Spielerisch die Welt begreifen: Warum Kinder keine „Fertigprodukte“ brauchen
Seit Jahren wird die Technik hinter elektronischen Alltagsgeräten immer komplexer und undurchschaubarer. Gegen diese Entwicklung tritt die sogenannte Maker-Bewegung an - durch Tüfteln, Ausprobieren und Selbermachen soll die Technik zurückerobert werden.
Mit der Hand arbeiten bedeutet auch, zugleich etwas über die Herstellung und das Funktionieren der Dinge zu erfahren. Die einseitige Beschäftigung mit der digitalen Welt und das ausschließliche Vertrauen in die Automatik lässt viele menschliche Fähigkeiten verkümmern. Deshalb sollte schon Kindern beigebracht werden, mit dem Kopf nicht nur schneller, sondern auch mit den Händen langsamer und tiefer zu lernen. Auch sollten sie darin bestärkt werden, Fragen zu stellen und Neues auszuprobieren. Vermutlich ist der Trend zu haptischen Themen ein Reflex auf die Digitalisierung.
Bildung ist ihrem Wesen nach analog. Mit digitalen Medien und Methoden lässt sie sich ergänzen, vertiefen und ausbreiten. So lernen auch Kinder der „digitalen Großmeister“ (Bill Gates, Mark Zuckerberg, Larry Page und Sergey Brin, Jeff Bezos und Jimmy Wales sind berühmte Montessori-Absolventen) im Silicon Valley, ohne Bildschirme, aber mit viel physischer und menschlicher Interaktion handwerklich zu arbeiten. Dabei geht es um die Schulung des Wollens und Könnens, das durch unterschiedliche Handwerkstechniken vermittelt wird. Denn ohne Tastsinn sind wir Menschen nicht lebensfähig - auch ein gesundes Maß an Experimentierfreudigkeit und Neugier spielen eine wichtige Rolle.
Das gilt auch für Kinder-„Fertigprodukte“, die kaum mehr erkennen lassen, wie sie hergestellt wurden und sichtbar funktionieren. Aber gerade das kann ihre Kreativität fördern und dazu beitragen, dass sie Zusammenhänge begreifen und vernetzt denken. Das Gehirn öffnet sich für das Erkennen komplexer Vorgänge durch Übungen, Ausprobieren, Gestalten und Erleben – alles, was für das spätere Können unerlässlich ist. Allerdings wurden nie zuvor in der Geschichte der Menschheit heranwachsende Gehirne von so vielen Reizen überflutet wie heute. Da Kinder verlernen, sich zu konzentrieren, braucht es auch ein Training, das ihnen hilft, sich zu sammeln und zur Ruhe zu kommen, zu reflektieren und die zerstückelte Realität wieder zusammenzubauen. Vor allem Chemie und Physik unterstützen dabei, komplexe Zusammenhänge einfach zu verstehen. Experimentierkästen und Lernspiele tragen dazu bei, das Technikverständnis der Kinder zu schulen und gleichzeitig die Feinmotorik zu trainieren. Es ist aber auch wichtig für die spätere Digitalkompetenz, die auf haptischen Grundlagen basiert.
Mit voll funktionsfähigen Minilaboren können Nachwuchschemiker beispielsweise pH-Wert, Nitratgehalt und Wasserhärte analysieren und die Ergebnisse im Wasserpass eintragen. „Mini-Umweltkoffer“ vermitteln zudem wichtige ökologische Zusammenhänge: So können Experimente zur Bodenverschmutzung, zur Ozonbestimmung der Luft und zum Nitratgehalt des Wassers durchgeführt werden. „Experimente mit Luftballons“ enthalten Spiele und Experimente zum Thema Luft. Auf solche pädagogischen „Versuchsanordnungen“ setzen verstärkt auch Unternehmen. So wird an Klimaschutz-Aktionstagen des Druckluftspezialisten Mader zu Klimaschutz-Wochen Schülerinnen und Schülern gezeigt, wie sie Strom aus Zitronen gewinnen. Im Rahmen der Bildungspartnerschaft mit lokalen Schulen organisiert das Unternehmen, für das Umweltmanagement ein wichtiger Bestandteil der Firmenpolitik ist, auch regelmäßig Workshops bzw. Projekttage für sie. Mit Themenschwerpunkten wie Umwelt, Klimaschutz und Energieeffizienz wird auch hier bewusst der Fokus auf Nachhaltigkeit gesetzt. Auch auf der Website „Umwelt im Unterricht“ vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit geht es um die Frage „Wem gehört die Luft?“
Sie lernen, warum die Atmosphäre der Erde eine begrenzte und zu schützende Ressource ist. Mit Spielen zum Thema Luft soll vor allem die Wirkung des Treibhauseffekts gezeigt werden – und die Erkenntnis, dass die Lufthülle der Erde eng mit dem Klima verbunden ist. Der Ökoversender memo AG bietet Spiele dieser Art schon seit vielen Jahren an. Lernen, Wissen und Können sollten nach Claudia Silber, die hier die Unternehmenskommunikation leitet, schon früh eine Einheit bilden: „Kinder sollten bereits früh die größtmögliche Freiheit für Erfahrungen und die notwendigen Grundlagen für ein fundiertes Wissen und damit später dann Können erhalten.“ Vor allem Spielzeug mit Solarelementen ist hervorragend geeignet, „um Kindern das Thema alternative und regenerative Energien näher zu bringen. Auch hier findet sich die Einheit zwischen Bildung für nachhaltige Entwicklung und Spaß am Lernen.“ Dem Thema „Spielspaß und Wissen“ widmen sich außerdem Schülerlabore der Helmholtz-Zentren, wo Spiele zum Thema Physik zum Download angeboten werden.
Bereits seit 1822 bringt der KOSMOS Verlag Bücher und seit vielen Jahrzehnten auch Spiele auf den Markt. Zunächst belletristisch ausgerichtet hat sich das Unternehmen inzwischen zu einem der führenden Spiele-, Ratgeber- und Kinderbuchverlage entwickelt. In diesem Jahr feiert der Traditionsverlag sein 200-jähriges Bestehen. Der Trend, Haptik und Digitalisierung vor allem im Kontext der Nachhaltigkeit zu verbinden, zeigt sich auch hier: Mit „Mein erster Experimentierkasten – Körper & Sinne“ erforschen Kinder ab fünf Jahren spielerisch Phänomene rund um den eigenen Körper. Sie ertasten Formen mit den Fingerspitzen, erproben ihren Geschmackssinn oder lauschen dem Herzschlag mit einem selbstgebauten Stethoskop. Beim Schülerlabor 1.+2. Klasse experimentieren sich die Kinder durch sieben typische Themen des Sachunterrichts an Grundschulen: Luft, Wasser, Farben, Wetter, Licht und Schatten, Hören und Sehen. Das Schülerlabor 3.+4. Klasse leitet Kinder ab acht Jahren durch zahlreiche Experimente rund um Chemie-Station und Elektro-Labor. Der Experimentierkasten Wind Bots lässt Kinder ab acht Jahren die Windkraft als unmittelbaren und emissionsfreien Antrieb entdecken. Der Experimentierkasten Microgreen-Garten verbindet Indoor Farming und Vertikales Gärtnern: Kinder ab sechs Jahren pflanzen im Kinderzimmer aus Bio-Saatgut Microgreens. Im platzsparenden vertikalen Aufstellerwachsen dank der Bewässerungsdochte ohne Gießen in wenigen Tagen Kresse, Radieschen, Senf und Rucola in Bio-Qualität heran. Die Bio-Keimlinge sind in wenigen Tagen erntereif. So wird Natur im Kleinen greifbar – es braucht dafür nicht viel, weil sich alles von selbst entwickelt.
Im Fokus stehen aber auch Digitalisierungsthemen: So lässt sich der MAKER Line-Follow Robot selbst zusammenbauen. Mit ein paar Handgriffen ändern Jugendliche ab zwölf Jahren das Verhalten des Roboters und lernen dabei die elektronischen Bauteile detailliert kennen. Auf diese Weise wird verständlich, wie analoge Elektronik Umweltreize verarbeitet. Zusätzlich benötigt wird lediglich ein Smartphone mit einer kostenlosen Miika-App. Allerdings geht es bei solchen Ansätzen nicht nur darum, Apps zu benutzen, sondern auch zu verstehen, wie sie aufgebaut sind und programmiert wurden. Auch wenn digitale Kompetenzen in Zukunft immer wichtiger werden - ausreichen, um ein voll gelebtes Leben zu führen, werden sie nicht. Es braucht immer auch Schwergewichte des Handelns und den praktischen Zugriff auf die Welt der Dinge.
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Runde Sache: Globushersteller zwischen Tradition und Innovation https://dralexandrahildebrandt.blogspot.com/2021/09/runde-sache-globushersteller-zwischen.html
CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. SpringerGabler Verlag, 2. Auflage. Heidelberg Berlin 2021.
Wolfgang Schmidbauer: Enzyklopädie der Dummen Dinge. Oekom Verlag München 2015.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.