Mein Traumberuf hat mich fast das Leben gekostet

Die Geschwindigkeit, das Adrenalin, die geschärften Sinne – es gibt nichts, was für mich einem Formel-3-Rennen gleichkommt. Rennfahrerin zu sein bedeutet mir alles, es ist meine ungeschlagene Leidenschaft, mein absoluter Traumjob.

Aber eines will ich gleich klarstellen. Für diesen wie vermutlich auch für jeden anderen Traumberuf gilt: Ohne Disziplin und harte Arbeit wird das nichts. Wer gechillt und ohne Aufwand erfolgreich und glücklich werden möchte, wird scheitern, egal in welcher Branche. Aus meiner eigenen Rennkarriere kann ich allerdings auch eines berichten: Es fällt leichter, an einer Sache dranzubleiben, wenn sie Freude macht und wenn sie den eigenen Talenten und Wünschen entspricht. Dafür musst jeder selbst aber erst mal erkennen, wofür er oder sie brennt.

Um diese Leidenschaft zu entdecken, braucht jeder von uns passende Vorbilder. Und um den Traum wahr werden zu lassen, braucht man Förderung. Das gilt für jeden Berufsweg, für den man sich begeistert. Jugendliche brauchen einfach das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein, müssen wissen, dass andere an sie glauben. Und wenn man zum Beispiel nicht Bankkauffrau, sondern Rennfahrerin werden will, braucht man vielleicht noch etwas mehr von diesem Gefühl.

Gerade in meinem Beruf habe ich immer wieder gespiegelt bekommen, dass der eigene Traum falsch ist. Oft habe ich als Mädchen Blicke und Fragezeichen bekommen, die man als Junge nicht im Ansatz kennt. Ist man als Frau den körperlichen Belastungen im Rennsport gewachsen? Ist man hart genug für einen Sport, in dem Durchsetzungsvermögen so wichtig ist? Ist man als Frau nicht zu emotional, um in kritischen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren?

Zum Glück habe ich einen Vater, der sich nie um Rollenbilder geschert hat. Als ich drei Jahre alt war, setzte er mich in ein Kart – von da an war ich auf dem Weg. Gemeinsam mit meiner Familie hat mein Vater meine gesamte Karriere bis heute unterstützt und gefördert, ist bei fast allen Rennen dabei und ständig bemüht, Sponsoren zu finden, die an mich glauben. Für meine Familie hieß das oft, auf Urlaube zu verzichten, um das Geld stattdessen in neue Reifen und in mein Rennmaterial zu investieren.

Heute, gut 16 Jahre später, kann ich sagen, dass ich den richtigen Weg eingeschlagen habe. Und das, obwohl ich die vergangenen zwei Jahre sehr viel Pech hatte und mein schwerer Rennunfall in Macau mich 2018 fast das Leben gekostet hätte. Damals war ich mit Tempo 276 seitlich mit einem Mitrennfahrer kollidiert, hatte mich überschlagen und dabei auch die Wirbelsäule angebrochen. Dieser Unfall hat mich in meiner Karriere um ein Jahr zurückgeworfen. Doch nach meiner Genesung gelang mir mein Comeback, für das ich 2020 sogar mit einem Laureus World Sports Award geehrt wurde. So viel zum Thema, als Frau den körperlichen und seelischen Belastungen nicht gewachsen zu sein …

Natürlich braucht es zwischendurch Erfolgserlebnisse. Die bekommt man aber nur, wenn man dranbleibt. Im September bin ich mit meinen Kolleginnen Tatiana Calderón und Beitske Visser die legendären 24 Stunden von Le Mans gefahren und Neunte geworden. Wir haben damit als reines Frauenteam Geschichte geschrieben. Es ist das beste Ergebnis eines Damenteams in Le Mans seit 43 Jahren. Das gibt unglaublichen Auftrieb.

Nichts auf der Welt sollte Jungen oder Mädchen davon abhalten, einen vermeintlich dem anderen Geschlecht zugeordneten Beruf zu wählen. Doch bestimmte Widerstände halten nach wie vor viele Mädchen davon ab, den Schritt in den Motorsport zu wagen. Und manchen Jungen vielleicht, sich mit sozialen oder Jobs in der Pflege zu beschäftigen.

Im Bestfall ist der Beruf eine Berufung und unabhängig vom Geschlecht

Mein Ziel war nie, reich oder berühmt zu werden. Ich bin Sportlerin, und mein Fokus liegt darauf, als Erste die Ziellinie zu überqueren. Auf der Rennstrecke zählt kein Vorurteil, da zählt nur Leistung. Und das sollte in jedem Beruf so sein. Mittlerweile fahre ich mein erstes Jahr in der Formel 3, danach steht für zwei Jahre die Formel 2 an. Wenn alles nach Plan läuft, fahre ich in vier bis fünf Jahren in der Formel 1.

Ich würde mir wünschen, eines jener Vorbilder für junge Menschen sein zu können, die ich selber gern gehabt hätte. Und das nicht nur im Motorsport, sondern für alle da draußen. Beruf und Berufung – das liegt nah beieinander. Und jeder Einzelne kann nur für sich selbst entscheiden, wofür das Herz sich begeistert und welchen Beruf man mit Leidenschaft lange und erfolgreich ausüben möchte.

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Sophia Flörsch schreibt über Automobil, Marketing & Werbung, Medien, Wirtschaft & Management

Ein normales Mädchen, das seit dem vierten Lebensjahr liebend gerne Rennen gegen die Uhr und gegen Jungs fährt. Mit 12y gab ich im Formelrennwagen Gas, mit 14y gewann ich mein erstes Tourenwagenrennen in UK. Das Abitur machte mit 17y. Jetzt lebe ich Motorsport. Klares Ziel: die Formel 1 .

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