Sparen am Elterngeld – ein fatales Signal für den deutschen Arbeitsmarkt
Die geplante Maßnahme beim Elterngeld für Besserverdienende dürfte dazu führen, dass dem Arbeitsmarkt künftig noch mehr gut ausgebildete Talente fehlen. Das ist gefährlich und kurzsichtig zugleich.
Werden die Pläne der Ampelkoalition, nach denen künftig nur noch Paare mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von bis zu 150.000 Euro (bisher lag die Grenze bei 300.000 Euro) Anspruch auf Elterngeld haben, durchgesetzt, wäre das ein schwerer Schlag für uns alle, denn es wäre ein Schlag für den deutschen Arbeitsmarkt und damit für unseren Wohlstand.
Ohne Elterngeld verlieren wir dringend benötigte Fachkräfte
Die Argumentation, dass aktuell nur rund 60.000 Familien in Deutschland betroffen wären, greift für mich zu kurz. Ich verstehe sehr gut die erste Reaktion vieler, die darauf hinweisen, dass es sich um eine Wohlstandsdiskussion handelt und es bei den Betroffenen nicht um das nackte Überleben geht. Es gibt viele Menschen in Deutschland, die sehr hart arbeiten und dafür nicht angemessen entlohnt werden. Die zu Recht darauf hinweisen, dass die steigenden Kosten für Mieten, Energie und Lebensmittel sie in die Knie zwingen.
Dennoch bin ich der Meinung, dass wir die Diskussion um das Elterngeld differenziert führen müssen. Die Folgen eines solchen Einschnitts betreffen uns mittel- und langfristig alle und sind fatal für Unternehmen und Wirtschaft.
Brücke zwischen Kind und Karriere
Warum? Das Elterngeld ist eine wichtiger Baustein für Paare, um das erste Jahr nach der Geburt eines Kindes, bis es in die Kita kommt, zu überbrücken. Dieser Baustein bricht nun für viele Paare ersatzlos weg. Es steht zu befürchten, dass bei weiter steigender Inflation künftig noch mehr Eltern die neue Bemessungsgrenze überschreiten werden, wenn Gehälter angepasst werden, und ihren Anspruch verlieren.
Eingeführt wurde das Elterngeld 2007 aus guten Gründen, die heute relevanter denn je sind:
Schnelle Rückkehr einer jungen Mutter zum Arbeitsplatz, eine höhere Zufriedenheit der Beschäftigten, eine gesteigerte Produktivität, ein besseres Betriebsklima, eine größere Attraktivität der Firma für guten Nachwuchs auf dem Arbeitsmarkt und am Ende eine in Euro und Cent bezifferbare betriebswirtschaftliche Rendite für das Unternehmen. Gerade jetzt braucht die deutsche Wirtschaft einen Ruck und ein Signal in Richtung Aufbruch und keinen weiteren Sand im Getriebe.
Was wir mit der Einsparung riskieren
Fachkräftemangel verschärft sich
Bis 2035 gehen in Deutschland jeden Tag 1000 Arbeitskräfte aufgrund des demografischen Wandels verloren. 2030 werden laut der Unternehmensberatung Boston Consulting Group in Deutschland 8 Mio. Arbeitskräfte fehlen. Das sind 20 % der derzeit arbeitenden Bevölkerung im Land. Wir können es uns schlicht nicht leisten, auch nur ein Talent dadurch zu verlieren, dass Elternteile ihre Jobs längerfristig unterbrechen müssen und den Anschluss verlieren. Bestens ausgebildete junge Paare am Beginn ihrer Berufslaufbahn müssen sich die berufliche Auszeit für eine Familie leisten können – und anschließend in ihren Beruf zurückkehren.
Geburtenrückgang
Paare könnten aus Sorge vor beruflichen und finanziellen Nachteilen die Familiengründung aufschieben, womöglich aus Kostengründen ganz auf Kinder verzichten. Bedenkt man, dass heute bereits jede zweite Person in Deutschland älter ist als 45 und jede fünfte Person älter als 66 Jahre, wäre das ein düsterer Ausblick für den deutschen Arbeitsmarkt. Was für ein Signal wollen wir an ambitionierte Talente eigentlich senden, dass Karriere und Kinder in Deutschland leider doch nicht zusammengehen? Das kann doch nicht sein.
Geschlechterstereotype verstärken sich
Die traditionellen Rollenbilder werden wieder aufleben, bei denen die Frau die Hauptverantwortung für die Kinderbetreuung übernimmt, während der Mann hauptsächlich arbeitet. Dadurch werden bestehende Geschlechterstereotype verstärkt, und es wird noch schwerer, traditionelle Rollenmuster aufzubrechen.
Teilzeitfalle für Frauen
Wenn das Elterngeld nicht ausreicht, um den Lebensunterhalt der Familie angemessen zu sichern, sind es in der Regel die Frauen, die in Teilzeitarbeit gehen, um sich parallel um die Familie zu kümmern. Leisten können wir uns das in der aktuellen Sitiation nicht. Denn genau diese gut ausgebildeten Arbeitskräfte fehlen uns in Vollzeit. Gerade arbeitende Mütter sind eine der wichtigsten Reserven, die wir haben, um die auf uns zukommende Wucht des Fachkräftemangels strategisch abfedern zu können.
Karrierechancen und Lohnungleichheit
Wenn Frauen aufgrund der Einsparung des Elterngeldes gezwungen sind, früher in den Beruf zurückzukehren oder länger in Teilzeit zu arbeiten, kann dies ihre Karrierechancen beeinträchtigen. Sie haben weniger Zeit und Ressourcen, um sich beruflich weiterzuentwickeln und um höhere Positionen zu erreichen. Dadurch verstärkt sich die bestehende Lohnungleichheit zwischen den Geschlechtern und die Besetzung von Führungspositionen durch Frauen gerät ins Hintertreffen. Ein herber Rückschritt für Diversität und Ausgewogenheit in Unternehmen.
Väterbeteiligung verringert sich
Das Elterngeld ist auch darauf ausgerichtet, die Beteiligung der Väter an der Kinderbetreuung zu fördern. Es soll ihnen Anreize bieten, Elternzeit zu nehmen und sich aktiv an der Erziehung ihrer Kinder zu beteiligen. Wenn das Elterngeld gekürzt wird, kann dies dazu führen, dass Väter weniger bereit sind, Elternzeit zu nehmen oder ihre Beteiligung auf eine kurze Zeitspanne zu beschränken. Dadurch werden die positiven Effekte einer gleichberechtigten Elternschaft geschmälert. Und im Übrigen wird dadurch auch die Zufriedenheit arbeitender, moderner Männer sinken, die sehr wohl Karriere und Kind als Teil ihres Lebens sehen und an beidem aktiv teilhaben wollen. Meine Meinung: Auf Unternehmen kommt hier die größte Aufgabe zu, aktiv zu werden und dafür zu sorgen, dass sich junge Eltern trotz allem wohlfühlen und produktiv sein können.
Fazit
Wenn wir gut ausgebildete Talente in Jobs wollen, Frauen in Führung bringen möchten und zufriedene, produktive Mitarbeitende in den Unternehmen und für eine starke und gesunde ökonomische Zukunft vorsorgen wollen, sollten wir uns gut überlegen, an welchen Stellen wir den Rotstift ansetzen – und an welchen eben nicht.
Was haltet Ihr von der geplanten Einsparung, und welche Sorgen bereitet sie Euch? Ich freue mich über konstruktive Kommentare.