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Klick: Wie wir in der digitalen Welt die Kontrolle behalten

Viele Sachverhalte sind nur schwer zu durchschauen, doch es muss eine Vielzahl von Entscheidungen getroffen werden. Das ist besonders schwierig, weil niemand Genaues weiß aufgrund vieler unbekannter Faktoren und Risiken.

In solchen Situationen funktionierten menschliche Experten oft besser als Algorithmen. Sie sind lediglich dann erfolgreich, wenn die Welt bzw. Problem stabil ist. So gelten beim Schach die Regeln „gestern und morgen wieder. Da kann niemand die Regeln verletzen. In dieser Welt sind uns Algorithmen inzwischen weit überlegen“, betont Gerd Gigerenzer, Direktor emeritus am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin und Direktor des Harding-Zentrums für Risikokompetenz an der Universität Potsdam. Häufig wird uns suggeriert, dass Algorithmen für uns alles entscheiden könnten - doch sie funktionieren am besten unter bekannten Risiken, nicht unter Ungewissheit.

Gigerenzer ist davon überzeugt, dass der Umgang damit auch eine zentrale Aufgabe für das Bildungssystem ist. Das beginnt bereits in den Schulen: Schülerinnen und Schülern wird vor allem die Mathematik der Sicherheit (Algebra und Geometrie) beigebracht, doch die Mathematik der Ungewissheit (statistisches Denken) wird vernachlässigt. Studien belegen, dass wir in einer Gesellschaft leben, die nicht darauf vorbereitet ist, statistisch zu denken. Bis zur Corona-Pandemie hätten wir Anlass gehabt zu lernen, Risiken besser zu verstehen, doch für die Bildungspolitik der meisten Länder war Risikokompetenz – die Fähigkeit, mit Risiken und Ungewissheiten umzugehen – kaum kein Thema.

Dazu gehört das Verständnis, dass es kein Nullrisiko gibt und sich Risiken erkennen und gegeneinander abwägen lassen. Mathematik wurde nur gestreift. Und so war es schließlich kein Wunder, dass auch viele Erwachsene Zahlen nicht verstehen und kaum wissen, wo verlässliche Evidenz zu finden ist. Schließlich wurden Vertrauen und Ängste zum Spielball von Medien und Politik (die Zahlen auch oft nicht verstehen) oder auch von Verschwörungstheorien.

Menschen sind selbst dann in der Lage, Risiken abzuwägen. Es geht heute vor allem darum, sie zu akzeptieren und informiert mit ihnen umzugehen. In seinem aktuellen Buch „Klick. Wie wir in einer digitalen Welt die Kontrolle behalten und die richtigen Entscheidungen treffen“ zeigt Gigerenzer, in welchen Situationen Algorithmen zu besseren Ergebnissen kommen und in welchen Menschen. Als Beispiel nennt er „predictive policing“, Algorithmen, die Straftaten vorhersagen oder prognostizieren sollen, wer sie begehen wird: „In diesen Bereichen sind die Algorithmen nicht besonders gut und werden sie auch nicht sein.“ Wie seine früheren Bücher „Bauchentscheidungen. Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition“ (2007) und „Risiko. Wie man die richtigen Entscheidungen trifft“ (2013) ist auch „Klick“ ein leidenschaftliches Plädoyer für die Erhaltung von Freiheit und Demokratie.

Nach seiner Einschätzung führt mehr Einsicht in die Funktionsweise von bestimmten Produkten der Digitalisierung dazu, die Kontrolle über diese zu behalten. Bei Suchmaschinen wie Google sind die ersten Einträge häufig nicht die relevantesten für die Suchanfrage, sondern vermutlich von Firmen, die dafür am meisten bezahlt haben. Das sei für Gigerenzer allerdings kein Grund, die Suchmaschine gleich zu wechseln: Es würde schon genügen, dies zu verstehen und nicht einem „Klickzwang“ zu unterliegen. Auch sollten Meinungen und Vermutungen von Maschinen nicht pauschal zu Wissen erhoben werden.

Eine fruchtbare Kooperation zwischen Mensch und Maschine funktioniert nur, wenn wir über digitale Kompetenzen und Wissen verfügen: „Smart bleiben heißt, die Möglichkeiten und Risiken von digitalen Technologien zu verstehen und entschlossen zu sein, in einer Algorithmen bevölkerten Welt die Kontrolle zu behalten.“ Das Internet sollte seiner Meinung nach neu gedacht und die auf Überwachung beruhenden Geschäftsmodelle beseitigt werden. Worauf es wirklich ankommt: „Der digitalen Technologie bewundernd auf Augenhöhe begegnen, statt mit unbegründeter Euphorie oder Argwohn. Um die digitale Welt zu einer Welt zu machen, in der wir leben möchten.“

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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