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Komplizen der Schönheit

Karl Lagerfeld, der letzte große Pariser Modestar, konnte die Welt durch verschiedene Brillen sehen und sich etwas vorzustellen, was sich niemand zuvor ausgemalt hat. Menschen wie er verknüpfen unablässig neue Ideen und verbinden sich mit wesensverwandten Partnern. Lagerfeld war der „Taubenschlag“, bei dem die Ideen ein- und ausflogen. Ihn interessierte alles, und er behielt sich wie alle Lebenskünstler die Freiheit, mehrere zu sein. Er schöpfte allerdings nicht allein aus sich selbst, sondern „verwandelte“ sich alles an: Erlebtes und Erlesenes, das durch ihn hindurch ging und sich zu etwas Neuem fügte. Er wollte sich niemals selbst zitieren und das Gleiche machen, um niemals sagen müssen: „Karl, du wiederholst dich nur noch, du bist am Ende.“

Sein künstlerischer Stil war deshalb genauso abwechslungsreich wie sein Geist. Je mehr er machte, desto mehr Ideen hatte er auch. Er hielt sie zuerst in der Zeichnung fest, denn damit konnte er in ganz andere Dimensionen vordringen. Indem er ständig zeichnete, fand er leichter neue Ideen. Die Menschen, mit denen er im Modebereich zusammenarbeitete, konnten sie so lesen, als würde das Modell vor ihnen stehen. Lagerfeld illustrierte aber auch Texte, die er besonders geschätzt hat. Karl Lagerfeld wurde 1938 als Sohn des Hamburger Dosenmilch-Fabrikanten (Glücksklee-Milch-GmbH) Otto Lagerfeld und dessen Frau Elisabeth geboren. 1953 brach er die Schule ab, um im Alter von 14 Jahren mit seiner Mutter nach Paris zu reisen und sich dort niederzulassen. Seine berufliche Karriere begann 1954, als er beim Internationalen Wollsekretariat für einen Mantelentwurf mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurde. Im Atelier des französischen Designers Pierre Balmain, bei dem er seine erste Anstellung erhielt, absolvierte er von 1954 bis 1957 auch eine Schneiderlehre. 1963 wechselte Lagerfeld als künstlerischer Direktor zu Chloé, wo er auch zahlreiche Pelzmodelle für Fendi entwarf und Kreationen für das Label Coco Chanel schuf. 1974 gründete der Designer in Deutschland sein erstes selbständiges Unternehmen unter dem Namen "Karl Lagerfeld Impression".

Von 1978 bis 1982 arbeitete er als freier Designer für diverse Häuser. 1983 wurde er Chef-Designer von Chanel. Ab 1987 war Lagerfeld auch für weitere Textilhersteller tätig, mit denen er unter dem Label "KL" Kollektionen produzierte. Inzwischen hat sich die Marke „Karl Lagerfeld“ als alltagstaugliches Angebot für alle Fans etabliert: Taschen, Schuhe, Schmuck, Duftkerzen, Stofftiere und Uhren sind dank seines Schriftzugs mit seiner Geschichte und Aura aufgeladen, die Menschen dazu bringt, die Produkte zu kaufen. Mit seiner Birma-Katze Choupette war er nicht mehr seine eigene Abstraktion. Die Katze war für ihn das wärmende Symbol seiner Freiheit und seiner zurückgeholten Kindheit, denn er wurde zu Hause nie eingeschränkt, hat sich selbst erzogen, konnte sich dem widmen, was er gern tat und wurde niemals unter Druck gesetzt. Aus diesem unermesslichen Erinnerungsschatz speiste sich seine Kreativität und Neugier. Lagerfeld starb am 19. Februar 2019 in Neuilly-sur-Seine im Alter von 85 Jahren.

Präsentiert werden auch seine Menschen und Lieben, darunter Anna Piaggi, Francine Crescent, Laure de Beauvau, Liliane de Rothschild, Pierre Bergé, Yves Saint Laurent, Gilles Dufour, Vincent Darré, Guy Bourdin und Andrée Putman sowie seine Mutter Elisabeth und sein Freund Jacques de Bascher. Patrick Hourcade war künstlerischer Leiter der Vogue Paris, bevor er sich der Fotografie widmete. Seine jüngste Ausstellung, Nuits Versailles, fand 2021 in der Galerie Gradiva in Paris statt. Als multidisziplinärer Künstler schafft er Installationen (The Ephemeral Ribbons im Château de Vaux-le-Vicomte, 2016), Szenografie (Feste und Unterhaltung am Hof in Versailles, 2016) und veröffentlicht Bücher (Ad Vitam Aeternam, Éditions de Maule, 2017). Patrick Hourcade begegnete Lagerfeld 1976. Beide verband ihr zurückhaltendes Wesen als Einzelgänger, beide waren vom Sternzeichen Löwe: „unabhängig, verschlossen und sensibel, und wir zogen uns gern in unser Schneckenhaus zurück.“ Sie träumten von einer schönen Welt („klug, ideal und witzig“), liebten die Kultur und das Morgen, vergaßen aber schnell das Gestern. Es entstand eine tiefe Freundschaft, die mehr als zwanzig Jahre dauerte und wesentlich von ihrer beider Begeisterung für die Kunst das 18. Jahrhundert geprägt war. Gemeinsam erschufen sie mit dem Schloss von Grand-Champ in der Bretagne, dem Hôtel Pozzo di Borgo in Paris und der Villa La Vigie an der Côte d’Azur eine verborgene Welt und ein Universum voller Luxus und Extravaganz. Er widmet sich vor allem vor allem Lagerfelds Bestreben, sich von allen Banalitäten des Lebens fernzuhalten. Symbolisch zeigt sich dies auf einem Foto, das Lagerfeld im Park auf einem vergoldeten barocken Holzstuhl zeigt: Er berührt weder den Boden, noch zerdrückt der die hinabgefallenen Blätter, die er gar nicht wahrnimmt. In seinem letzten Brief an ihn schrieb Lagerfeld, dass beide sehr weltfremd gewesen seien. Rückblickend zeichnet Hourcade kein verklärendes, sondern ein realistisches Bild von Lagerfeld, für den Humor war seine Waffe gegen Depression und die Lüge das „Mittel gegen jede Art von Aufregung“ war.

Seine Lieblingsheldin war Kriemhild, in der Nibelungensage die Frau von Siegfried, die sich im Laufe der teutonischen Sage zu einer Rächerin wandelte. Lagerfeld war auch ein Rache-Modezar, der alle menschlichen Gefühle, die normalen und vertrauten, die krankhaften und bösartigen, die guten und bösen in sich vereinte: „Wenn jemand sich einen Schritt außerhalb deines Universums bewegte, hast du ihm ebenfalls den Stuhl weggezogen und Verrat gebrüllt.“ Auch verbreitete Lagerfeld Horrorgeschichten über Menschen, die ihm nicht passten. Am Ende wird Patrick Hourcade versöhnlich und verweist darauf, dass Lagerfeld Goethe gern zitiert und diese Empfehlung aus „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ beherzigt hat:

„Da man alt ist, muss man mehr tun, als da man jung war.“

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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