Außenteile von Split-Klimageräten: In Südeuropa längst üblich an den Fassaden | © Getty Images
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Klimatisiert in die Krise

An die 40 Grad Anfang Juli: Da steigt das Interesse an Klimaanlagen, die Strom fressen, aber auch Leben retten. Der Bedarf wird weltweit rasant steigen – in Frankreich haben sich bereits rechte Populisten des Themas bemächtigt.

Social Media inmitten einer Hitzewelle zu verfolgen, trägt auch nicht zur Entspannung bei: Es gibt die üblichen Kulturkämpfe zum Thema Klimakrise („nennt sich Sommer“), aber in hocherhitzter Ausführung. Dazu ein recht spezielles, vielleicht deutsches Phänomen: Raumklimatisierung als moralische Frage. Sind Klimaanlagen nun ein notwendiges Mittel, zum Schutz von Alten und Kranken sogar ein Menschenrecht? Oder sind sie eine Erscheinung, die denen, die es sich leisten können, erlaubt, die Krise für sich unbedeutend zu machen?

Blechkästen an jeder Wand

Womöglich holen wir hier eine Diskussion nach, die in südlicheren Ländern lange her ist, oder nie geführt wurde, weil Klimatisierung dort selbstverständlich ist. In spanischen oder griechischen Altstädten, die sich bei Hitze aufgrund ihrer Bauweise extrem aufheizen, fallen überall an die Fassaden geschraubte Blechkästen der Firmen Daikin, LG, Samsung und Co. auf – Außenteile von Split-Klimageräten, deren Innenteil gekühlte Luft ausbläst.

Laut Internationaler Energieagentur (IEA) hat sich der Energieverbrauch zur Kühlung seit 1990 verdreifacht. Geschätzt zwischen sieben und zehn Prozent der weltweit erzeugten elektrischen Energie gehen auf das Konto von „Air Condition“ („AC“), tragen also zu der Krise bei, deren Folgen sie erträglich zu machen versuchen.

Die Rede ist von etwa zwei Milliarden Anlagen, mit stark steigender Tendenz. In Szenarien spielen KI-Rechenzentren als Treiber der Stromnachfrage eine große Rolle, aber die Klimatisierung (übrigens auch für Rechenzentren) kann da mindestens mithalten. Wenn große Teile der Welt sich lebensfeindlichen Bedingungen nähern, wird Klimatisierung zur Überlebensfrage.

Erinnerung an USA-Urlaube

Für Deutschland rechnet Martin Krutz, nationaler Geschäftsführer beim japanischen Marktführer Daikin, mit 25 Prozent erhöhter Nachfrage in den kommenden fünf Jahren, zunächst für Gewerbe und in öffentlichen Gebäuden, dann aber auch im privaten Bereich. Schulen, Krankenhäuser und Altenheime sind die ersten Anwärter.

Globale Umsatzprognose für Klimageräte

Daten wurden aus Lokalwährungen zu durchschnittlichen Wechselkursen des jeweiligen Jahres umgerechnet. Stand: Juli 2024 | Quelle: Statista Market Insights

Hierzulande gehören die Kisten an der Außenwand noch nicht zum gewohnten Bild. Mit „Air Condition“ verbinden die meisten eher Eindrücke von Mittelmeerurlauben oder Erinnerungen an USA-Reisen, wo bei 32 Grad draußen die Einkaufszentren auf 19 Grad gekühlt werden. Eine groteske Verschwendung, die zum ruinierten Ruf von „AC“ beiträgt.

„Monoblock“ als Notlösung

Wie viele Pumpen schon zum Kühlen in Deutschland laufen, ist nur zu schätzen. Das Gros sind „Monoblock“-Geräte, die billig im Baumarkt zu haben und typische Verzweiflungskäufe von Dachgeschossbewohnern sind. Dieser Typ führt die warme Luft durch Schläuche nach draußen, oft hängen die Enden aus dem Fenster, das irgendwie drumherum abgedichtet wird – Stromfresser mit schlechtem Wirkungsgrad, allenfalls eine Notlösung. Die Stiftung Warentest hat Monoblocks deshalb aus dem Testfeld gestrichen.

Gamechanger Propan?

Split-Klimaanlagen dagegen sind professionelle Lösungen, denen manche Experten eine große Zukunft nicht nur zum Kühlen vorhersagen: Unter bestimmten Umständen sind sie auch als (ergänzende) Heizung im Winter sinnvoll. Bis vor Kurzem operierten die meisten Modelle mit extrem klimaschädlichen Kältemitteln, doch seit das natürliche Propan auf dem Siegeszug ist, muss für die Installation kein eigens zertifizierter Kältetechniker mitwirken. Was die Gefahr von Explosionen angeht, versprechen die Hersteller Fortschritte in Richtung sicherer Lösungen. Allerdings müssen in jedem Fall Leitungen für den Kältekreislauf durch die Wand geführt werden, was für Mieter oft abgelehnt wird.

Umgedrehte Wärmepumpen

Auch die großen Heizungswärmepumpen kommen neuerdings ins Gespräch. Bei neueren Modellen lässt sich im Umkehrbetrieb die ohnehin vorhandene Heizungsanlage zum Kühlen einsetzen.

Erfahrungen sind noch rar, ein Grundproblem aber schon bekannt: Das Kondenswasser, das bei Klimaanlagen abgeleitet wird, gerät hier in die Verteilung, der Taupunkt – abhängig von der Luftfeuchtigkeit – darf also nicht unterschritten werden. Nach einzelnen Erfahrungsberichten lassen sich zwei bis drei Grad Abkühlung durchaus erzielen, was in gut isolierten Häusern schon reichen kann.

Hilfloser Hitzeaktionstag

Klar ist, dass große Teile der Erde Klimaanlagen benötigen werden, das extrem von Hitze betroffene Indien (7 Prozent der Haushalte mit „AC“) wird die Lücke zu den USA (90 Prozent) verkleinern müssen. Natürlich verweist die IEA darauf, möglichst effiziente Geräte einzusetzen und alle natürlichen Wege zu beschreiten. Der ähnlich ausgerichtete deutsche „Hitzeaktionstag“ am 4. Juni machte aber einen eher hilflosen Eindruck. Was mehr Bäume in den Städten ausrichten können, zeigt sich in Paris, wo Bürgermeisterin Anne Hidalgo 70.000 Parkplätze für Begrünung geopfert hat: deutlich niedrigere Temperaturen dort, wo Pflanzen beschatten.

Frankreichs Rechte hat ein Thema entdeckt

Wie auch dieses Thema politisch-populistisch aufgeladen wird, ist gerade ebenfalls in Frankreich zu beobachten: Marine Le Pen, Anführerin der – wie in Deutschland Klimawandel leugnenden – Ultrarechten, stellt einen „großen Plan für Air Conditioning“ in Aussicht, sollte sie 2027 zur Präsidentin gewählt werden. Die Regierung entgegnete, das sei der falsche Weg.

In Frankreich stand der Anteil häuslicher Klimaanlagen 2020 immerhin schon bei 25 Prozent, ist Deutschland also um Einiges voraus. Die AfD scheint das Thema aber noch nicht entdeckt zu haben.

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Raimund Witkop schreibt über Politik & Gesellschaft

Lange Erfahrung als Journalist, gern im Sport unterwegs (WamS, FAZ), aber auch im Bereich Technik und Wissenschaft. Energie und Umwelt sind, vor dem Hintergrund des Klimawandels, die wichtigsten Themen unserer Zeit - deshalb sind sie seit Jahren mein Schwerpunkt.

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