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Prominenz schlägt Kompetenz? Warum wir uns nicht täuschen lassen sollten

Gut in dem zu sein, was man kann und tut, scheint heute nicht mehr auszureichen – besser zu sein auch nicht. „Wir sind heute selbst unser größtes Kapital in der Berufswelt“, schreibt der Digital Native Philipp Riederle 2013 in seinem Buch „Wer wir sind und was wir wollen“. Dabei spielen die Fragen „Wer willst du sein?“ und „Wie möchtest du dich profilieren?“ eine wichtige Rolle. Mit dem Thema Selbstvermarktung in den sozialen Medien hat seine Generation kein Problem. Philipp Riederle ist das glaubwürdig gelungen: Als jüngster Vortragsredner arbeitete er international bereits mit über 400 Unternehmen und Organisationen, gibt seine Leidenschaft und sein Wissen weiter und vermittelt zwischen den Generationen. Allerdings hat er sich nie auf seinen Erfolgen ausgeruht und wollte als digitaler Aufklärer immer weiterlernen. 2013 machte er sein Abitur und entschied sich für ein Studium der Politik, Soziologie und Ökonomie an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen: „Meine Überlegung war: Ein Grundverständnis für IT hatte ich bereits, also verschaffe ich mir ein tieferes Verständnis von gesellschaftlichen Zusammenhängen. Um noch besser zu verstehen, wie die Digitalisierung alle Facetten unseres Zusammenlebens beeinflusst.“ Sein Fundament ist das Sein. Anders sehen das Managementberater, für die das Motto gilt:

Wo es einen Kompetenten und einen Prominenten bzw. Sichtbaren gibt, wird in der Regel Letzterer vorgezogen, was zuweilen an der Arbeitsweise unseres Gehirns liegen soll, das den Schluss zieht: „Bekanntheitsgrad hebt Nutzenvermutung.“ (Hermann Scherer) Unbekannt ist nutzlos, weil nicht sichtbar. Deshalb ist das Credo vieler Marketing- und Managementberater, für Sichtbarkeit zu sorgen, damit die Welt weiß, wie „gut“ ihre Kunden sind. Dabei spielt es keine Rolle, was derjenige oder diejenige ist – ihnen soll gezeigt werden, wie sie es selbst schaffen, die Bühnen dieser Welt zu „erobern“, wie sie sich und ihre Dienstleistung oder ihr Produkt „zu Gold machen“. Schon vor Jahren empfahlen die gleichen Berater, dass es darauf ankommt, erst zu „behaupten“ und dann zu sein. Statt zu lernen und sich zu perfektionieren, sollte sofort losgelegt werden. Das führte in den vergangenen Jahren auch dazu, dass sich immer weniger Menschen Mühe gaben, echte Leistungen zu erbringen. In diesen Kontext gehören auch die Plagiatsaffären von Politiker:innen. Um öffentlich Karriere zu machen, brauchte es keine Anstrengung.

Die gleichen Managementberater, die für mehr Sichtbarkeit statt Kompetenz plädieren, empfehlen übrigens auch das Publizieren, denn dann würde man „automatisch“ als Experte gelten für das bearbeitete Thema. Und je bekannter man selbst als Experte ist, desto eher würden Kunden ein „gutes Gefühl“ haben, wenn sie sich für einen Auftraggeber entscheiden. Wohin das führt, wird uns immer wieder vor Augen geführt, wenn Bücher erscheinen, die nicht selbst oder schlampig geschrieben werden, oder wenn in Talkshows und Social Media Wissensfetzen ohne Einordung in die entsprechenden Kontexte von Prominenten oder den ständig „Sichtbaren“ wiederholt werden. In der TV-Sendung „Big Brother“ ging es beispielsweise einem Kandidaten nur darum, ein blaues Häkchen bei Facebook zu erhalten. Um sich als Marke zu präsentieren, trug er eine billige Krone auf dem Kopf, die ihn als Modemacher erkennbar machen sollte. Über das, was er wirklich kann, wurde kein Wort gesagt.

Die Rolle der wirklichen Experten, die Repräsentanten eines Wissensgebietes sind, wird dadurch entwertet. Sie haben sich ihre akademischen Titel und institutionelle Anbindungen in der Regel hart erarbeitet. Was heute wirklich zählen sollte, ist, was Menschen wirklich können und zu tun bereit sind. Sie gehen ans Werk – und sind sich bewusst: Wo es viele Worte und Marketing gibt, wird ein Thema oft nicht ernst genommen und das Wesentliche verdeckt. Am nachhaltigsten ist es, wenn Außenstehende mit einem Informationsbedürfnis an Expert:innnen, die um Rat gefragt und um Einschätzungen gebeten werden, herantreten. Sie sind keine Marktschreier:innen, die ständig sagen, wie gut sie sind, sondern stellen sich zur Verfügung, ohne sich aufzudrängen. Dabei ist es egal, ob sie auf der medialen Bühne oder im Hintergrund agieren - sie sind vor allem eines: Antwortgeber, die eine Vermittlungsfunktion ausüben.

  • Hochstapelei im Spiegel der Gesellschaft

  • Zukunftskompetenzen: Was brauchen wir wirklich?

  • Digitale Kompetenz als Schlüsselqualifikation

  • Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2021.

  • CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage. SpringerGabler Verlag, Berlin Heidelberg 2021.

  • Philipp Riederle: Wie wir arbeiten und was wir fordern. Die digitale Generation revolutioniert die Berufswelt. Droemer Knaur Verlag, München 2017.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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