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© Tim Gouw/Unsplash

Vier-Tage-Woche in Belgien: alter Wein in toxischen Schläuchen

In Belgien wird eine Vier-Tage-Woche eingeführt. Bei gleichbleibender Anzahl zu leistender Stunden. Die erste Euphorie der Headline verpufft hierüber schnell, und ich kann mich selbst kaum noch hören, so oft spreche ich über reduzierte Arbeitszeiten – mit einem sehr relevanten Unterschied zu dem belgischen Modell: Wir bei Rheingans haben das Gehalt sowie den Urlaubsanspruch beibehalten, als wir auf Fünf-Stunden-Tage (25 Stunden pro Woche) reduziert haben. Für Irritierte: Die „Zeit“ (u.v.a.) schrieb bereits 2018 umfassend darüber.

Was leider viel zu häufig in der Diskussion über reduzierten Wochentagen vergessen wird, ist die Tatsache, dass sowohl Arbeit als auch Privatleben massiven Wandel erlebt haben: Die Produktivität ist durch Digitalisierung enorm gestiegen, die Lebenshaltungskosten auch (Löhne not so much), dazu das Berufs- und Privatleben schneller, vernetzter und komplexer geworden – wir sind alle immer verfügbar und kriegen gar nicht alles unter. 🤯 Auch dazu habe ich bereits einige Artikel und ein Klartext-Statement hier bei XING veröffentlicht.

Es kann wirklich, wirklich festgehalten werden: Zehn-Stunden-Tage helfen weder dem Output noch den Mitarbeitenden noch den Unternehmen. Denn die Natur der Arbeit ist lange nicht mehr so „stumpf“ und repetitiv wie damals, als ein Acht-Stunden-Tag eingeführt wurde, sondern eben von individueller Konzentrations- und Leistungsfähigkeit abhängig. Althergebrachte KPI greifen nicht mehr – Leistung ist nicht mehr so gut messbar wie „damals am Fließband“.

Darüber hinaus sprechen sich nahezu alle relevanten Studien aus den verschiedensten Disziplinen in der heutigen Zeit gegen solche langen Tage aus. (Ich sage im Übrigen nicht, dass nicht ab und an ein 10-, 12- oder 14-Stunden-Tag für Einzelne selbstbestimmt möglich wäre. Es darf nur nicht Kultur oder Regel sein oder werden, um nicht impliziten Druck auf die Allgemeinheit auszuüben.)

Außedem, bitte bedenken: Was heißt „Arbeit“, was heißt „Leistung“? Ist die bzw. deren Ergebnis eigentlich in Stunden sinnvoll messbar? Wie verhält es sich, wenn jemand in der Freizeit ein Fachbuch schreibt, die Firma in Social Media verteidigt oder vertritt oder am Strand mit dem Nachbarn über zukünftige Themen diskutiert? Und was erwarten Unternehmen von Mitarbeitenden eigentlich in der heutigen Zeit? Arbeit im Akkord? Macht also die Einteilung von Arbeit in eine bestimmte Taktung Sinn, vor allem bei so langen Tagen wie denen der Vier-Tage-Woche in Belgien? Spoiler: Nein, natürlich nicht. Kreativität und Hirn, gepaart mit Euphorie und einem sinnvollen Einsatz von individuellen Talenten und Stärken – DAS macht Sinn, für Unternehmen, Mitarbeitende und Kund:innen. Denn nur so kann nachhaltig bestmöglich gearbeitet und somit bestmögliche Ergebnisse erzielt werden.

Menschen können keine zehn Stunden am Stück sinnvoll und sinnstiftend arbeiten. Kreative, gute, der Arbeit nützliche Gedanken kommen, wenn sie kommen. Meist nicht am Schreibtisch, sondern wenn Gedanken auf Reisen gehen dürfen. Vor allem kommen sie in jedem Fall nicht, wenn Menschen überarbeitet sind und die Balance zwischen herausforderndem Beruf und herausforderndem Alltag in immer weitere Ferne rückt (für Zweifler hier die Burn-out-Statistiken).

Die Bereitstellung des richtigen Umfelds, die Fokussierung auf Menschen und deren Bedürfnisse wird Wunder liefern. Keine 40 Stunden, gepresst in 4 belgische Tage. That doesn't make sense at all.

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Lasse Rheingans schreibt über Kulturwandel, New Work, Digitalisierung, Wirtschaft & Management

20 Jahre Digitalbranche, Medienwissenschaftler (M.Sc.), Agentur-Gründer, Berater, Autor, Vortragsredner. CEO von Rheingans (https://rheingans.io). 5h Tag Innovator. Preisträger vom XING New Work Award, Chefsache Award, Preis der deutschen Personalwirtschaft, ….

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