Dr. Bernd Slaghuis

Dr. Bernd Slaghuis

for Job & Karriere, berufliche Neurorientierung, Bewerbung

Jobwechsel Ü 50: Wie Sie mit Ihrer Erfahrung treffsicher punkten

Bild: 123rf.com

Über 50 werde es mit dem Jobwechsel schwer, heißt es. Viele Bewerber werden so zu Bittstellern und wundern sich, dass sie nur Absagen erhalten. In welchen Jobs Sie mit Ihrer Erfahrung richtig punkten und warum Sie als Bewerber offensiv über Ihr Alter sprechen sollten, das erfahren Sie hier.  

Mein heutiger Beitrag ist womöglich unbequem für alle, die mit 50+ aktuell auf Jobsuche sind und über den Arbeitsmarkt schimpfen: Dass kein Arbeitgeber mehr Berufserfahrung wertschätzt, allerorts Recruitingsysteme schonungslos jeden ab 40 aussortieren, junge Hüpfer in der Personalabteilung keine Ahnung haben und der Führungskräftenachwuchs älteren Bewerbern als Mitarbeitern nicht über den Weg traut.

Ja, es ist leicht, derart pauschalisierend allen Arbeitgebern dieser Welt erbost den schwarzen Peter zuzuschieben und als armes Opfer der Umstände den Kopf in den Sand zu stecken, wenn es mit dem Jobwechsel mit über 50 nicht auf Anhieb funktioniert. Denn wer möchte schon gern an die Selbstverantwortung für sein eigenes Leben erinnert werden? 

Meine Erfahrungen mit Jobwechslern sind eindeutig: Wer seine reichhaltige Lebens- und Berufserfahrung richtig zu schätzen weiß, der kann und wird Arbeitgeber sowie Positionen finden, bei denen wertvoll ist, was vorhanden ist. Nicht als selbst ernanntes Opfer auf dem Abstellgleis, sondern als Gestalter des eigenen Lebens. 

Arbeitgeber auf Verjüngungskur - was soll's?

Bevor Sie mir nun vorwerfen, vom Arbeitsmarkt keine Ahnung zu haben: Sicherlich gibt es Unternehmen da draußen, die in ihrer Personalpolitik hinter verschlossenen Türen abseits des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes entschieden haben, keine Bewerber ab einem definierten Alter mehr einzuladen. Sicherlich gibt es ebenso junge Führungskräfte, die ein persönliches Problem damit haben, ältere Kollegen für ihr Team einzustellen. Und sicherlich gibt es manche Recruiter, die frische Abschlüsse und den roten Faden im Lebenslauf zur Sicherheit 20 Jahren beeindruckend bunter Berufserfahrung vorziehen.

Ja, auch ich beobachte, dass unter dem Deckmantel der Digitalisierung und trendigem New Work mit Homeoffice bei manchen Arbeitgebern und insbesondere in den alten Konzernzentralen hier und da der Jugendwahn ausgebrochen ist. Wir befinden uns offenbar in einer Zeit, in der jungen Menschen mehr Innovationskraft und frischere Energie für den vielerorts dringend notwendigen Wandel zugetraut wird als älteren Berufs- und Lebenserfahrenen.

Doch so sehr ich persönlich diese Entwicklung für Arbeitgeber als zu kurz gedacht und strategisch falsch erachte, so schädlich sind oberflächliche Verallgemeinerungen und eine Flucht in eine Opferhaltung auf Bewerberseite. Ich bin der Meinung: Sollen doch manche Arbeitgeber auf Verjüngungskur ihre Erfahrungen machen, solange wir selbst unsere Berufs- und Lebenserfahrung nicht entwerten. 

Wer seine Berufserfahrung und Seniorität nicht zu schätzen weiß, steht sich als Bewerber selbst im Weg

Ich habe in den vergangenen Jahren über 1.000 Klientinnen und Klienten bei ihrer beruflichen Neuorientierung und Bewerbung begleitet – schätzungsweise die Hälfte von ihnen war älter als 50. Ich beobachte, dass die Bewerbungsphase mit steigendem Alter länger wird und es auch mal sechs bis zwölf Monate bis zum neuen Jobantritt dauern kann – was sich viele in diesem Alter auch leisten können. Doch der fest in ihren Köpfen verankerte Glaubenssatz, mit über 50 keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt zu bekommen, der ist definitiv falsch. Im Coaching höre ich von langjährig Berufserfahrenen immer wieder diese und ähnliche Gedanken: 

  • „Ist mein Fachwissen noch etwas wert, oder muss ich fix einige Weiterbildungen belegen oder sogar nochmal studieren, um eine Chance zu haben?“
  • „Die 20 Jahre Berufserfahrung, das ist doch alles nichts Besonderes. Wer von der Uni kommt, der bekommt doch heute viel schneller einen neuen Job.“
  • „Wenn ich in meinem Altern nicht mehr wechseln kann, sollte ich mich zur Not selbstständig machen … aber mit was nur?“
  • „Muss ich jetzt in meinem Alter irgendeinen Job auch unter meinem Niveau annehmen und auf Gehalt verzichten, um überhaupt einen Wechsel zu schaffen?"

Es sind solche Gedankenmuster - oft mit unbewusstem Hang zur Verallgemeinerung, in denen sie gefangen sind und sich so selbst im Weg stehen. "Frisches Fachwissen zählt überall mehr als langjährige Berufserfahrung. Jeder Arbeitgeber sucht lieber den günstigen, formbaren Absolventen als den unbequemen, teuren alten Arbeitnehmer. Es wird immer einen anderen Bewerber geben, der jünger und besser geeignet ist." Spätestens dieses Totschlagargument ist Grund genug, gar nicht erst auf Jobsuche zu gehen. Und so wird für sie jede weitere Absage zum besten Beweis dafür, dass der Jobwechsel 50+ niemals klappen wird. 

"Herr Slaghuis, bin ich mit über 50 ein hoffnungsloser Fall?"

Gefühlt jeder zweite Klient 50+ sucht von mir im Coaching die Bestätigung dafür, ein besonders schwieriger Fall zu sein und im Arbeitsmarkt ganz sicher niemals wieder eine Chance zu bekommen. Ein Zeugnis, das ich aus Überzeugung und Erfahrung niemandem ausstellen kann. Weil es nicht nur faktisch falsch wäre, sondern auch den Menschen mir gegenüber weiter abwerten und in der Rolle als Jobwechsler schwächen würde. Welcher Arbeitgeber freut sich schließlich über Bewerber mit dem Prädikat "Besonders schwieriger Fall"? 

Mit den meisten Bewerberinnen und Bewerbern arbeite ich daher intensiver daran, wieder zu einem gesunden Bewusstsein über ihre Erfahrungen und Stärken sowie einer wertschätzenden Haltung sich selbst gegenüber zu finden, als nur ihre Unterlagen mit schickem Design auf Vordermann zu bringen. Wer schließlich nicht an sich selbst glaubt, der kann - egal in welchem Alter - keinem Arbeitgeber dieser Welt das sichere Gefühl vermitteln, das notwendig ist, um eine gute menschlich persönliche sowie auch unternehmerisch wirtschaftliche Entscheidung für die gemeinsame Zukunft zu treffen. 

Stellensuche 50plus: Wo Erfahrung und Persönlichkeit mehr zählen als der frische Uni-Abschluss oder Zertifikate

Mit seinem Lebenslauf selbst für sich im Reinen zu sein und sein umfangreiches Erfahrungswissen sowie die eigenen Stärken und Talente wortwörtlich wertzuschätzen, das ist die Basis. Ohne Tschakka und rosarote Brille, sondern durch ehrliche Reflexion: Was hat die vielen Jahre im Beruf geprägt und in welchen Branchen oder Themen kennen Sie sich aus? Was haben Sie bereits alles erlebt und erreicht, welche schwierigen Situationen haben SIe gemeistert und worauf sind Sie stolz? Auf welchen Ebenen in Unternehmen haben Sie sich bewegt - national oder international, welche Erfahrungen haben Sie in Projekten gesammelt, was haben Sie alles konzipiert, geplant oder koordiniert? Kurzum: Was unterscheidet Sie heute von dem 21-jährigen Uni-Absolventen?

Doch erst die gezielte Suche nach Positionen und Arbeitgebern, die Ihre wertvollen Ressourcen als erfahrene:r Arbeitnehmer:in wirklich zu schätzen wissen, führt zum Erfolg. Wer sich stattdessen aus gewohnter Frustration oder systematisch schräger Suche weiterhin auf Stellen mit gefordert idealerweise zwei Jahren Berufserfahrung oder auf unqualifizierte Quereinsteiger-Stellen für Jedermann bewirbt, hat keine Chance. Weil es wieder nicht passt.

Ja, die gezielte Recherche nach Arbeitgebern mit Jobs für Erfahrene ist aufwendiger und verlangt mehr Kreativität als die täglich monotone Sichtung der immer gleichen Stellenbörsen. Doch es gibt sie, die Aufgaben, die wie gemacht sind für Jobwechsler über 50: 

  • Wo Lebens- und generalistische Berufserfahrung mehr zählen als Spezialwissen oder Zertifikate, etwa im Kontakt mit Kunden, Dienstleistern, in Schnittstellen-Funktionen oder großen Projekten. 
  • Wo eine Vertrauensbeziehung zu anderen Menschen oder das Vertrauen in Produkte/Dienstleistungen durch Expertise und Seniorität wichtig sind.
  • Wo Führung kein Nebenjob, sondern verantwortungsvolles Management als Garant für den Erfolg eines Teams ist. 
  • Wo Loyalität, Integrität und starke Persönlichkeit Erfolg im Beruf ausmachen. 
  • Wo tiefe oder breite Branchen- oder Produktkenntnisse als Expertenwissen mehr zählen als der frische Bachelorabschluss von Digital Natives.

Wer sich dies als Jobwechsler 50+ bewusst macht, so ausgestattet mit eigener Klarheit gezielt sucht und diese in den Arbeitsmarkt kommuniziert, der findet einen neuen Job. Eigene Klarheit, die gezielte Suche sowie eine ehrliche Kommunikation sind der Schlüssel zum neuen Job. 

Bewerbung: Je gelassener Sie mit Ihrem Alter umgehen, umso mehr sind Ihre Erfahrung und Persönlichkeit wert 

Transportieren Sie in der Rolle als Bewerberin oder Bewerber Ihr vielschichtiges Erfahrungswissen durch einen aussagekräftigen Lebenslauf - und das dürfen dann auch mehr als zwei Seiten sein. Schaffen Sie mit einem wortwörtlich selbst-bewussten Anschreiben Klarheit darüber, was Ihnen in Ihrem Alter heute und in den nächsten Jahren im Beruf besonders wichtig ist und was Sie als "alter Hase" Wertvolles für die Position mit- und in ein Team einbringen. 

Machen Sie Ihren Lauf des Lebens mit allen seinen Facetten und Ereignissen sowie Stärken und Erfahrungen zu Ihrer persönlichen "Bewerber-Story", statt als eingeschüchterter Bittsteller unauffällig Ihr Alter zu vertuschen. Suchen Sie gezielt nach Stellen, in denen Ihr Erfahrungswissen und Ihre ausgeprägte Persönlichkeit einen Wert besitzen, statt panisch möglichst viele Bewerbungen kreuz und quer zu verschicken. Besprechen Sie mit potenziellen Führungskräften im Vorstellungsgespräch, was Sie von einem Arbeitgeber erwarten und klären Sie, woran konkret dort ihr Erfolg in diesem Job gemessen werden wird. 

Schließlich wissen Sie in Ihrem Alter ja selbst am besten, worauf es bei der Auswahl eines neuen Jobs und passenden Arbeitgebers besonders ankommt.

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Was ist Ihre Meinung zum Thema oder was haben Sie selbst als Jobwechsler 50+ bereits erlebt? Ich bin gespannt auf Ihre Kommentare unten👇

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Weitere Beiträge zu Jobwechsel & Bewerbung finden Sie hier auf XING in der Artikel-Sammlung sowie in meinem Karriere-Blog und meiner SPIEGEL-Kolumne.

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Karriere- und Business-Coach, Dr. Bernd Slaghuis

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Karriere ist heute mehr als nur "höher, schneller, weiter". Seit 2011 habe ich über 1.800 Angestellte bei ihrem nächsten Schritt im Beruf begleitet. Von der Neuorientierung und Bewerbung bis zum Onboarding. Meine Erfahrungen teile ich hier als XING Insider, auf meinem Blog und als SPIEGEL-Kolumnist.
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