen sich junge Menschen deshalb mittlerweile wieder nach festen Abläufen und Gewohnheiten.
Der Wirtschaftswissenschaftler Christian Scholz verweist darauf, dass sie sogar unverrückbar auf geregelten Arbeitszeiten bestehen, „am liebsten von 9.00 bis 17.00 Uhr. Das mag spießig wirken, entspricht aber dem Lebensgefühl und dem Anspruchsdenken ebenso wie die eigene Espressotasse mit dem aufgedruckten Instagram-Foto des letzten Urlaubs.“ Er bemerkt allerdings auch, dass viele von ihnen unselbstständig sind, denn der Einfluss der Eltern spielt bei ihnen eine größere Rolle als bei der Vorgängergeneration. Die Sehnsucht nach einem Job als Beamter scheint wie eine Verlängerung der Zeit, die sie in geordneten Bahnen mit den Eltern verbrachten.
Reifeprüfung noch nicht bestanden
Medial wird die Generation Z derzeit als jene gepusht, die auf Hierarchien und Statussymbole verzichten möchte und schon mit 25 Jahren reif für einen Vorstandsjob ist. Zahlreiche Studienergebnisse zeigen jedoch, dass es mit dem Reifeprozess nicht weit her ist und sie spätestens im Arbeitsleben überfordert sind. Denn wer sich nicht anstrengen muss, um seine Ziele zu erreichen, baut weniger Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein auf. Und solch ein Mensch, der nicht einmal in der Lage ist, sich selbst zu führen, soll Führungsverantwortung für das große Ganze übernehmen? Wer als Überflieger nicht gelernt hat, seinen Weg zu Ende zu gehen und Hindernisse allein zu bewältigen, wird niemals ankommen.
Häufig beklagen Geschäftsführer großer Unternehmen, dass ihre jungen Mitarbeiter sich in alten, vertrauten Bahnen bewegen möchten und Angst vor dem Scheitern haben. Diese anerzogene Furcht vor Fehlern behindert jede Kreativität. Solche Erfahrungen kennt auch der Unternehmer und Personalexperte Werner Neumüller, der dafür plädiert, „dass Kinder rechtzeitig lernen müssen, mit Veränderungen und Niederlagen umzugehen und sich den Herausforderungen zu stellen: in der Schule, in Sportvereinen, auf Turnieren und im Leben. Wenn im Sportverein ein Spiel verloren ist, gilt die Devise: Weiter geht es! Nächstes Spiel, neue Chance! Da wird nicht resigniert, verzweifelt oder endgültig aufgegeben, sondern trainiert, gekämpft und ausprobiert. Kinder sollten nicht unter übertriebenen Schutzschirmen der Eltern aufwachsen. Wir sollten ihnen mehr zutrauen, sie fordern, fördern und belohnen.“
Kinder sollten so früh wie möglich lernen, unabhängig zu denken und zu handeln, denn nur dann können sie ihren „stimmigen Platz im Leben“ (Esther Wojcicki) finden. Dazu ist es wichtig, dass ihnen Erwachsene einerseits Geborgenheit vermitteln und andererseits die Freiheit einräumen, um sich selbständig entfalten zu können. Leider kommen Lehrjahre des inneren Wachstums in vielen Lebensentwürfen heute gar nicht mehr vor: „Aufgrund der daraus mangelnden Lebenserfahrung scheitern immer mehr junge Menschen in Personal- und Einstellungsgesprächen an der persönlichen Eignung“, sagt Werner Neumüller. Deshalb ist es wichtig, „Eigenverantwortung und eine gewisse Grundhärte zu entwickeln, um auch in der Lage zu sein, Konflikte durchzustehen und Herausforderungen zu meistern – durch Resilienz.“
Weiterführende Informationen:
David Graeber: Bürokratie. Die Utopie der Regeln. J. G. Cotta‘sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, Stuttgart 2016.
Klaus Hurrelmann: Nicht ohne meine Eltern! In: DIE ZEIT (23.11.2018), S. 76
„Scheitern lernen“. Interview mit Esther Wojcicki. In: DER SPIEGEL 36 (31.8.2019), S. 92.
Christian Scholz: Generation Z. Wie sie tickt, was sie verändert und warum sie uns alle ansteckt. Wiley-VCH Verlag & Co. KGaA, Weinheim 2014.
Esther Wojcicki: Panda Mama. Ullstein Verlag, Berlin 2019.
Werner Neumüller: Warum Unternehmen einen Kompetenzmix aller Generationen brauchen. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. SpringerGabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2020.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.