Gewalt und Identität: Interview mit Anna Julia Schmidt
Anna Julia Schmidt absolvierte einen Einser-Bachelorabschluss in Politikwissenschaft & Kulturanthropologie, einen 0,8-Masterabschluss als Jahrgangsbeste in Soziologie, schreibt ihre Doktorarbeit über Gewalt gegen Frauen, Kunst, Organisation, Empowerment, Projektmanagement, Ethik und Diversität. Parallel sammelte sie vielfältige berufliche Kompetenzen, u.a. als Lehrbeauftragte, Schreibende, wissenschaftliche Hilfskraft, in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, als wissenschaftliche Beraterin und Projektmanagerin. Sie plant ihre Habilitation und hat ihren ersten Roman geschrieben. Zusätzlich partizipiert sie an Fortbildungen, beispielsweise zum Management und well-being. Sie war auf Lesetouren und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. war sie viermal Jugendliteraturpreisträgerin, wurde als Delegierte für einen Aufenthalt in Japan auserwählt, war Stipendiatin des Deutschen Akademischen Austauschdiensts und ist Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung. Ihre interkulturellen Kompetenzen erwarb sie u.a. in Sibirien, Israel, Japan, Kuba und Indien. Seit ihrer Jugend engagiert sie sich ehrenamtlich.
Frau Schmidt, in Ihren Publikationen beschäftigen Sie sich mit dem Thema Gewalt gegen Frauen. Was ist der Grund dafür?
Gewalt gegen Frauen ist überall. Gewalt gegen Frauen betrifft alle Menschen, unabhängig davon, welchem Geschlecht sie sich zuordnen, unabhängig der Herkunft, der Bildung, des sozialen Status oder des Alters. Es ist tief in unserem Alltag verankert, selbst wenn einige Menschen glauben, dass Gewalt gegen Frauen in Deutschland immer noch eine Ausnahme sei. Das ist es nicht. Zudem ist Gewalt eben mehr als Schläge. Es gibt genauso psychische Gewalt, die ähnlich verheerende Folgen bei den Betroffenen verursachen kann wie körperliche Gewalt. Genauso gibt es sexuelle Belästigung, die leider viel zu viele Frauen kennen. Mittlerweile schreibe ich meine Doktorarbeit u.a. über das Thema Gewalt gegen und Empowerment von Frauen, weshalb ich auch wissenschaftlich fundiert bestätigen kann, dass dieses Thema sehr relevant ist. Gewalt gegen Frauen ist keine Privatsache. Es geht auf gesellschaftliche Strukturen zurück und betrifft uns alle. Deshalb muss sich keine Frau dafür schämen oder schuldig fühlen. Entstigmatisierung und Sichtbarmachung sind bei diesem Thema sehr wichtig. Ich wollte deshalb auch mit meinem aktuellen Buch auf die Thematik Gewalt gegen Frauen aufmerksam machen.
Bleiben in kriminalpräventiven Konzepten als auch in pädagogischen Ansätzen der gewaltpräventiven Arbeit mit Jugendlichen Mädchen und junge Frauen noch größtenteils unberücksichtigt? Und wenn ja, woran liegt das?
Ich beobachte, dass Mädchen und junge Frauen in den letzten Jahren häufiger thematisiert werden, jedoch immer noch zu wenig. Auf der anderen Seite werden weibliche Personen in den Fokus gerückt, jedoch mit dem falschen Ansatz – meiner Meinung nach. Mädchen und jungen Frauen wird beigebracht, Selbstverteidigung zu lernen, nachts nicht allein auf der Straße zu laufen, permanent auf ihre Getränke wegen Ko.-Tropfen aufzupassen. Sie müssen also aktiv werden – aus Angst, wegen der Gefahr, dass ihnen etwas passieren könnte. Schauen wir uns allein den Terminus „Gewalt gegen Frauen“ an. Dieser ist passiv gestaltet, doch wer übt aktiv die Gewalt aus? Das wird sprachlich nicht deutlich, das steht nicht im Fokus. Gewalt geschieht Frauen, Frauen sind Gewalt ausgesetzt. Es klingt daher fast wie ein „Frauenthema“, so als gehe es nur Frauen an. Aber Gewalt ist kein Mensch, Gewalt wird durch Menschen ausgeübt. Beispielsweise: Frauen werden bedrängt und bedroht. Frauen werden vergewaltigt. Frauen erfahren sexuelle Belästigung. Meistens von Männern. Natürlich nicht nur, hier soll keine Generalisierung erfolgen, beispielsweise erfahren auch Männer Gewalt, auch Frauen sind Täterinnen. Was bedeutet das? Es bedeutet eben nicht nur, dass eine Frau bedrängt, beleidigt und vergewaltigt wird. Es bedeutet auch, dass ein Mann bedrängt, bedroht, vergewaltigt. Er übt also die Tat aus. Er ist aktiv. Er ist der Täter, der Verursacher. Doch der Fokus und damit auch die Verantwortung wird sprachlich von ihm genommen, wenn wir nur „Gewalt gegen Frauen“ sagen.
Wir rücken also Frauen in den Fokus und die Verantwortung, sich zu schützen …
Wegen des unguten Gefühls, wegen der Gefahr, wegen der Angst. Aber wäre es nicht zielführender, dafür zu sorgen, dass sie erst gar nicht in Angst leben müssen? In dem Kontext der geschlechtsspezifischen Gewalt sollte daher Jungs und Männer beigebracht werden, dass sie keine Gewalt anwenden sollen und wo überhaupt Gewalt beginnt. Natürlich dürfen Frauen Selbstverteidigung lernen, wenn sie das möchten, das bitte nicht falsch verstehen. Ich freue mich sehr darauf, nach einer Verbesserung der Corona-Pandemie wieder Kampfsport machen zu können. Aber der Punkt ist, dass ich es zum einen mache, weil ich es für einen fabelhaften Sport halte und es mir viel Spaß bereitet, zum anderen aber auch – und das ist hierbei das Zentrale –, weil es Situationen gibt, in denen ich Angst habe, dass mir jemand etwas antut, einfach weil ich eine Frau bin und daher „gestärkt“ sein will.
All das geht auf gesellschaftliche Strukturen zurück und die darin enthaltenen unterschiedlichen Machtverhältnisse. Wir unterscheiden oft lediglich zwischen männlich und weiblich, obwohl das natürlich viel zu eng gedacht ist, und besetzen dabei die beiden Geschlechter mit bestimmten Anforderungen. Vieles davon geschieht unterbewusst. Zentral ist, dass Menschen, die sich als männlich wahrnehmen und so präsentieren, über mehr Macht verfügen bzw. sich mehr Macht herausnehmen als Menschen, die sich nicht als männlich wahrnehmen und präsentieren. Die Gruppe der männlichen Personen verfügt dabei über mehr Privilegien als die Gruppe der nicht-männlichen Personen. Daher werden sie häufiger thematisiert und haben leichtere Zugänge.
Wie stehen Sie daher zu Gewalt in der Sprache?
Das ist eines meiner wichtigsten Anliegen: Aufzuzeigen, dass Gewalt mehr ist als nur körperliche Gewalt. Gewalt, die durch Worte geschieht – ausgesprochen oder aufgeschrieben, gibt es. Auch das ist Gewalt. Diese Gewalt heißt psychische, mentale oder verbale Gewalt, online wird es oft als Teil der digitalen Gewalt bezeichnet. Es gibt verschiedene Ansichten darüber, was unter Gewalt gefasst werden sollte. Wenn wir uns die Folgen anschauen, wird deutlich, dass eben auch verbale Gewalt als Gewalt gewertet werden muss, da sehr schwerwiegende Folgen daraus entstehen können. Diese psychische Gewalt wird medial immer noch viel zu wenig thematisiert. Zudem ist psychische Gewalt eben nicht an körperlichen Symptomen zu erkennen. Psychische Gewalt wird daher selten erkannt. Zum einen wissen viele Menschen nicht einmal, dass es psychische Gewalt gibt. Zum anderen wird bei dieser Form der Gewalt ganz oft die Selbstwahrnehmung der Betroffenen durch die Täter:innen verunsichert, indem beispielsweise die eigenen Taten geleugnet werden („das habe ich nie gesagt. Das bildest du dir ein“) oder eine angebliche Schuld den Betroffenen zugesprochen wird, da diese u.a. als zu sensibel dargestellt werden („du bist einfach viel zu sensibel, du stellst dich einfach immer so an, das war gar nicht schlimm, immer musst du überreagieren, übertreiben, schau dich doch mal an, du hast keine blauen Flecken, also stell mich jetzt nicht als das Böse dar, ich rede einfach nur mit dir, da werde ich halt mal etwas lauter und sag paar Sachen, sowas muss man abkönnen, du bist ja kein kleines Kind mehr, außerdem hast du das ja selbst verursacht, wenn du vorhin nicht die eine Sache gemacht hättest, hätte ich mich auch gar nicht so aufregen müssen.“).
Gewalt geschieht dabei oft zwischen Menschen, bei denen wir nach der gesellschaftlichen Normvorstellung davon ausgehen, dass das gerade in diesen Verhältnissen nicht passiert, sprich zwischen Partnern in einer Beziehung oder Eltern gegenüber ihren Kindern. Eigentlich sollten diese Beziehungen durch Liebe und Schutz geprägt sein, aber Gewalt ist leider oft der Fall. Die eigenen Erfahrungen als Kind und Jugendliche können dabei auch einen Einfluss auf spätere Gewaltbeziehungen ausüben. Wenn ich als Kind beispielsweise mit psychischer Gewalt durch ein oder beide Elternteile aufgewachsen bin, belastet und zerstört das zentrale Entwicklungsmöglichkeiten. Zudem lerne ich, dass so ein Verhalten normal sei. Ich kenne es nicht anders. Ich weiß gar nicht, dass das eben nicht normal, sondern sogar Gewalt ist. Daher wird mir das in späteren sozialen Interaktionen nicht auffallen. Gewalt geschieht daher oft durch Worte und in Wohnungen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir darüber reden.
Wie setzen Sie sich konkret für gedemütigte und sexuell missbrauchte Frauen ein?
Ich habe zusammen mit Frauen, die Gewalt erfahren haben, ein Buch erstellt, in dem die eigenen Erfahrungen mit Gewalt künstlerisch dargestellt werden. Zudem sind in dem Buch Informationstexte über Gewalt gegen Frauen vorhanden. Ich bemühe mich um Forschung, Aufklärungsarbeit und Sichtbarmachung des Themas, beispielsweise indem ich das gerade geschilderte Buchprojekt u.a. im Rahmen meiner Doktorarbeit untersuche oder eben einen Roman schreibe, der das Thema aufgreift. Genauso bin ich darum bemüht, Frauenrechte auf politischer Ebene aufzugreifen. Ebenso berate ich, wie in Unternehmen bzw. Organisationen mit Gewalt umgegangen bzw. ihr präventiv vorgebeugt werden kann. Aber auch im alltäglichen Agieren versuche ich das Thema zu enttabuisieren und einen Austausch zu ermöglichen. Ich habe mit vielen Frauen geredet, die solche Erfahrungen gemacht haben und sich rückblickend darüber austauschen wollten. Das ist natürlich kein Therapieersatz; das soll es jedoch auch nicht sein. Es ging um das Gespräch, den Austausch, um ernst genommen zu werden, um eine Einordnung, um Unterstützung. Zudem werde ich um Rat gefragt, wie denn Freunde:innen mit einer Person sprechen können, die von ihren eigenen Gewalterlebnissen erzählt. Selbst die beste Absicht kann zu Leid führen. Daher versuche ich darzulegen, welche Sätze beispielsweise unter Victim Blaming zählen.
Was verbirgt sich dahinter?
Victim Blaming meint die Umkehr von Täter:innen auf Betroffene, eine Opferbeschuldigung, bei der die Betroffenen beispielsweise gesagt bekommen: „Du bist ja selbst daran schuld, weil du so ein kurzes Kleid getragen hast.“ Das ist sehr schmerzhaft für die Betroffenen und verkehrt natürlich die Sachverhalte. Ich erkläre daher, was alles unter Victim Blaming fällt und daher nicht gesagt werden wollte. Weiterhin versuche ich, in passenden Situationen auf unpassendes Verhalten aufmerksam zu machen. Wenn beispielsweise ein Vergewaltigungswitz erzählt wird oder über eine Frau gesagt wird, dass sie sich das alles doch nur ausdenke, um sich zu rächen, dann greife ich ein und versuche zu erklären, warum solche Sprüche nicht gesagt werden sollten. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie und habe mittlerweile viel mit Akademiker:innen zu tun. Allgemein interagiere ich mit sehr vielen unterschiedlichen Menschen. Daher bin ich eine Art Chamäleon. Ich kenne das Narrativ, die Gedanken und Sorgen von sehr vielen verschiedenen Menschen und Milieus und kann mich auf sie passend einstellen. Das kann ich nutzen, um jeweils passend mit der Person über das Thema Gewalt zu reden, denn gerade bei so sensiblen Themen ist eine passende Kommunikation wichtig.
Versuchen Sie auch mit Männern über das Thema zu sprechen?
Ja, denn Gewalt gegen Frauen ist eben kein Frauenthema. Dabei zeigt sich leider viel zu oft eine spezifische frauenabwertende, frauenunterdrückende Haltung, die gleichzeitig damit einhergeht, zu glauben, dass man selbst so gar nicht sei. Es gibt aber auch tolle Beispiele von Männern. Ich habe zum Beispiel das große Glück, einen wirklich tollen Betreuer für meine Doktorarbeit zu haben, der ein Mann ist. Oft werde ich deshalb erst einmal irritiert angeschaut und gefragt, wie ich denn bei einem männlichen Professor eine Doktorarbeit, die Gewalt gegen Frauen untersucht, schreiben könne. Die Frage ist absolut berechtigt, denn gerade in Macht-Situationen kommt es oft zu Gewalt; und Menschen, die sich selbst als Männer wahrnehmen und so sozialisiert werden, kennen natürlich die vielen entscheidenden alltäglichen Details nicht, die Frauen erleben. Ich hätte mir daher auch nie einen Mann für so eine Doktorarbeit ausgesucht. Aber ich habe bereits meine Masterarbeit bei ihm geschrieben und habe mich da so sicher gefühlt, dass ich auch meine Doktorarbeit bei ihm schreiben wollte. Er unterstützt mich in jeder Hinsicht und zeigt wundervolle Empathie gegenüber gewaltbetroffenen Frauen. Er wiederum rückt das Thema selbst in den Fokus, auch bei Männern. Genau das ist wichtig. Ich möchte daher gerne weitere Männer motivieren, sich für das Thema Gewalt gegen Frauen einzusetzen. Auch sie profitieren davon.
Wird Gewalt nicht zuletzt durch Machtverhältnisse und Machtbalancen innerhalb der einzelnen Figurationen bestimmt?
Macht spielt auf jeden Fall eine zentrale Rolle, auch bei der Anzeigenerstattung bzw. einer nicht erstatteten Anzeige. Wenn der Täter bzw. die Täterin über mich Macht hat und ich daher von ihm/ihr abhängig bin, ist es für mich noch einmal schwerer, Anzeige zu erstatten.
Wie kann zu einer Herausbildung einer positiven Identität, die im Jugendalter geleistet werden muss, beigetragen werden?
Ich engagiere mich seit über zehn Jahren ehrenamtlich in der Kinder- und Jugendarbeit. Daher darf ich an der Entwicklung der jungen Menschen teilhaben, was ich als großes Geschenk empfinde. Es gibt dabei viele Aspekte, die berücksichtigt werden sollten. Ich greife daher nur ein paar heraus: Jugendliche müssen wissen, was beispielsweise Gewalt ist, wie vielfältig Gewalt ist, aber auch was überhaupt eine Identität ist, und dass es vollkommen okay ist, dass sie aktuell noch nicht so viel Selbstbewusstsein spüren. Das kann wachsen. Genauso sollte ihnen vermittelt werden, dass sie nicht perfekt sein müssen, denn wenn sie permanent auf der Suche nach einer nicht zu erreichenden Perfektion sind, können sie mit sich selbst nur unglücklich werden. Ein Professor hat einmal einen Lebenslauf des Scheiterns veröffentlicht. Das finde ich schön. Es zeigt, dass wir auch mal scheitern dürfen, dass das rein menschlich ist, zum Leben dazu gehört, dass niemand perfekt ist. Das macht uns nicht schlecht. Wichtig ist nur, dass wir dann weiter machen. Dabei sollten sie auch in ihren Stärken unterstützt werden bzw. diese gemeinsam mit ihnen gesucht werden.
Können Sie das konkretisieren?
Es sollten heterogenere Lebenswege aufzeigt und wertgeschätzt werden. Es gibt nicht diesen einen perfekten Weg, den wir alle gehen müssen. Ein Handwerksberuf ist genauso toll wie ein Studium. Nicht alle benötigen ein Abitur und ein Masterabschluss macht einen nicht zu einem besseren Menschen. Noten spiegeln nicht immer die Intelligenz wider. Das Abitur kann per Abendschule nachgeholt werden, ich kann mit 40 Jahren noch einmal studieren, ich kann mit 50 Jahren aus meinem Top-Management-Job aussteigen und Hundezüchter werden. Ich kann mit 65 Jahren heiraten und mich mit 70 Jahren tätowieren lassen. Ich muss keine leiblichen Kinder bekommen, sondern kann mit Adoptivkindern eine wunderschöne Familie gründen. Ich muss überhaupt keine Kinder bekommen. Wir sollten die jungen Menschen daher darin bestärken, dass sie ihren eigenen Weg gehen dürfen und es nicht falsch oder Scheitern ist, wenn sie nicht das machen, was viele andere machen. Wertschätzung und Anerkennung sind manchen jungen Menschen leider kaum bekannt, weil sie es von zu Hause und auch aus der Schule nicht kennen. Sie können daher richtig aufblühen, wenn sie so etwas erfahren. Dabei können so Sachen gesagt werden wie: „Wow, das hast du ja toll gemacht, du bist sicherlich super stolz auf dich“. So unterstütze ich, dass die Anerkennung auch von innen kommt, anstatt zu sagen „Ich bin super stolz auf dich“. Bezüglich Schule müssen gerade solche Plätze Safe Spaces sein, also Plätze bzw. Atmosphären, die sicher sind, die sich sicher und gut anfühlen und bei denen kein Machmissbrauch oder Gewalt vorherrschen. Gerade auf Social Media sehen wir oft perfekt aussehende Menschen. Das sind jedoch meist Filter und Filler. Das muss noch viel deutlicher gemacht werden.
Wie lange beschäftigen Sie sich schon wissenschaftlich mit dem Thema Gewalt gegen Frauen, und wie steht das im Zusammenhang zu Ihrem neuen Roman?
Wissenschaftlich habe ich mich zum ersten Mal mit dem Thema am Anfang meines Masterstudiums beschäftigt, es während des gesamten Masterstudiums vertieft und zuletzt in der Doktorarbeit aufgegriffen. Für mich war das ein Prozess. Als Jugendliche fand ich Feminismus komisch. Ich dachte: In Deutschland sind wir doch längst darüber hinweg. Das war früher mal schlimm, dann haben die Frauen super Arbeit gemacht, und jetzt ist doch alles top. Du musst nur hart genug arbeiten. Alles andere sind Ausreden. Das ist natürlich totaler Müll, den ich damals aufgrund von Unwissenheit und einem falschen sozialen Umfeld gedacht habe. Heute bin ich überzeugte Feministin. Als ich geboren wurde, war Vergewaltigung in der Ehe noch straffrei. Erst 1997, vier Jahre nach meiner Geburt, wurde das geändert. Ich verstand auch gar nicht, was Gewalt war, weil Gewalt gegen Frauen für mich alltäglich und normal war. Für mich war das keine Gewalt, sondern das normale Leben. So ging es nicht nur mir, sondern leider sehr vielen Mädchen und Frauen.
Haben Sie selbst Gewalt erlebt?
Ja, und ich kenne auch viele Betroffene aus meinem privaten Umfeld. In den meisten Fällen wird nicht darüber geredet. Unter anderem aus Scham, aus Angst, aus Unwissenheit. Ich wollte daher neben einem wissenschaftlichen Weg auch einen künstlerischen Weg gehen, um das Thema sichtbarer zu machen. Dabei konnte ich beispielsweise aus meiner Forschung nutzen, dass besonders Details wichtig sind. Deshalb wollte ich in dem Buch das Thema Gewalt gegen Frauen in möglichst vielen Facetten und den jeweiligen Details darstellen. Medial wird das Thema nun zum Glück häufiger thematisiert, aber dabei bleibt es oft noch abstrakt. Ich wollte mit diesem Buch das Thema greifbar verarbeiten.
Sehen Sie sich eher als Wissenschaftlerin oder als Künstlerin?
Ich sehe mich als Wissenschaftlerin und als Künstlerin. Meine Persönlichkeit und meine Kompetenzen sind ein Mosaik aus vielen verschiedenen Teilen. Ich verfüge über zahlreiche Rollen, Interessen und Fähigkeiten. Das ist manchmal anstrengend, aber diese Vielfalt ist auch meine Stärke. Dabei sehe ich mich als Brückenbauerin zwischen verschiedenen Menschen, Milieus und Feldern. Es gibt eine schöne Textstelle aus einem Lied der Toten Hosen, die ich als Jugendliche das erste Mal gehört habe und seitdem liebe: „Wenn wir nur einen Teil von uns ausleben, was passiert dann mit dem Rest?“ Ich liebe die Wissenschaft, weil sie mir Antworten auf das Leben gibt. Genau das macht aber auch die Kunst. Ich mag die Struktur, die Analyse der Wissenschaft, das Forschen und Recherchieren, Lehre halten und Studierende in ihrem Lernprozess unterstützen. Ich bin aber auf keinen Fall eine Theoretikerin, die in ihrem Elfenbeinturm lebt. Ich brauche die Praxis, ich bekomme ganz reale Dinge erledigt und schreibe darüber nicht nur Texte.
Ich liebe die Freiheit der Kunst, die Kreativität, das Ausbrechen und Grenzen sprengen. Beides ergänzt sich. Ich kann die Wissenschaft für die Kunst und die Kunst für die Wissenschaft nutzen. Und nicht nur dort. Ich möchte mein Leben nicht auf Felder reduzieren, sondern sie verbinden. Ich plane daher beispielsweise in meiner Habilitation Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft zusammenzuführen. Genau das lebe ich. Genau das mache ich bereits täglich. Nur ganz wenige ganz enge Freunden:innen kenne alle Facetten meiner Person. Ich sehe mich als Wissenschaftlerin, aber auch als Künstlerin. Ich sehe mich als wissenschaftliche Beraterin und als Projektmanagerin auch außerhalb der Wissenschaft. Als Arbeiterkind, als Akademikerin, als Führungspersönlichkeit, als Teammensch, als Hundeliebhaberin, als Nerd, als Sportlerin und so vieles mehr. Wir alle agieren ja in sehr vielen Rollen.
Wir würden Sie sich vor diesem Hintergrund selbst beschreiben?
Ich bin eine Kämpferin und eine Reisende. Ich liebe das Reisen, ich bin so gerne in der Welt unterwegs: heute hier, morgen dort. Das ist meine Devise – außer natürlich während der Corona-Pandemie. Aber ich träume genauso davon, eines Tages mit vielen Hunden aus dem Tierheim auf einem großen Grundstück mit reichlich Natur zu leben. Ich bin sehr diszipliniert, ehrlich und direkt. Respektvoll, aber so klar wie möglich und dadurch auch transparent. Für meine Meinung und meine Überzeugungen stehe ich ein, weiß aber auch, dass ich nicht das Maß aller Dinge bin und bin deshalb offen für neue Ansichten, wenn diese begründet sind. Allgemein glaube ich, dass ich nie ausgelernt haben werde. Ich bin darum bestrebt, jeden Tag etwas Neues zu lernen und mich weiterzuentwickeln. Dabei bin ich nicht perfekt. Ich mache Fehler. Aber ich kann dazu stehen, mich entschuldigen. Ich versuche so offen wie möglich zu sein und diese Offenheit zu reflektieren. Es reicht beispielsweise nicht aus, nur zu sagen, wie offen ich bin, dass ich keine Rassistin bin, sondern ich muss mich informieren, meine erlernten Muster reflektieren und mich aktiv dagegen einsetzten. Meine Neugier bringt mich zu vielen interessanten Menschen und Plätzen. Vielleicht bin ich auch so vielfältig, weil ich so vielfältige Menschen kenne und ihnen einfach zuhöre. Das klingt nicht sonderlich spektakulär.
Zuhören zu können ist allerdings nicht selbstverständlich …
Manche Menschen hören nur das, was sie hören wollen. Andere hören nur zu, um sagen zu können, was sie wollen. Manche hören zu, aber suchen in dem Gesagten nur nach dem, was sie hören wollen. Empathie ist eine meiner großen Stärken, aber auch eine Schwäche von mir. Ich kann mich sehr gut in andere Menschen hineinversetzten, und ihnen dadurch auch helfen. Aber ich muss auf mich selbst aufpassen, dass ich nicht wie ein Schwamm das Leid und den Schmerz der anderen Menschen aufsauge.
Wie und wann sind Sie zum Schreiben gekommen?
Seit ich mich erinnern kann, liebe ich die Kunst und war schon immer sehr kreativ. Da war immer dieser Drang, diese Leidenschaft in mir, etwas zu verändern, etwas aus meinem Inneren nach außen zu tragen, etwas zu erschaffen. Also habe ich etwas geschrieben. Ohne groß darüber nachzudenken. Einfach so. Da war ich vielleicht so 14, 15 Jahre alt. Es gab keinen Auslöser oder magischen Moment. Etwas erschaffen zu haben, das bleibt, das anderen Menschen hilft, sie zum Nachdenken anregt, sie berührt - das hat mich berührt und motiviert.
Wie ging es dann weiter?
Ich spürte immer diese Unsicherheit in mir, ob ich mit meinen Texten andere Menschen berühren könnte, ob meine Texte überhaupt „gut genug“ seien. Mittlerweile sehe ich die Kriterien „gut“ und „schlecht“ als unpassend für künstlerische Produkte an, aber damals mit 15 Jahren war mir ein externes Feedback wichtig, ich brauchte die offizielle Bestätigung, dass meine Texte „gut genug“ sind. Ich habe daher eine meiner Kurzgeschichten bei einem Literaturwettbewerb eingereicht und hatte das große Glück, als Jugendliteraturpreisträgerin der OVAG (Energieversorger) ausgezeichnet zu werden.
Was beinhaltete diese Auszeichnung?
Sie beinhaltete nicht nur eine tolle Preisverleihung, sondern auch einen wundervollen Literatur-Workshop und eine Lesetour. Bei dem Workshop wurden die ausgezeichneten Texte mit bekannten Schriftsteller:innen lektoriert, u.a. mit Feridun Zaimoglu, Vea Kaiser und Ursula Flacke. Zudem gab es großartige Gesprächsrunden über Literatur und Marketing, und es wurde vermittelt, wie die eigenen Texte erfolgreich vortragen werden können. Als Teil der Auszeichnung wurde die eigene Kurzgeschichte als Hörbuch eingelesen und auf einer Lesetour vorgetragen. Der OVAG Jugendliteraturpreis war daher ein ganz, ganz tolles Erlebnis, das einen großen Einfluss auf meine Schriftstellerinnen-Karriere hatte. Das Schriftstellerinnenleben in a nutshell. Dadurch habe ich noch einmal gemerkt, wie sehr ich die Kunst und das Schreiben liebe. In den darauffolgenden Jahren habe ich insgesamt vier Mal den Jugendliteraturpreis der OVAG gewonnen, konnte weitere Preise gewinnen, wurde mehrmals ausgezeichnet und war auf Lesetouren. Zudem habe ich viele Texte veröffentlicht und erhielt oft das Feedback, dass mein Text die jeweilige Person berührt und sie gestärkt hätte. Ein Leben im Positiven verändert zu haben – wie wundervoll ist das denn? All das hat mich über die Jahre noch mehr motiviert, den nächsten Schritt zu gehen, und nicht nur Kurzgeschichten und Artikel, sondern auch einen Roman zu schreiben.
Hat das Schreiben für Sie auch eine therapeutische Funktion?
Ja, es ermöglicht mir, aus schlechten Erlebnissen etwas Gutes zu erschaffen. Die Erlebnisse bestimmen beim Schreiben nicht mich, sondern ich nutze sie. Ich habe die Handlungsmacht. Das gibt Sicherheit. Zudem fühlen sich dadurch schlechte Erlebnisse nicht mehr so sinnlos an. Die Frage: „Warum ist mir das passiert?“ wird aufgegriffen, ohne darauf eine konkrete Antwort zu bekommen, jedoch mit der Möglichkeit, für mich zu beschließen, dass ich das Schlechte immerhin als Inspiration für meine Kunst benutzen kann. Um es mit Kurt Cobain zu sagen: „Thank you for the tragedy. I need it for my art.“ Aber das muss natürlich in Relation gesehen werden. Durch das Schreiben werden schlimme Erlebnisse nicht einfach unvergessen gemacht. Schreiben ist kein Wundermittel. Es ist nicht so, dass ich ein paar Zeilen einfach mal so aufschreibe, und danach geht's mir super. Schreiben ist ein kleiner Baustein in einem großen Prozess. Zudem ist Schreiben nicht immer spaßig und einfach. Der Prozess des Schreibens kann schmerzhaft, mit Angst und Unsicherheit verbunden sein. Er kann erschöpfen und aufwühlen zugleich. Manchmal ist Schreiben auch ein Kampf. Aber es lohnt sich immer! Schreiben ist schmerzhaft und befreit zugleich! Es ermöglicht mir, wundervollen Menschen aus meinem Leben ein schönes Denkmal zu setzen. Menschen, die mich inspiriert haben, die mir geholfen haben, die mich eingenommen haben, die mich zum Nachdenken gebracht, meinen Blick erweitert haben. All diese großartigen Menschen kann ich so ein wenig „unsterblich“ machen, wenn ich über sie schreibe. Das klingt nun sehr pathetisch. Ist es ein Stück weit auch, denn ich möchte die Magie des Schreibens als genau das sehen: magisch und hinausragend.
Die Menschen in Ihrem Umfeld sind Ihnen daher sehr wichtig und helfen Ihnen auch beim Schreiben?
Ja, absolut. Ich bin ein Familienmensch, aber meine Familie ist zum Großteil nicht mit mir verwandt. Für mich ist nicht das Blut, die geteilte DNA oder der Stammbaum ausschlaggebend dafür, wer zu meiner Familie gehört, sondern Liebe, Unterstützung, Respekt und Verständnis. Meine (Wahl-)Familie ist mir daher extrem wichtig, und ich bin so dankbar für diese Menschen, auch dafür, dass sie verstehen, dass ich manchmal in einem Arbeitsmodus oder auf Reisen bin und daher out of order bin. Das Schöne ist, dass wir, wenn es hart auf hart kommt, immer füreinander da sind. Sie motivieren mich, weiterzuschreiben, weiterzumachen, inspirieren mich zum Schreiben und müssen als Probelesende herhalten, um mir ein erstes Feedback auf meine groben Entwürfe zu geben. Genau deswegen möchte ich die Menschen aus meinem Privatleben privat halten. Ja, ich lasse mich von ihnen inspirieren, verewige sie in Geschichten, aber dabei verpacke ich sie in fiktiven Personen, so dass es für sie nicht unangenehm wird oder ich sie entblöße. Mit Hinblick auf eine voranschreitende Schriftstellerinnen-Karriere in der Öffentlichkeit weiß ich, dass ich gewisse Aspekte meines Lebens teilen muss und auch möchte, aber ich möchte einen gewissen Teil meines Privatlebens privat halten.
Welche literarischen Einflüsse haben Sie besonders geprägt?
Das erste Buch, das ich gelesen habe, war „Was ihr wollt“ von Shakespeare. Da war ich ungefähr 12 Jahre alt. Ich war als Kind ein kleiner Sheldon Cooper. Vorher habe ich jedoch nie gelesen, weil mich die Bücher nicht begeistert haben, die mir als Kind in der Schule vorgesetzt wurden. Die fand ich langweilig und unwichtig. Aber Shakespeare hat mich sofort eingenommen. Also habe ich von dort an beschlossen, viele Klassiker zu lesen. Mit 17 Jahren hatte ich daher unter anderem Shakespeare, Hemingway, Kafka, Hesse, Brecht, Mann, Fontane, Proust, Camus, Dickens, Nietzsche, Flaubert, Bukowski, Wilde, Büchner, Carroll, Goethe, Schiller, Kierkegaard, Twain, Faulkner, Dostojewski, Tolstoi, Puschkin, Joyce und Kerouac gelesen. Ich hatte also eine richtig wilde Jugend (lacht). Dann habe ich zufällig Fight Club von Palahniuk gelesen und war so begeistert, dass Jahre später ein Zitat aus diesem Buch mein erstes Tattoo wurde. Das ist immer noch mein Lieblingsbuch. Ich habe das Buch schon so oft gelesen und den Film schon so oft gesehen. Das hatte daher alles seinen Einfluss auf mich.
Mit Anfang 20 habe ich jedoch festgestellt, dass ich zum Großteil nur Bücher von weißen Männern gelesen habe. Wow. Daher habe ich anschließend viele diverse Schriftsteller:innen gelesen, beispielsweise Brontë, Woolf, de Beauvoir, Toni Morrison, Brit Bennett, James Baldwin und Meredith Russo. Das hat mir nicht nur literarisch, sondern auch persönlich enorm viele Horizonte eröffnet. Diverse literarische Texte zu lesen, sollte selbstverständlich sein, war es damals aber leider nicht für mich, ist es jetzt aber – zum Glück. Es zeigt, wie wichtig es ist, dass weibliche, non-binäre, trans und/oder nicht-weiße Schriftsteller:innen aus Arbeiter:innenfamilien medial noch sichtbarer gemacht werden müssen. Überhaupt muss in jedem gesellschaftlichen Bereich Diversität gelebt werden; das gilt auch und besonders für die Literaturszene. Ich hoffe, dass bald in Schulen diversere und auch aktuellere Literatur angeboten wird als Ergänzung zu den Klassikern. Oft wird bei Literatur nur an alte, meistens tote, weiße Männer gedacht. Aber Literatur ist zum Glück so viel mehr. Letztendlich geht es darum, seinen eigenen Stil allgemein und einen jeweils passenden Stil für das einzelne Projekt zu finden. Bei meinem Buch habe ich einen Stil gewählt, der leicht zu lesen ist, locker und jung.
Worum geht es in Ihrem Roman?
Im Mittelpunkt meines Buches steht ein mysteriöser Brief. Um dessen Absender oder Absenderin zu finden, begeben sich Juli und Katharina, die Hauptfiguren des Romans, auf einen Roadtrip von Berlin nach Carcassonne in Frankreich. Während des Roadtrips blickt Juli auf ihr Leben zurück, um herauszufinden, ob jemand aus ihrer Vergangenheit den Brief geschrieben hat. Was ist damals geschehen? Gewalt, zerstörte Familien und Krankheiten ließen sie fast ihr Leben beenden. Aber auch legendäre Feiern, beeindruckende Reisen und magische Konzertmomente sind Teile von Julis Vergangenheit. So erleben die beiden unvergessliche Abenteuer auf dem Roadtrip und blicken in die schönsten und traurigsten Erlebnisse von Julis Leben zurück. Ob und wenn ja, wie sie das Geheimnis des Briefes gelüftet haben, werde ich jetzt natürlich nicht verraten.
Für wen haben Sie dieses Buch geschrieben, und wie viel von Ihnen selbst ist darin enthalten? Was soll das Werk bewirken?
Ich habe dieses Buch für Frauen geschrieben, die Gewalt erfahren haben, als Unterstützung, als Anerkennung und Wertschätzung. Ich möchte ihnen zeigen, dass sie nicht allein sind, dass diese Geschichten wichtig sind und erzählt werden müssen, dass sie richtig und wichtig sind. Genauso ist das Buch für Nicht-Betroffene von Gewalt, um besser zu verstehen, was das macht, wie wir alle helfen können, oftmals mit nur ganz kleinen alltäglichen Handlungen. Mir ist dieses Buch so wichtig, da ich hoffe, dass sich andere betroffenen Frauen dadurch ein bisschen weniger allein fühlen und Nicht-Betroffene einen kleinen Einblick bekommen, zu welchen schlimmen Folgen Gewalt führen kann und dass selbst „dahin gesagte Sätze“ für Gewaltbetroffene sehr verletzend sein können. Das Buch soll Mut machen, Unterstützung und Information sein. Für mich sind Gewalt gegen Frauen und Empowerment von Frauen Herzensthemen, weil ich selbst erlebt habe und mit ansehen musste, wie verheerend Gewalt sein kann, wie wundervoll Frauen aber auch aufblühen können, wenn sie die richtige Unterstützung erhalten.
Das Buch soll daher im besten Fall auch eine Diskussion auslösen, um das Thema Gewalt gegen Frauen sichtbarer zu machen. Ganz wichtig ist jedoch, dass dieses Buch nicht permanent traurig, schrecklich und schmerzhaft ist. Ja, das macht Gewalt. Ja, das ist daher ein Teil des Buches. Aber das Buch greift Gewalt im großen Kontext auf. Daher werden hier auch andere Themen angesprochen. Zudem ist das Buch so aufgebaut, dass die übergeordnete Handlung ein Roadtrip ist und innerhalb dessen jeweils abwechselnd eine positive und eine negative Geschichte erzählt wird. Daher ist dieses Buch auch voller Freude, Glück, Mut, Leichtigkeit, Begeisterung und Ekstase und somit auch für Menschen, die gerne ein Abenteuer erleben bzw. erlesen möchten. In dem Buch geht es um Gewalt, aber beispielsweise auch um Musik, Festivals, Feiern, Freundschaft, Tattoos, Reisen und Natur. Wenn man mich nun anschaut und meinen Lebenslauf betrachtet, sieht man Parallelen. Ich habe selbst Tattoos, war auf vielen Festivals, liebe Musik, Reisen, Sport und Natur. Roadtrips haben mich zudem schon immer fasziniert und ich habe schon einige tolle hinter mir. Ich habe viel Schlechtes durchgemacht und habe, wie so viele Frauen, Gewalt erlebt. Daher steckt auch viel von mir selbst in dem Buch. Aber es ist eben ein fiktiver Roman und keine Autobiografie. Das war mir sehr wichtig - auch um mich selbst zu schützen. Es ist daher ein fiktives Buch, mit einer fiktiven Handlung, und fiktiven Figuren.
Liegt Ihr Buch schon gedruckt vor, oder sind Sie noch auf der Suche nach einem geeigneten Verlag?
Ich habe das Buch gerade fertig geschrieben und bin nun dabei, die letzten Details durchzugehen. Daher freue ich mich sehr, danach auf Verlagssuche zu gehen. Ich möchte gerne einen zweiten Teil schreiben. Im besten Fall wird das daher eine Buchreihe, und ein Verlag möchte es veröffentlichen.
Was machen Sie, wenn Sie nicht schreiben oder reisen?
Ich liebe Sport! Schulsport habe ich jedoch gehasst. Mittlerweile mache ich zwei Mal täglich Sport, das hilft mir auch mental. Dabei bin ich immer draußen, weil ich die Natur genauso wie den Sport liebe. Ich bin daher oft in der Natur unterwegs. Zudem bin ich mit Fußball und Formel 1 groß geworden, ich liebe beides so sehr. Ich habe daher alle möglichen Rennen und Spiele gesehen und bin immer noch fasziniert davon. Das war jetzt ganz viel Liebe (lacht). Ansonsten genieße ich die Kultur und die Kunst von anderen Menschen, ich gehe u.a. auf Konzerte und Festivals zum Beispiel Rock am Ring oder das Open Flair, höre Musik, am liebsten auf meinem alten Plattenspieler oder besuche Museen und Ausstellungen.
Sie haben mit 27 Jahren schon sehr viel erreicht. Wie haben Sie das geschafft?
Ich bin sehr diszipliniert, habe eine sehr ausgeprägte Arbeitsmoral. Zudem hatte und habe ich das große Glück, großartige und beeindruckende Menschen an meiner Seite zu haben, die mich sehr unterstützt haben und immer noch unterstützen. Sie haben daher einen großen Anteil an meinem Erfolg und ich bin ihnen zutiefst dankbar. Wenn ich mir ein Ziel gesetzt habe, gebe ich 110 Prozent. Ich gehe über meine Grenzen, um das bestmögliche Ergebnis zu erreichen. Dabei musste ich erst lernen, auf meine Gesundheit zu achten und auch mal Pausen zu machen. Ein ausgeprägtes Arbeitsethos ist das eine; Tools zu kennen, wie man diesen am besten nutzt und sich dabei schützt, das andere. Mittlerweile verfüge ich zum Glück über beides. Aber ich muss mich jeden Tag selbst daran erinnern, auf mich und meine Gesundheit zu achten. Es macht mich glücklich, wenn ich mir ein Ziel setze und das erreiche. Ich stehe morgens auf, setzte mir mein Tagesziel und fühle mich abends gut, wenn ich das Ziel erreicht habe. Das klingt vielleicht langweilig, aber ich mache all das aus Leidenschaft. Es gibt jedoch auch Tage, an denen ich die totale Katastrophe bin und nichts schaffe.
Haben Sie schon immer die Leidenschaft in sich gespürt, etwas verändern zu wollen, einen Beitrag leisten, etwas erreichen zu wollen?
Ja, wenn ich mich dazu entscheide, etwas zu machen, dann brenne ich dafür. Eine Freundin meinte einmal, wir beide seien symbolisch gesehen Menschen, die Arbeitsverträge nicht mit Tinte, sondern mit dem eigenen Blut unterschreiben. Das stimmt. Für die Arbeit und für mein gesamtes Leben. Ich brenne für das, was ich mache. Ich widme mich meinen Zielen. Dabei bin ich ehrgeizig und entschlossen, ein hard worker, wie man im Englischen sagt. Aber ich bin fair. Ich will gewinnen, aber ich will fair gewinnen. Mit einem Team zusammen, auf Augenhöhe.
Wie sieht dabei Ihre Arbeitsweise aus?
Wir sind ein Team. Selbst wenn ich ein Projektteam leite oder beispielsweise eine Lehrveranstaltung gebe, sehe ich mich nicht als besser oder wichtiger an; ich möchte meine Macht nicht ausnutzen. Vielmehr versuche ich zu moderieren, die jeweiligen Stärken jeder Person hervorzuheben, einen Safe Space für alle zu erschaffen, eine Arbeitsatmosphäre, die durch zielführende Kommunikation, Wertschätzung, Anerkennung, Motivation, Freude und Respekt gekennzeichnet ist und gerade dadurch produktiv wirkt. Es gibt ja diesen Spruch: „Behandle die anderen Menschen so, wie du behandelt werden möchtest.“ Aber das passe ich etwas an, ich versuche sie so zu behandeln, wie sie behandelt werden möchten. Nur weil ich beispielsweise gerne mit viel Freiheit arbeite, heißt das nicht, dass das für alle anderen auch die besten Arbeitsbedingungen sind; wenn sie daher lieber mit festen Strukturen arbeiten möchten, versuche ich, ihnen das zu bieten.
Weiterführende Informationen:
https://www.re-empowerment.de/
https://staerker-als-gewalt.de/
https://m.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/300890/gewalt-gegen-frauen