Kreative Veränderung ist wie Radfahren. Man verlernt es nie
Ein Busfahrer in Osnabrück sagte auf die Frage, was ihm seine Arbeit bedeute: Ich sorge in meinem Beruf dafür, dass Tausende Schülerinnen und Schüler sicher zur Schule kommen und lernen können.
Bedürfnisse
Mit Arbeit erfüllen wir Bedürfnisse von Menschen. Wir brauchen sauberes Wasser und nahrhaftes Essen. Wir wünschen uns Gesundheit, Anerkennung, Glück, Freunde, ein warmes Zuhause, Mobilität, Sicherheit und Frieden. Alle Menschen weltweit haben diese Grundbedürfnisse, darin sind wir gleich.
Unterschiedlich ist, wie wir Bedürfnisse erfüllen. Wir kochen mit unterschiedlichen Zutaten. Wir singen diverse Lieder in 7100 Sprachen. Ich liebe den britischen Sänger Howard Jones, die Berliner Elektronikband Moderat und den dänischen Psy-Trance-DJ Michell B. Reich. Das passt bestimmt nicht zu deinem/Ihrem Geschmack. Und doch verbindet uns die Liebe zu der eigenen Lieblingsmusik, denn auch Musik, Filme, Spiel und Spaß sind allgemeine Bedürfnisse weltweit.
Streichen schafft Platz
Unser Leben ist der Grund, warum wir arbeiten. Arbeit ermöglicht Leben, so wie der Busfahrer die Schulkinder fördert. Was wäre, wenn wir nur noch die Arbeit tun, die gut für uns und andere ist? Welche Arbeit können wir streichen, weil sie ungesund und überflüssig ist? Streichen ist kreative Arbeit, und sie schafft Platz.
Immer mehr Kohlekraftwerke werden gestrichen. Dafür nutzen 82 Prozent der Kraftwerke, die 2020 weltweit neu ans Stromnetz angeschlossen wurden, erneuerbare Energien wie Solarenergie und Windkraft. Solarstrom ist seit 2019 die günstigste Energiequelle. Der Preis ist in nur zehn Jahren um 89 Prozent gesunken. Diese Arbeit ist mehrfach wertvoll, denn Solarstrom ist auch gut für die Mitwelt.
Kreatives Handeln
Von der Mitwelt zu reden statt von der Umwelt, ist auch kreative Arbeit. Sprache beeinflusst unser Denken und Handeln. Die Tuwiner, Nomaden in der Mongolei kennen gar kein Wort für Umwelt. Sie sagen Mitwelt und begreifen sich als Teil der Natur. Für Tuwiner ist alles verwandt, berichtet die Ethnologin Amélie Schenk. Alte Worte zu streichen und passende Worte zu schaffen, ist kreatives Handeln.
Kreatives Handeln ist wie Radfahren. Jede*r kann es lernen, und wer es kann, verlernt es nie wieder.Martin Gaedt
Wer Radfahren gelernt hat, kann sich überall mit der eigenen Energie im passenden Tempo fortbewegen. Wer gelernt hat, Altes zu streichen und Neues umzusetzen, ist handlungsfähig.
Bewegende Arbeit
Kreative Arbeit ist die Weiterentwicklung und Bewegung im eigenen Tempo. Das passt zur permanenten Bewegung im menschlichen Körper. 37 Billionen Zellen arbeiten in uns, um lebenswichtige Stoffe zu transportieren. Und in den Zellen tummeln sich Proteine. Alle schuften für uns. Die Arbeit der Zellen und Proteine ermöglicht unser Leben.
Genauso wie sich in uns alles bewegt, brauchen wir außen eine Arbeit, die etwas bewegt, um unsere Bedürfnisse einfacher, besser, sinnvoller, schöner, humorvoller, entspannter, gesünder, tier- und menschenfreundlicher, mitweltschützender und ressourcenschonender zu erfüllen. Diese Optionen zu entdecken ist Arbeit.
Arbeit bis zum Mainstream
1839 entdeckte Alexandre Edmond Becquerel den Effekt, der heute als Photovoltaik bezeichnet wird. 1954 wurde die erste Solarzelle mit Silizium gebaut, der Wirkungsgrad betrug damals sechs Prozent. Und erst seit 2019 ist Solarenergie die günstigste Stromquelle. Solarstrom kann nun der neue Mainstream werden.
Viel länger dauerte der Bau des Kölner Doms. Im August 1248 wurde der Grundstein des Doms gelegt. Als das Geld knapp wurde, gab es einen Baustopp, der rund 300 Jahre dauerte. Erst 632 Jahre nach der Grundsteinlegung wurde das Kölner Denkmal im Oktober 1880 feierlich eröffnet.
Vier Phasen einer Idee
Wer die Welt mit einer umgesetzten Idee bewegt, hat bereits viel Arbeit, Zeit und Geld investiert und viele Menschen für das neue Vorhaben gewonnen. Die Arbeit am Neuen ist immer eine Entwicklung vom Baby zum Erwachsenen und durchläuft vier Phasen:
Baby – hat unbekannte Potenziale und mögliche Talente.
Kind – probiert voller Neugier alles aus, Talente entdecken.
Jugendlich – entdeckt den eigenen Weg gegen Widerstände.
Erwachsen – etabliert, der neue Status quo und Mainstream.
Etablierung
Diese Entwicklung in vier Phasen kann viel schneller gehen als bei der Solarenergie. 1995 startete innerhalb weniger Monate die Aktion „Schaustelle Berlin“. Im Sommer wurden Hunderttausende Gäste auf Berliner Großbaustellen begrüßt. Berühmt wurde auch die rote Info-Box am Potsdamer Platz. Sechs Jahre lang wurden dort Modelle der geplanten Architektur und die Fortschritte auf den Baustellen gezeigt. Auch die „Lange Nacht der Museen“ entsprang diesem Spirit des Öffnens. Sie fand 1997 erstmals in Berlin statt und fand Nachahmer in mehr als 50 Städten in Deutschland, Europa und weltweit.
Ich bin ein Fan von Etablierung. Die Etablierung von fließendem Wasser und von Impfungen gegen Masern, Polio, Typhus, Windpocken hat sehr zur gestiegenen Lebenserwartung beigetragen und auch zum Überleben. Mitte des 19. Jahrhunderts starben in Deutschland noch 50 Prozent der Kinder. Heute liegt die Kindersterblichkeit in Deutschland bei unter 0.4 Prozent.
Stadtentwicklung und medizinischer Fortschritt folgen einem Muster. Sie wollen den Status quo verändern und verbessern.
Gekonnt gestalten
Dazu vertiefen, streichen, steigern und mixen Menschen neue Optionen. Sie testen dann ihre Ideen in Experimenten und kommen mit neuen Angeboten, Erkenntnissen und Regeln in die bekannte Welt, um etwas Neues zu etablieren. Diese kreative Veränderung – vom Baby bis zum Erwachsensein – ist wie Radfahren. Wer es lernt, kann gekonnt gestalten.
Handlungsfähigkeit gewinnt an Bedeutung, um im schnellen Wandel gesund und glücklich arbeiten und leben zu können.
Was bewegt dich? Was bewegt Sie?
Was bewegst du? Was bewegen Sie?