New Work und Karriere – eine Herausforderung!
Ich lebe NEW WORK seit Jahren mit seinen Höhen und Tiefen und bin überzeugt davon, dass alle Anforderungen, die NEW WORK mit sich bringt, den Arbeitsalltag der Zukunft prägen werden. Wer wie ich die Vorteile aus Überzeugung umsetzt und die Herausforderungen meistert, möchte mit keinem anderen Arbeitsmodell mehr tauschen.
Ich arbeite in meinem Büro zu Hause, im Coworking, bei Kunden, und wenn es das Wetter erlaubt, bei uns am See. Ich arbeite zeitlich sehr unterschiedlich, da ich mich nach meinen Kunden richte. Wenn es am Sonntag regnet und am Montag ist es schön, wird der Sonntag zum Arbeitstag. Für mich als Selbstständige ist das, was NEW WORK ausmacht, nichts Neues, es hat nur einen Namen bekommen.
Neu ist, dass diese Flexibilität des Arbeitsortes, der Arbeitszeit und auch der Arbeitsleistung von den Mitarbeitenden aller Unternehmensgrössen gewünscht und erwartet wird. Zuerst skeptisch dazu eingestellt, haben Firmen ihrerseits den Vorteil erkannt, denn wenn Mitarbeiter*innen ihre Stärken ausleben und ihre Fähigkeiten am richtigen Ort und zur richtigen Zeit einsetzen, wird die Produktivität des Unternehmens erhöht. NEW WORK ist auch ein Wettbewerbs-Argument für Unternehmen gegenüber Wunschkandidaten in ihrer Branche. Wer bessere Arbeitsbedingungen schafft, die Stärken der Mitarbeiter*innen fördert und auf flexible Wünsche eingeht, erwartet die besseren Kandidat*innen bei Stellenausschreibungen.
Doch ist NEW WORK für alle geeignet? Wird genügend berücksichtigt, dass es grundlegende Unterschiede bei der Einstellung zur Arbeit gibt?
Der Sinn der Arbeit war viele Jahre lang: Sicherheit zu geben, eine Familie zu ernähren und ihr ein Heim bieten zu können. Arbeit war Pflicht, Karriere war Ansehen und gesellschaftliche Positionierung. Von Montag bis Freitag/Samstag wurde gearbeitet, damit man am Sonntag in die gute Stube sitzen konnte, Zeit für Gäste hatte oder ins Restaurant ging.
Das hört sich vielleicht kleinbürgerlich an, aber es war das Leben, das viele von uns als Kinder erlebt haben. Kaum wurde damals der Sinn der Arbeit in Frage gestellt. Arbeit war ein Muss. Eine Arbeit ausüben zu können, die Freude bereitet, war ein seltener Luxus.
Dass sich flexible Arbeitszeiten, Homeoffice und das Einplanen von Sabbaticals etabliert haben, ist eine Folge der veränderten Bedürfnisse unserer Gesellschaft. Einfach ausgedrückt, es geht uns sehr gut, wir haben einen sehr hohen Lebensstandard, mehr als genug zum Essen, ein gutes Dach über dem Kopf und genügend finanzielle Mittel um uns Freizeitaktivitäten und Ferien leisten zu können.
Wer nicht in Armut, sondern im Überfluss lebt, kann sich den Luxus leisten, den Sinn der Arbeit zu hinterfragen. Wenn dann auch noch genügend Arbeit vorhanden ist, entsteht auf einmal das Bedürfnis einer Arbeit nachzugehen, die mehr Freude macht als die bisherige. Wenn der Lohn gross genug ist, weil nicht nur eine Person für die Familie verantwortlich ist, bekommt Arbeit neben der finanziellen Sicherheit den Aspekt, erfüllend zu sein und persönliche Zufriedenheit auszulösen. Noch nie haben sich so viele Frauen und Männer bereits in jungen Jahren selbstständig gemacht, um ihre eigene Vision von NEW WORK leben zu können.
In Anbetracht dieser Argumente müsste NEW WORK sehr positiv betrachtet werden, doch merke ich, dass ein Aspekt zu wenig angesprochen und berücksichtigt wird.
Nicht jeder kann, beziehungsweise möchte NEW WORK leben. Viele Menschen brauchen Struktur, brauchen Vorgaben und Kontrollen, um wirklich gute Leistung zu erbringen. Wenn jemand, der genau diese Struktur braucht, sich auf die NEW WORK Arbeitsbedingungen einlässt, ist die Entscheidung weder für Mitarbeitende noch für das Unternehmen von Nutzen. NEW WORK wird oft von diesen Personen schön geredet, die Realität der Anforderung wird hingegen zu wenig beachtet und in den Unternehmen nicht angesprochen.
NEW WORK ist auch ein Karriere-Killer für Frauen!
Flexible Arbeitszeiten und Homeoffice sind die grossen Vorteile des NEW WORK Konzeptes. Nicht am Arbeitsplatz, sondern zu Hause arbeiten, bedeutet jedoch auch, in vielen wichtigen Momenten in der Firma nicht dabei zu sein. Da Homeoffice noch immer besonders von Frauen beansprucht wird, ist genau dies einer der Schwachpunkte des sonst so guten Konzeptes.
Wer zu Hause arbeitet merkt mit der Zeit, dass viele Themen, die im Team in den Pausen oder über Mittag besprochen werden, an einem vorbeigehen. Beförderungen erfährt man oft erst wenn sie mitgeteilt werden, obwohl selbst auch Interesse vorhanden gewesen wäre.
Der Teamgeist wird immer mehr auf die Probe gestellt, je mehr Personen zeitliche Sonderbedürfnisse anmelden. Je mehr Druck in einem Unternehmen trotz Flexibilität besteht, je mehr schwindet die Bereitschaft von Kolleg*innen, auf Teilzeitkolleg*innen Rücksicht zu nehmen.
Für firmeninterne Beförderungen braucht es die Sichtbarkeit von Kandidatinnen. Je mehr Mitarbeiter*innen Homeoffice in Anspruch nehmen, umso grösser ist die Anforderung an die Führungslinie, die Arbeit zu beurteilen. Noch immer haben viele Teamleiter die Vorstellung, Anwesenheit zu beurteilen und nicht Leistung.
Die persönliche Flexibilität erfordert heute von Kolleginnen und Kollegen sehr viel Verständnis. Es geht nicht nur um Fachwissen, wie man beurteilt oder selbst auch beurteilt wird, es geht um Beobachtungen wie: Kommt die Person wirklich im besprochenen Zeitrahmen? Verlässt sie den Arbeitsplatz sauber (da ja in ein paar Minuten jemand anders dort arbeiten möchte) usw.
Aus meiner Sicht wird sich erst dann etwas ändern, wenn auch vermehrt Männer Teilzeit arbeiten oder Homeoffice in Anspruch nehmen. Dann sind Frauen weder im Unternehmen, noch im Team, noch für die Führungspersonen ein Sonderfall, sondern Normalität.
NEW WORK ist auch ein Karriere-Killer für die Generation 50+
Es gibt grosse Diskussionen über den Arbeitsmarkt 50+. Vordergründig werden die höheren Sozialkosten genannt, warum Personen über 50 keine Anstellung mehr finden. Wir sollten uns aber zuerst die Frage stellen, warum Personen über 50, die zum Teil seit Jahren im Unternehmen sind, überhaupt die Kündigung erhalten.
Viele meiner Kandidaten waren sich sehr bewusst, dass Unternehmen, die heute in einer Umstrukturierung stehen, auch die Führungspositionen neu beurteilen. Sie waren sich ebenfalls bewusst, dass die Position die sie einnahmen, heute von der Ausbildung her ein anderes Anforderungsprofil hat. Sie wären deshalb für eine Veränderung innerhalb des Unternehmens bereit gewesen. Selbst für eine neue Positionierung mit weniger Lohn wären sie offen gewesen. Doch wer im Unternehmen spricht das bei Führungskräften über 50 an? Die Führungskräfte selbst denken oft es hat noch Zeit, die Vorgesetzten wählen mit der Kündigung den einfacheren Weg.
Firmen sehen den Vorteil von NEW WORK, wenn es um den wertvollen Erhalt von Wissen und Erfahrung geht, in zeitlich begrenzten Aufträgen (Mandate) von Selbstständigen Fach-und Führungskräften. Doch hat es in Zukunft neben genügend Fachwissen auch genügend Expert*innen, die auf diesem Weg den Unternehmen zur Verfügung steht?
NEW WORK fordert die Generation 50+ nicht nur fachlich, sondern auch in der Persönlichkeit
Wer sich mit 50+ selbstständig macht, hat den Zeitgeist zwar erkannt, sollte sich aber zuerst weniger mit den fachlichen Aspekten befassen, sondern mit der persönlichen Positionierung. Denn Unternehmen und Titel, die zuvor Sicherheit gaben, bestehen nicht mehr.
Nur weil ich Spezialist*in in einem Fachgebiet bin, oder langjährige Erfahrung in einem Unternehmen sammeln konnte, bin ich nicht automatisch fähig mein Wissen als Berater*in weiterzugeben. Die Anforderungen im Bereich Kundenstammaufbau, Kundenpflege und Neukundengewinnung wird absolut unterschätzt. Dazu kommt die Herausforderung der Eigenpositionierung, die leider zu wenig beachtet und ausgearbeitet wird. Ich kann zukünftige Partner und Kunden nicht mit meiner vergangenen Position oder einem Titel überzeugen, sondern muss mich neu aufstellen. Für die Generation, der Karriere und Titel Sicherheit gaben, ist dies oft eine grosse Herausforderung.
Aus meiner Sicht wird NEW WORK zu oft mit einer Flower-Power Mentalität vorgestellt, alles ist gut, alles eine neue Chance, die genutzt werden soll. Es werden aber zu wenig die schwierigen Aspekte dieses Arbeitsmodells für Mitarbeitende und Unternehmen angesprochen. Ich appelliere deshalb an Unternehmen, NEW WORK so zu integrieren, dass wirklich eine neue Unternehmenskultur entsteht, in der alle Mitarbeitende eingebunden sind.
Ihre Petra Rohner