Lernen und Wachsen sind eng verwandt - und doch unterschiedlich
Kinder und Jugendliche in industrialisierten Ländern empfinden das Lernen häufig als ein quälendes Muss: Leistungsdruck und das Streben nach guten Noten sind noch immer häufig damit verbunden, sich möglichst viele Optionen für die Zukunft offen zu halten. Dabei werden die eigentlichen Motive des Lernens – Erkenntnisgewinnung, verbessertes Weltverständnis, Gewinn bestimmter Fertigkeiten, Selbsterkenntnis – aus den Augen verloren. Es sollte Menschen deshalb so früh wie möglich beigebracht werden, nicht schneller, sondern langsamer zu lernen – und tiefer. Auch sollten schon Kleinkinder darin bestärkt werden, Fragen zu stellen und Neues auszuprobieren. Erst dann sind sie später keine Bildungsempfänger mehr, die sich Wissen rein um des Wissens willen „aneignen“, ohne zu wissen, wozu sie es benötigen. Wer ein konkretes Ziel vor Augen hat, dem macht das Lernen auch Spaß. Ziele brauchen nicht nur Motivation, sondern auch soziale Verarbeitungs- und Filterkompetenzen, die sich auf die Umsetzung von Wissen beziehen. „Wir behalten von unsern Studien am Ende doch nur das, was wir praktisch anwenden“, bemerkte schon Goethe.
Personalexperten wie Werner Neumüller, Geschäftsführer der NEUMÜLLER Unternehmensgruppe betonen nicht nur die Notwendigkeit eines breiteren interdisziplinären Ansatzes, sondern auch die Bedeutung des Handelns, „denn ohne anpackende Menschen, die klug und pragmatisch die Welt gestalten“, kann sich eine Gesellschaft nicht nachhaltig entwickeln und innovativ sein. Wer dies vernachlässigt, wird die Herausforderungen unserer Zeit nicht meistern können und lediglich in der Welt „hantieren“. Dem dualen Studium mit vertiefter Praxis kommt dabei eine wesentliche Bedeutung zu: Es schafft Unternehmen die Möglichkeit, attraktive Ausbildungsprogramme für Schulabgänger mit Hochschulreife zu bieten und damit dem Fachkräftemangel entgegenzutreten sowie den richtigen Führungskräftenachwuchs für Unternehmen zu gewinnen.
Künftig werden technologische Fähigkeiten, digitale Grundfertigkeiten, klassische Fähigkeiten wie Eigeninitiative und lebenslanges Lernen immer wichtiger. Denn eine vitale Gesellschaft ist eine lernende Gesellschaft. Deshalb sind Weiterbildungsangebote der entscheidende Faktor. Ständig gibt es Veränderungen, neue Entwicklungen und Technologien, alte Regeln werden durch neue ersetzt. Auch Management und Mitarbeitende müssen akzeptieren lernen, dass es keine endgültigen Antworten mehr gibt und dass Antworten, wenn sie denn gegeben werden, kurze Halbwertszeiten haben – für das Unternehmen wie für den eigenen Arbeitsplatz und die tägliche Arbeit. Es funktioniert nicht mehr, Mitarbeitende nur sporadisch weiterzubilden.
Wer in einem Unternehmen gefördert und respektvoll behandelt wird, bringt außergewöhnliche Leistungen und bleibt. Unternehmen, die zielgerichtete und praxisorientierte Beschäftigungsfähigkeit fördern und fordern, begreifen sich auch als „lernende Organisation“ mit durchlässigen und flexiblen Strukturen. „Lebenslanges Lernen ist etwas Wunderbares, Nützliches und Bereicherndes. Geistiger Input macht fit, öffnet den Geist und hält Menschen neugierig und kreativ“, sagt Matthias Krieger, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter des Baudienstleisters und Projektentwicklers Krieger + Schramm. Wie sich Unternehmen auf die Entwicklung und die veränderte Bedarfssituation anpassen, zeigt dieses Beispiel: Das Wissensmanagement wird hier ständig weiterentwickelt und ist Bestandteil der Leitziele des Unternehmens und als Kernkompetenz mit 7, 3 und 1 Jahreszielen beschrieben. Mittels neuer Softwarelösung soll das Wissensmanagement noch effizienter umgesetzt werden. Dazu gehört die Integration der K+S Akademie sowie K+S Kompasse in den Multiprojektraum. Zum anderen soll das Wissen gezielt mit ausgewählten Partnern geteilt werden.
Die Investition in Bildung und die Stärkung des Bildungssektors ist nicht nur der Schlüssel zur nachhaltigen Entwicklung eines Landes und seiner Menschen, sondern auch dafür, dass jede/r sein eigenes Leben selbstbestimmt führen kann. Es ist dringlich, für alle eine chancengerechte und hochwertige Bildung sowie Möglichkeiten zum lebenslangen Lernen sicherzustellen, denn wir stehen am Übergang von der Wissensgesellschaft zu einer Komplexitäts- und Potenzialentfaltungsgesellschaft. Vor diesem Hintergrund wurde 2011 die Dagmar + Matthias Krieger Stiftung ins Leben gerufen. Junge Menschen werden hier begleitet und unterstützt, ihre Talente zu entfalten. Der Zugang zu Sport, Bildung und Kultur spielen dabei eine wesentliche Rolle. Matthias Krieger ist davon überzeugt, dass die „Macherqualitäten junger Menschen durch fachliche und menschliche Unterstützung“ gestärkt werden können. Das ist deshalb so wichtig, weil uns Neugier im Laufe unseres Lebens häufig abtrainiert oder unterdrückt wird. „Es ist ein gutes Gefühl, in diesen bewegenden Zeiten, Menschen zu unterstützen, die in speziellem Maße auf uns angewiesen sind, weil sie noch dabei sind, ihren Weg zu finden. Eine Generation, die es im Zeitalter der zunehmenden Digitalisierung nicht immer leicht hat, ihre Orientierung beizubehalten“, sagt Dagmar Krieger, Gründerin und Vorsitzende der DMK Stiftung, der besonders die individuelle Entfaltung der Jugendlichen am Herzen liegt.
Wachsen bedeutet, eine neue Ebene zu erreichen. Große Sprünge und schnelles Wachstum machen allerdings keinen Sinn, denn die Natur macht es auch nicht. Was für den Garten gilt, gilt ebenso für andere Lebensbereiche und die Unternehmenswelt. Das Erfolgsgeheimnis des österreichischen Chocolatiers Josef Zotter ist natürliches Wachstum. „Schon möglich, dass irgendwann auch der Tag kommt, an dem das Wachstum zum Stillstand kommt, der Prozess abbricht. Ist es nicht überall so? Für alles kommt irgendwann der Tag, an dem es aufhört, verschwindet, stirbt. Wie im Leben. Das ist der Zyklus.“ Den Wirtschaftspropheten, die behaupten, dass man wachsen muss, um nicht unterzugehen, steht er skeptisch gegenüber. „Logisch“, sagt er, „weil alles auf Pump aufgebaut ist. Darauf, dass du dir mit geliehenem Geld Wachstum erkaufst. Mit der Folge, dass du immer weiterwachsen musst, damit du dir dein Wachstum leisten kannst...“ Aus der Biologie ist bekannt, dass ein System einige Zeit ohne Schwierigkeiten wachsen kann. Doch es gibt eine kritische Grenze, deren Überschreitung ein System nicht überlebt. Zunächst mag das unkontrollierte Wachstum aus der Sichtweise dieser Zellen „erfolgreich“ erscheinen, aber nur bis das lebensfähige System zugrunde gerichtet wird.
Allerdings ist „Nullwachstum“ für Josef Zotter auch keine realistische und wünschenswerte Perspektive angesichts der Massenarmut in der Welt. Doch ein „Weiter so“ geht wiederum auch nicht. Für die dritte Option, nachhaltiges, sozial-inklusives Wachstum, plädiert das Buch „Intelligent wachsen“ von Ralf Fücks. Der Schlüssel für nachhaltiges Wachstum liegt für ihn in einer Entkopplung von Wertschöpfung und Naturverbrauch. Nur darf Ökologie nicht wie ein Erwachsener einem Kind gegenüber mit dem Gestus „Du darfst nicht“ daherkommen. Denn das würde dazu führen, Gier statt Neugier zu wecken und nachhaltige Gestaltungsräume einzuengen.
Lebenslang kompetent: Warum organisiertes Lernen und das Konzept des aktiven Lernens zusammengehören
Die lernende Gesellschaft: Weiterbildungsmaßnahmen im Mittelstand
Matthias Krieger: Die Lösung bist Du! Was uns wirklich voranbringt. BusinessVillage Verlag, Göttingen 2011.
Alexandra Hildebrandt und Alfons Schweiggert: Tun statt reden! Warum wir eine Kultur des Machens brauchen. Kindle Edition 2022.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.