"Arbeit als Sinn des Lebens – das ist glaube ich ein Missverständnis"

Gregor Kalchthaler ist Co-Founder & Partner von Intraprenör. Das Startup wurde beim HR Excellence Award 2019 als „Personalberatung des Jahres" ausgezeichnet und gewann 2018 den NEW WORK AWARD. Mit uns teilt er seine Erfahrungen, Meinungen und Ansätze zum Thema Neues Arbeiten.

Intraprenör gilt als Inbegriff von New Work, du selbst sagst aber, dass der Begriff nur eine Hülle ist. Wie würdest du denn definieren, worüber alle reden?

Gregor Kalchthaler: Arbeit verändert sich seit eh und je und daher ist New Work irgendwann einfach “The Work”. Der Diskurs wird aktuell zu stark über Buzzwords geführt. Ich denke im Kern geht es darum, sich immer wieder mit der Veränderung der Gesellschaft und der Menschen zu beschäftigen, Arbeit daraufhin auszurichten und Wert zu schaffen.

Euren Beratungsansatz beschreibt ihr als „menschenzentriert“. Wie geht ihr vor, wenn ihr in ein Unternehmen kommt, um den Dingen auf den Grund zu gehen?

Wir arbeiten weder nach Modellen noch nach Standards. Wir lassen uns immer ein auf das, was wir vorfinden. Wir beobachten, führen Interviews, nutzen Daten und tauchen so in die Lebenswelt von Konsumenten und Mitarbeitern ein. So erleben wir beispielsweise den Unternehmensalltag aus Sicht der Mitarbeiter, erkennen die kulturellen Gegebenheiten und lernen die Sprache der Organisation. So können wir dann gemeinsam mit den Menschen Lösungen erarbeiten und unsere Werkzeuge weitergeben, damit wir nicht mehr gebraucht werden.

Wie offen sind Unternehmen für unkonventionelle Vorschläge?

Der Schlüssel ist immer die gute Beziehung zum Kunden, seinen Mitarbeitern und unseren Ansprechpartnern. Die muss man schlichtweg durch gute Leistung erarbeiten. Dann kriegen wir auch das Vertrauen geschenkt, Dinge völlig anders anzugehen. Für unseren Partner FitX zum Beispiel haben wir mit den Führungskräften ein Leadership-Festival in der Zeche Zollverein in Essen organisiert. Menschen in der Fitnessbranche sind unkonventionell, sie sind Schaffer und haben sich hochgearbeitet. Sie sind teilweise sehr jung, Mitte 20-Jährige mit Führungsverantwortung. Die holst du nicht mit ein paar Leitsätzen ab, sondern musst dir etwas einfallen lassen, was begeistert. Spannende Speaker von innen und außen, Inspiration, Dialog & Freundschaft, selbermachen und feiern.

Was genau läuft bei euch anders als in anderen Unternehmen?

Als wir 2018 den XING New Work Award gewonnen haben, wurden besonders unsere Flexibilität und die Viertagewoche gelobt. Zuerst haben wir uns gedacht, jetzt wurden wir mit Deutschlands wichtigstem Preis für Neue Arbeit ausgezeichnet – dafür, dass wir nicht arbeiten. Spaß beiseite: Uns ist nochmal verstärkt klar geworden, was bei uns den großen Unterschied macht: Wir investieren sehr stark in unsere eigene, einzigartige Kultur, weil wir dadurch lernen. Insofern sind unsere Vorbilder auch gar nicht so sehr andere Unternehmensberatungen, sondern alle Organisationen, die eine geile Unternehmenskultur haben. Aber nochmal konkret, weil wir immer wieder danach gefragt werden: Wir haben seit einigen Jahren schon eine Vier-Tage-Woche im Unternehmen. In unserem Modell bedeutet das, dass wir an einem Freitag nicht arbeiten.

Kurze Zwischenfragen: Zahlt ihr auch nur für eine Vier-Tage-Woche?

Das funktioniert nicht, die Bewerber würden ausbleiben und für die Mitarbeiter wäre das zu wenig Entwicklung. Betriebswirtschaftlich muss man um die Ecke denken, aber wir sehen, dass es sich langfristig in motivierten Leuten auszahlt, die als ganze Menschen und nicht als Maschinen ins Unternehmen kommen. Mal schauen, wo das hinführt.

Und was verbirgt sich hinter eurem Gehaltssystem?

Das Unternehmen wächst, zwischenzeitlich sind wir zwölf Angestellte. Irgendwann gab es eine beginnende Unklarheit darüber, wie sich die Gehälter zusammensetzen - auch bei uns Gründern. Da wollten wir das Ganze transparenter und nachvollziehbarer machen und haben mit dem Feedback aus dem Team einen Gehaltsrechner entwickelt, der auf einer Formel mit verschiedenen Faktoren beruht. Es gibt zum einen ein Grundgehalt, das für alle gleich ist. Dazu kommen Dauer der Zugehörigkeit zum Unternehmen, ein Leistungsfaktor und die unternehmerische Verantwortung, die jemand trägt. So kann sich nicht nur jeder im Unternehmen ausrechnen, wie sein Gehalt aktuell aussieht, sondern auch beeinflussen, wie es sich entwickelt.

Der erste Schritt bei der Einführung des neuen Gehaltsrechners war übrigens, dass wir die Zahlen unseres Unternehmens intern transparent gemacht haben. Wir haben unseren Leuten gezeigt: Guck mal, das ist der Umsatz und so wird der eingesetzt im Unternehmen. Das hier sind unsere Strukturen, so sehen die Personalkosten aus, das geben wir fürs Büro aus, das ist in Planung und so weiter. Das war der erste wichtige Schritt, um eine klare Diskussion zu führen.

Freitags frei, New Pay und New Work Space in euren Offices – sind das Ansätze, die sich andere Unternehmen bei euch abschauen können?

Was für uns funktioniert, ist noch lange nicht die Schablone für andere. Es würde uns fern liegen, anderen unsere Konzepte über zu bügeln. Da würden wir anders rangehen:

  • Tipp 1: Man sollte sich nicht nur mit modernen Konzepten, sondern mit dem modernen Leben beschäftigen, aber eben auch eine kritische Auseinandersetzung im Unternehmen darüber führen. Dauerhaft. Das schärft ganz automatisch den Blick für das Warum und Wie der Arbeit.

  • Tipp 2: Nicht überall gelingt Veränderung ganzheitlich und gesteuert. Deshalb sollte man den Teams in der Organisation Freiheiten einräumen. Ein Team sind für mich die Leute, die einen geteilten Alltag miteinander erleben. Sie pflegen meist eigene Kulturen und wissen, wie sie miteinander arbeiten wollen, damit sie ihre Ziele erreichen. Man muss sie gestalten lassen und es werden tolle eigene Lösungen entstehen.

Und welchen Part spielt die Kreativität dabei?

Kreativität macht Freude, Freude ist ein erfüllendes Gefühl und ohne Freude ist Arbeit sinnlos. Ich behaupte nicht, jeder muss in seiner Arbeit den Sinn des Lebens finden. Das ist glaube ich ein Missverständnis, denn für viele Menschen liegt die Erfüllung auch außerhalb des Jobs und das muss okay und genug sein. Aber trotzdem sollte niemand Dinge tun, die er nicht gerne tut. Wenn wir durch New Work etwas erreichen können, dann doch hoffentlich mehr strahlende Gesichter!

Auch in Sachen Co-Kreation habt ihr etwas in petto. Kannst du darüber schon etwas sagen?

Wir arbeiten schon seit langem für die Daimler AG und beide Seiten haben gespürt, es ist Zeit für den nächsten Schritt in der Zusammenarbeit. Gemeinsam mit dem Mercedes-Benz Spin-Off für Organisationsentwicklung haben wir MBØ (Merceds Benz / IntraprenÖr) ins Leben gerufen, eine co-kreative Unternehmung. Gemeinsam bauen wir ein neues Team für Organisationsentwicklung auf, welches das Beste aus zwei Welten vereint. Eine unheimlich spannende Aufgabe in der aktuellen Zeit. Denn wie man weiß, stehen deutsche Automobilhersteller unter einem sehr großen Zukunftsdruck. Das Automobil wird sich verändern und weiterentwickeln. Aber es gibt auch Geschäftsmodell-Thematiken, die ganzen Sharing-Thematiken und so weiter und so fort. Also ist die Organisation unfassbar in Bewegung und natürlich haben sich auch die Bedürfnisse der Arbeitnehmer stark verändert. Wir haben großen Respekt vor dieser Aufgabe, da wir in Stuttgart einen neuen Standort aufmachen. Auf der New Work Experience im Juni werden wir mit dem neuen Team zusammen berichten, wie das bislang lief und welche Erfahrungen wir gemacht haben!

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Über den NEW WORK AWARD

Um allen BewerberInnen die Möglichkeit zu geben, sich für den diesjährigen NEW WORK AWARD trotz oder gerade angesichts der bestehenden Herausforderungen zu bewerben, haben wir entschieden die Bewerbungsfrist bis zum 30.06.2020 zu verlängern.

Gleichzeitig entstehen durch die Krise aber auch ganz neue Dimension und Potentiale von New Work. Diese wollen wir jetzt im NEW WORK AWARD verankern und haben ihn deshalb um die Sonderkategorie „NEW WORK CRISIS HERO“ erweitert.

Mehr Infos dazu gibt es hier >>

Über die NWXnow

Spannende Thesen und Meinungen, Ausblicke in die Zukunft der Arbeit und Erfahrungsberichte von Innovatoren, Krisenmanagern und New Work Afficionados gibt es täglich bei der **digitalen Formatreihe NWXnow.**Wir möchten weiterhin ein Forum für die Diskussion zur Zukunft der Arbeit bieten. Denn wir sind davon überzeugt: Es geht mehr denn je um die Frage, wie wir die Weichen für eine zukünftige Arbeitswelt stellen, in der wir arbeiten wollen. Um Klarheit und Orientierung zu schaffen, sprechen wir dazu regelmäßig mit unterschiedlichten Experten, Vordenkern und Praktikern.

Die NWXnow beinhaltet Videocasts, bei denen Fachleute aus Gesellschaft, Wirtschaft und Politik über den Wandel der Arbeitswelt sprechen, spannende Artikel, Hintergrundinformationen, Interviews, Online-Workshops und Webinare, XING Corona-Hacks und vieles mehr. Die zentrale Fragestellung: Was kommt, was bleibt und was verändert sich?

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NWX – New Work News schreibt über Alles zur Zukunft der Arbeit

Alles zur Zukunft der Arbeit: Auf dieser News-Seite finden alle New Work-Interessierten multimedialen Content rund um das Thema. Neben Experten-Interviews, Debatten, Studien, Tipps und Best Practices, erwarten die Leser auch Video- und Podcastformate. Und natürlich ein Überblick unserer gesamten New Work Events, die mehrmals im Jahr im gesamten deutschsprachigen Raum stattfinden. Weitere spannende Inhalte zum Thema New Work finden Sie auf: nwx.new-work.se

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