Wie nachhaltig sind Smart-Home-Systeme?
Skeptiker begegnen dem Konzept kritisch, denn ein Smart Home verbraucht Strom. Wenn er einmal ausfällt, geht nichts mehr im Haus. Wie kann hier vorgebaut werden? Interview mit den IT-Experten Marc Böhm, Tobias Lehmann und Elmar Loth, Entwickler der****Smart-Home-Lösung SEVEN|O.
Elmar Loth: Ein Stromausfall verursacht generell Probleme – auch in konventionellen Bauten, weil z.B. elektrische Jalousien oder elektrische Garagentore nicht mehr genutzt werden können, der Herd nicht mehr funktioniert, das Licht nicht mehr eingeschaltet werden kann. Ein Smart Home kann sogar im Vorteil sein, wenn ich eine Photovoltaik-Anlage in Verbindung mit einem Solarakku installiert habe. In solch einem „Notstrom-Modus“ kann das Smart Home über den geladenen Akku die Stromversorgung so steuern, dass die wichtigsten Verbraucher wie Kühlschrank und Heizungspumpe weiterhin funktionsfähig bleiben.
Marc Böhm: Eine weitere Möglichkeit ist die Installation einer sogenannten Unterbrechungsfreien Stromversorgung, kurz: USV, speziell für das Smart-Home-System. Damit werden Stromschwankungen und kürzere Stromausfälle überbrückt, die sonst zu einem Neustart des Systems führen würden. In so einem Fall könnte auch ein vordefiniertes Stromausfallszenario gestartet werden. Mit der Energie der USV könnten Jalousien und Rollläden in eine vordefinierte Position gefahren werden oder Geräte kontrolliert abgeschaltet werden.
Marc Böhm: Energiemanagement ist von zwei Seiten zu betrachten. Einerseits auf der Verbrauchsseite, bei der es darum geht, den Energieverbrauch zu reduzieren bzw. Energie effizient einzusetzen. Andererseits geht es auch um die Energieerzeugung z.B. mittels Photovoltaik. Immer mehr Haushalte sind nämlich nicht mehr nur „Konsumenten“, sondern sogenannte „Prosumer“ – das heißt auch Produzenten von Strom, indem sie Photovoltaikstrom in das Stromnetz einspeisen. Ein Smart Home kann hier durch intelligente Steuerung der angeschlossenen Geräte beide Seiten optimieren.
Tobias Lehmann: Ein Smart-Home-System verbraucht Strom und kann gleichzeitig Strom sparen. Das klingt widersprüchlich, doch können intelligente Logiken den Energieverbrauch im Haus erheblich optimieren. Allein durch eine automatisierte Beschattung können Heiz- bzw. Klimakosten eingespart werden. Auch wenn die Heizung nur noch nach Bedarf läuft, weil Faktoren wie Innen- und Außentemperatur, Sonneneinstrahlung, Wettervorhersage und Anwesenheit einbezogen werden, wird der Energieverbrauch auf den eigentlichen Bedarf reduziert. Allein schon das automatische Herunterregeln der Raumheizung, wenn die Fenster geöffnet sind, sehe ich als großen energetischen Vorteil.
Weitere Einsparmöglichkeiten sind die komplette Abschaltung von ungenutzten Verbräuchen (kein Stand-by-Strom) bei Abwesenheit bzw. Nichtverwendung. Der Stand-by-Verbrauch im gängigen Haushalten kostet jährlich rund 100 Euro pro Jahr.
Noch interessanter wird das Einsparpotenzial in Verbindung mit einer Photovoltaikanlage. Werden Stromfresser durch das Smart Home in dem Zeitraum aktiviert, indem eigener Strom produziert wird, der in einem Batteriespeicher dann zur Verfügung steht, ist das Einsparpotenzial deutlich größer.
Elmar Loth: Falls unterschiedliche Stromtarife verfügbar sind, kann das Smart Home gewisse Verbraucher, z.B. die Waschmaschine, den Trockner oder die Ladestation des Elektroautos, in passenden Zeitfenstern einschalten bzw. mit Energie versorgen. Ist Photovoltaik verfügbar wird das Smart Home ertragsabhängig Verbraucher versorgen und auch den Wetterbericht einbeziehen, um günstige Bedingungen abzuwarten, falls gewisse Verbraucher keine Dringlichkeit haben.
Da das Smart Home auf Wunsch auch Abläufe der Bewohner kennt, stellt es sicher, dass stets der günstigste Strom verbraucht wird und behält gleichzeitig im Blick, dass z.B. die Wäsche zu einem gewissen Zeitpunkt fertig sein soll und auch das Fahrzeug am nächsten Morgen voll aufgeladen bereit steht.
Marc Böhm: Erweitert man den Begriff des Energiemanagements auf „Ressourcenmanagement“ kann das Smart Home z.B. auch den Wasserverbrauch einbeziehen und ein optimiertes Bewässerungsmanagement im Garten organisieren oder erhöhten Wasserverbrauch z.B. aufgrund von Leckagen melden.
Elmar Loth: Zum absoluten Minimum gehört ein Router mit korrekt konfigurierter Firewall. In der Königsklasse auf der anderen Seite ist das Netzwerk in unterschiedliche Segmente aufgeteilt, je nach Sicherheitseinstufung der Module. Besonders schützenswerte Daten oder Prozesse, die die Sicherheit des Hauses als Ganzes betreffen, z.B. Alarmsysteme, oder elektronische Schließsysteme sind komplett von Komfortfunktionen, wie z.B. Sprachassistenten getrennt, die auf die Cloud bzw. einen Internetzugang angewiesen sind.
Ebenso sollten Consumergeräte wie Tablets, Smartphones smarte Fernseher etc. strikt von dem Home-Server, der Zentrale eines intelligenten Hauses, getrennt werden.
Marc Böhm: Das gleiche gilt für WLAN-Netzwerke, die z.B. Gästen zur Verfügung gestellt werden. Auch Sie sollten von den Netzen, die von smarten Geräten genutzt werden, getrennt sein.
Tobias Lehman: Zugriffe von außen sollten nur über eine verschlüsselte VPN-Verbindung möglich sein. Das vermindert die Angreifbarkeit von außen deutlich.
Elmar Loth: Das Smart-Home-System der Zukunft – wie wir es uns vorstellen – integriert nahtlos alle Gewerke, wie Heizung, Lüftung, Licht, Sonnenschutz, Entertainment, Garten etc. Es automatisiert stereotype Abläufe, antizipiert Wünsche und rückt dabei gleichzeitig immer mehr in den Hintergrund. Sicherheit und Datenschutz sind integraler Bestandteil des Systems, wohingegen heute viele dieser elementaren Funktionen erst beim Auftreten von Problemen implementiert werden, häufig unter Zeitdruck und entsprechend fehleranfällig
Tobias Lehmann: Das Smart Home der Zukunft entfernt sich immer weiter von einfachen Logiken und simpler App-Steuerung. Es wird immer mehr zum „selbst lernenden Haus“. Durch die gezielte Anpassung von Heizung, Licht und anderen Energieverbrauchern an die tatsächliche Nutzung kann das Haus der Zukunft seinen Energieverbrauch selbständig optimieren und damit reduzieren.
Tobias Lehmann: Smarte Sprachassistenten vereinfachen eine gezielte Steuerung von Geräten und Funktionen. Sie sind meist intuitiv bedienbar und erhöhen den Komfort. Eine besondere Bedeutung hat ein smarter Sprachassistent für Personen mit Bewegungseinschränkungen.
Elmar Loth: Zu beachten ist, dass Sprachassistenten auf die Cloud bzw. auf eine Internetverbindung angewiesen sind. Sie erweitern das Smart-Home um eine weitere Schnittstelle, über die Bewohner bequem mit dem Haus interagieren können. In einem gut konzipierten Smart Home ist ein Sprachassistent lediglich eine Erweiterung, sämtliche Funktionen des Hauses und auch alle Automatismen müssen davon unabhängig implementiert und verfügbar sein. Wenn der Internetzugang ausfällt, muss alles, bis auf die Sprachsteuerung natürlich, weiterhin verlässlich funktionieren.
Komfort und Datenschutz können Benutzer hierbei individuell abwägen. Man muss sich nur bewusst sein, dass jeder Sprachbefehl in der Cloud verarbeitet wird. Konzerne wie Amazon oder Google können damit noch einfacher Tagesabläufe protokollieren, bieten auf der anderen Seite aber auch die Möglichkeit das Smart-Home, z.B. bei eingeschränkten körperlichen Funktionen per Sprache zu steuern.
Marc Böhm: Eine cloudfreie Sprachbedienung ist heute zwar schon technisch möglich, sie bleibt aber qualitativ deutlich unter den Möglichkeiten der cloudbasierten Varianten. Das hängt damit zusammen, dass die Datenmengen und technische Performance, die für eine Sprachverarbeitung notwendig ist, lokal fehlen und nicht zu realisieren sind.
Elmar Loth: Hinter dem Begriff verbirgt sich die Idee, dass ich meine Abhängigkeit von Stromanbietern und dem Stromnetz durch den Einsatz von Photovoltaik im Optimalfall in Kombination mit Speicherlösungen – das heißt mit Solarakkus – reduziere. Eine vollständige Unabhängigkeit ist aktuell nur mit einem stark überdimensionierten System möglich. Ein wirtschaftliches System, wie es für die meisten vermutlich infrage kommt, ermöglicht solare Unabhängigkeit im Sommer und abhängig vom Verbrauch auch in den Übergangsmonaten. Im Winter muss man davon ausgehen den Strom zu einem hohen Teil aus dem Netz zu beziehen, ebenso im Sommer bei starken Verbrauchsspitzen, die sinnvoll dimensionierte Akkulösungen noch nicht abdecken können.
Die Automatik des Smart-Home kümmert sich dabei Verbraucher so zu versorgen, dass alle an der solaren Unabhängigkeit beteiligten Systeme mit optimalem Wirkungsgrad arbeiten. Smartes Energiemanagement bedeutet auch, dass Wünsche und Vorgaben der Bewohner berücksichtigt werden. Wird ein Elektrofahrzeug erst am Montag wieder für den Weg zur Arbeit benötigt, so muss es nicht sofort geladen werden, sondern kann aufgrund des Wetterberichtes entspannt an einem sonnigen Sonntag die Ladung auffrischen.
Tobias Lehmann: Während das Smart Home in der sogenannten Rush Hour des Lebens vor allem den Komfort für die Bewohner erhöht und Tätigkeiten abnimmt, kann sich der Fokus im Alter verändern. Dann spielt Sicherheit bezogen auf gesundheitliche Risiken eine sehr viel stärkere Rolle. Es ist sogar vorstellbar, dass das Smart Home eine zentrale Rolle bei der Bewahrung von manuellen und geistigen Fähigkeiten übernimmt, indem es den Bewohnern täglich kleine „Aufgaben“ vorschlägt und z.B. zu mehr Bewegung motiviert. Das könnte durchaus auch „spielerische Elemente“ enthalten.
Elmar Loth: Das sogenannte „Ambient Assisted Living“, kurz AAL, könnte zukünftig dazu beitragen, dass auch ältere Menschen länger in ihren vertrauten, eigenen vier Wänden bleiben können. Bewohner werden in ihren Tagesabläufen unterstützt, wiederkehrende alltägliche Aufgaben werden reduziert oder vom Smart Home komplett übernommen. Bei gravierenden Abweichungen von Tagesabläufen können Vertrauenspersonen oder medizinisches Personal informiert werden. Vorstellbar ist sogar die Integration von Sanitärgeräten in das Smart-Home - intelligente Toiletten also. Sturzsensoren unter dem Teppich oder im Boden erfassen, wenn ein Bewohner stürzt und benachrichtigen einen definierten Personenkreis. Herdwächter schalten die Kochfelder ab, wenn sich für gewisse Zeit niemand im Umfeld befindet. Nicht zwingend altersspezifisch und grundsätzlich lebenserleichternd sind Putz- und Mähroboter sowie Bewässerungssysteme im Garten. Auch sie können in das Smart Home integriert werden und erleichtern den Lebensalltag.
Tobias Lehmann: Die Steuerung über einen Sprachassistent nimmt jeder Generation mit Einschränkung in der Beweglichkeit „Arbeit“ ab und spart zum Beispiel den Gang zum Lichtschalter. Darüber hinaus kann der Alltag für Jung und Alt auch dahingehend erleichtert werden, dass zum Beispiel Erinnerungen und Kalenderfunktionen über das Smart Home eingebunden werden. Die Bewohner können an anstehende Termine oder auch die Medikamenteneinnahme erinnert werden.
Marc Böhm, geboren 1981, ist freier IT-Berater und leidenschaftlicher Softwareentwickler. Bereits als 12-Jähriger hat er seine ersten Programme geschrieben. 2005 wagte er gemeinsam mit einem Kompagnon den Weg in die Selbstständigkeit und gründete die CHILIBYTES GmbH, ein Unternehmen für individuelle Softwareentwicklung. Sein Beruf ist gleichzeitig sein Hobby – mit dem Hausbau 2012 realisierte er seinen Traum eines „Smart Homes“.
Tobias Lehmann, geboren 1985, ist Softwarearchitekt in einem Identity- und Access-Management-Projekt. Nach erfolgreichem Abschluss des Bachelor-Studiums der Softwaretechnik an der Hochschule Esslingen folgte ein Master-Studium in „Distributed Computing Systems Engineering“ an der Brunel University London. Seit 2010 ist er Angestellter der intension GmbH, bei der er in einem Projekt zur automatischen Traktorsteuerung die ersten Erfahrungen in der „App-Entwicklung“ sammelte.
Elmar Loth, geboren 1971, ist freiberuflicher IT-Berater. Direkt nach seinem Informatik-Studium hat er sich mit Kommilitonen selbstständig gemacht und war zwei Dekaden geschäftsführender Gesellschafter einer Software-Schmiede im Umfeld des Identity Managements. Durch und durch Technologie-Enthusiast hat er mit dem Aufkommen der Industrie 4.0-Ära eine neue Herausforderung in der Verknüpfung der realen Welt mit in Software gegossenen Prozessen gefunden.
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Marc Böhm, Tobias Lehmann, Elmar Loth: Zuhause – smart und nachhaltig. In: CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2021.