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3fach UNgeübt. Zufälliger geht's nicht. Lotto im Recruiting?

Profi für Suchen, Texten und Präsentieren?

Hand aufs Herz: Sind Sie dreifacher Profi in Online-Suche, im Verfassen relevanter Kurztexte, im freien Reden und Präsentieren?

Wer beherrscht diese Fähigkeiten perfekt? Wer fällt Ihnen ein? Sind das die drei Kernkompetenzen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ihrem Unternehmen brauchen? NEIN. Meistens nicht. Aber sie entscheiden über eine erfolgreiche oder erfolglose Jobsuche. In den meisten Unternehmen.

Studien belegen, welche Rolle das Foto, das Geschlecht und auch der Vor- und Nachname von Kandidaten im Bewerbungsverfahren spielen. Jugendliche mit ausländischen Namen haben schlechtere Chancen bei Bewerbungen für einen Ausbildungsplatz. Doch noch grundsätzlicher gefragt: Warum ist ein Prozess zum Standard der Personalgewinnung geworden, der Fähigkeiten in den Mittelpunkt des Bewerbungsverfahrens stellt, in dem fast alle Kandidaten UNgeübt sind? Noch schlimmer: Drei Kompetenzen werden zum Killerkriterium, die im Beruf völlig irrelevant sind.

Standard zementiert

In dieser Woche hatte ich das Glück, spannende Menschen persönlich zu treffen, die ich bereits über Twitter kannte wie Cathrin Eggers und Frank Eilers, der einen Podcast zu Rock Your Idea, Ideenfitness und Mythos Fachkräftemangel veröffentlicht hat. Weitere inspirierende Treffen in Berlin und Düsseldorf drehten sich um neue Ideen im Arbeitsmarkt. #AllesGehtAnders glaube ich.

Aber aktuell kommt Innovation unter die Räder, da große Job-Plattform-Anbieter immer größer werden. Der Standard wird weiter zementiert - sei er nun sinnvoll oder sinnlos. Randstad kauft Monster Worldwide, Microsoft kauft LinkedIn, TEGNA sucht strategische Alternativen für die Careerbuilder Group, zu der auch Textkernel u.v.a. gehören. Kürzlich berichtete ich über den Irrsinn, dass 253 Firmen zusammen 513.300 Absagen verschicken, um 7.700 Stellen zu besetzen. Sinnvoll? Wie viele Absagen produzieren 3,6 Millionen deutsche und 23 Millionen europäische Firmen?

Was wäre, wenn sich Firmen und Mitarbeiter ohne Umweg finden würden? Was wäre, wenn die Kompetenzen den Ausschlag geben, die im Job gefragt sind? Vor einem Neuanfang liegt die Erkenntnis, dass was falsch läuft.

Erste Hürde: Profi für Stellenbörsen?

Schauen wir uns das klassische Bewerbungsverfahren genauer an. Welche Stellenbörse nutzen Sie von den über 2.500 Stellenbörsen? "Auch Experten können hier nur noch schwerlich den Überblick behalten", schreibt der Recruiting-Profi und Blogger Stefan Scheller. Wenn schon Profis kaum den Überblick behalten, wie dann Laien?

Bewerber sind Laien in der Nutzung von Stellenbörsen. Sie können es üben, sie lernen hinzu und werden mit jeder Bewerbung besser. Aber ein Profi, Meisterin und Meister in der Recherche und Stellensuche? Die wenigsten Menschen werden Profis in der Nutzung von 2.500 Stellenbörsen. Wozu auch? Unternehmen erwarten als Mitarbeiter einen Profi fürs Kochen, Knoten, Kneten oder für Konstruktionen, nicht für die Stellensuche.

Lotto 6 aus 49?

Ein Unternehmen schaltet eine Stellenanzeige in der Erwartung, dass passende Kandidaten diese Stelle entdecken, daran hängen bleiben, sich dafür interessieren, die Bewerbung verfassen und tatsächlich abschicken. Dazu gehört häufig auch die Bereitschaft, neue Wege in Kauf zu nehmen oder sogar umzuziehen. Wie wahrscheinlich ist es, dass ein passender, umzugsbereiter Kandidat ausgerechnet JETZT Ihre Stellenanzeige entdeckt, spontan überzeugt ist, zu Ihnen will und loslegt? Millionen Angeboten konkurrieren mit Ihrer Stelle. Wenn ein passender Kandidat tatsächlich Ihre Stellenanzeige gefunden hat, sticht Ihr Angebot dann heraus? Ist Ihr Angebot unwiderstehlich und magnetisch anziehend?

Ein Volltreffer unter 2.500 Stellenbörsen mit Millionen Jobs in 3,6 Millionen Firmen für 43 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland, die mal mehr und mal weniger suchen, wirkt auf mich wie 'Lotto 6 aus 49' mit knapp 14 Millionen Kombinationsmöglichkeiten. Durch die Inflation der Stellenbörsen müssten Sie Ihre Stellenanzeige heute in 20 oder 40 Börsen einstellen, um überhaupt mit den Zahlen von früher vergleichen zu können. Daher sagt eine sinkende Anzahl von Bewerbungen gar nichts über fehlende Bewerber aus, sondern viel mehr über die exponentiell gewachsenen Jobbörsen. Die gleich bleibende Aufmerksamkeit verteilt sich auf viel mehr Kanäle und Medien, denn mehr Aufmerksamkeit gibt es nicht.

Zweite Hürde: Profi für Kurztexte?

Best case. Ein passender Koch, Erzieher oder Mechatroniker hat Ihre Suchanzeige entdeckt. Die Kandidatin/ der Kandidat schreibt nun eine Bewerbung mit Lebenslauf. Kurz, knackig und in der aktuell angesagten tabellarischen Form. Vorlagen gibt es dafür genug. Man bekommt es irgendwie hin. Aber wer ist ein Profi für Kurztexte zu den eigenen Fertigkeiten und Erfahrungen? Suchen Sie Profis für tabellarische Kurztexte und aussagekräftige Anschreiben? Die wenigsten Unternehmen. Entscheidend sind die praktischen, konkreten Fähigkeiten in dem Job, für den man sich bewirbt.

Doch dieser Kurztext - Lebenslauf und Anschreiben - entscheidet, ob man in die engere Wahl kommt. Wie viele Diamanten gehen hier verloren, weil der Text nach einem Kieselstein aussah und den Brillanten nicht vermitteln konnte?

Fremde per Text

Experten wie Henrik Zaborowski sagen: "Niemand transportiert seine Persönlichkeit über ein Anschreiben und einen Lebenslauf. Niemand! Weil es nicht geht." Und er wird noch deutlicher: "Der Personaler fliegt in 7-10 Sekunden über den auf zwei genormten Seiten Lebenslauf und entdeckt die Persönlichkeit eines Menschen? Im Leben nicht."

Personalsuchende 'treffen' Bewerber als Fremde in Textform, und der Kurztext entscheidet, ob ein Mensch zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird. Kann das so optimal funktionieren? Ist der Personalverantwortliche überhaupt ein Leseprofi? Ein Literat? Oder eher visuell veranlagt? Wie müssten mechanische, handwerkliche, erfinderische, innovative Fähigkeiten textlich verpackt sein, dass sie überzeugen?

Dritte Hürde: Profi für Präsentation?

Ist man nun eine/r der Glücklichen und hat diese beiden Hürde genommen, folgt die dritte Hürde, die mit der Kernkompetenz und dem ausgeschriebenen, gesuchten Job NICHTS zu tun hat. Nun gilt es, im Job-Interview Profi zu sein. Die selbstbewusste Darstellung der eigenen Fähigkeiten ist dran. Nicht zu viel, und nicht zu wenig. Kompetent, aber nicht arrogant. Was sagt uns die Vergangenheit? Ist die Lernfähigkeit in den kommenden Jahren nicht viel interessanter? Aber wie kommt man im Gespräch theoretisch darauf zu sprechen? Welche Rolle spielt Musik? Wissen Sie, welche Musik Ihre Mitarbeiter hören? Ingenieure und Software-Entwickler sind überproportional häufig auf dem Heavy-Metal-Festival in Wacken. Aber käme Ihr Ingenieurs-Bewerber im Wacken-T-Shirt, was dann? Gleich unten durch? Das Auge isst mit. Der erste Eindruck zählt. Wer ist Profi für Bewerbungsmode? Wer kleidet sich für jeden Anlass passend? Wer präsentiert sich in allen Belangen professionell?

Wie viele Diamanten gehen verloren, weil die Präsentation nicht brillant war? Aber ist es das, was Sie suchen? NEIN! Selbst Professoren und Dozenten, die regelmäßig reden, sind häufig schlechte Präsentatoren. Selbst professionelle Redner stehen mehrheitlich regungslos am Pult. Das ist schlecht präsentiert, weil das Gehirn Überraschungen und Bewegung braucht, um neuen Input wahrzunehmen. Wer schafft eine überzeugende Vorstellung? Eine Show? Die wenigsten Profis fesseln ihre Zuhörer und Zuschauer. Wie sollte es also funktionieren, dass sich in freier Rede ungeübte Menschen optimal präsentieren? Henrik Zaborowski legt noch einen drauf: "In einem oder zwei oder drei Vorstellungsgesprächen können Sie keinen Menschen wirklich kennenlernen. Das ist Humbug."

Drei 100% falsche Filter für die gesuchte Profession

Wer einmal joggen geht, würde sich niemals zum Marathon anmelden. Wer den Marathon in New York City läuft, hat sich akribisch vorbereitet über Monate oder sogar Jahre. Erwarten Sie von Kandidaten ein bestimmtes Handwerk, eine Fertigkeit und Erfahrungen in der Profession, die Sie ausgeschrieben haben und die Sie besetzen wollen? Ihre neuen Kolleginnen und Kollegen sollten die Profession beherrschen, die Ihre Wertschöpfung voran bringt!

Was hat das mit Jobbörsen-Suche, dem Schreiben tabellarischer Kurztexte und der professionellen Präsentation zu tun? Welchen Nutzen hat es für Unternehmen, dass Kandidaten durch denselben Filter gequetscht werden:

  1. Suche in 2.500 Stellenbörsen mit einer Lotto-Treffer-Quote

  2. Verfassen von Kurztexten und Diamant-Erkennung per Text

  3. live-Präsentation und Selbstdarstellung ohne Praxisbezug

Ihre Kandidaten sind in diesen drei Disziplinen zu 100 Prozent ungeübter als in der Kernkompetenz und der Profession, die Sie eigentlich suchen. Falsche Filter! Umwege und Sackgassen! Sie werfen mehr Diamanten weg als Sie erkennen.

Suchen, Texten und Präsentieren

Zufällig bin ich ein Profi im Präsentieren, Vortragen und Entertainen. Ich verdanke meine 30 Jahre Erfahrung sowohl dem Schulfach "Speech" als auch 10 Jahren ehrenamtlichen Trainings. Ein Berliner Ehepaar war so frei, sein Wohnzimmer für Tausende Jugendliche zu öffnen und hat mich darin gefördert, Gruppen zu leiten und Talkshows zu moderieren. Die Übung machte mich fit. Doch in der Regel ist es völlig unwahrscheinlich, dass Bewerberinnen und Bewerber Profis in diesen drei Fähigkeiten sind.

Eine sinnentleerte, fest zementierte Standard-Bewerber- und Job-Suche setzt Fähigkeiten im Suchen, Texten und Präsentieren voraus. Warum muss sich ein Uhrenmacher oder Feinmechaniker im Bewerbungsgespräch gut darstellen und verkaufen können? Aufgaben, die nichts mit dem späteren Job zu tun haben, verschwenden Potenzial.

Beidseitig Frust

Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist zum Verzweifeln! Fachkräfte wollen so gerne einen Arbeitgeber finden, bei dem sie ihr Wissen und ihr Talent optimal einsetzen können. Auf der anderen Seite suchen Unternehmen händeringend nach Fachkräften. Auf beiden Seiten herrscht Frust.

Im Weg steht der Beton der Auswahlprozesse. Warum ändert sich trotz besseren Wissens so wenig? "Pro Jahr erscheinen mehr als 700 wissenschaftliche Publikationen zum Thema Personalauswahl, von denen so gut wie nichts in der Praxis ankommt.“, zitiert Henrik Zaborowski Professor Uwe Kanning. Welch enorme Potenzialverschwendung, die bereits in der Geschichte der zwei Königskinder anklingt. Alle wollen, aber die passende Brücke und Verbindung fehlt:

  • Es waren zwei Königskinder, die hatten einander so lieb, sie konnten beisammen nicht kommen, das Wasser war viel zu tief.

  • Ach Liebster, könntest du schwimmen, so schwimm doch herüber zu mir! Drei Kerzen will ich anzünden, und die soll'n leuchten zu dir.

  • Ach Fischer, liebster Fischer, willst du verdienen groß Lohn, so wirf dein Netz ins Wasser und fisch mir den Königssohn.

Tag der Einheit

Es muss einfacher und sinnvoller gehen. Davon bin ich überzeugt. 2.500 Stellenbörsen und Text-Bewerbungen sind ein Umweg für menschliche und fachliche Passung. Heute am 03.10.2016, dem Tag der Deutschen Einheit werden wir daran erinnert, dass Mauern fallen. Die Mauer zwischen Ost und West ist schon genauso lange weg wie sie einst felsenfest stand. Die Verbindung zwischen Unternehmen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kann völlig neu geschaffen werden.

Streichen Sie 'geht nicht' aus Ihrem Vokabular. Lachen Sie freundlich aber bestimmt, wenn andere den 'geht nicht'-Unsinn verbreiten. Die Mauer ist weg. #AllesGehtAnders Auch Personalgewinnung geht GANZ ANDERS. #RockYourIdea. Frei nach Henry Fords einfacher Weisheit: „Ob du glaubst, du schaffst es, oder ob du glaubst, du schaffst es nicht. Du wirst in beiden Fällen Recht behalten.“

Um Neues zu entdecken, muss man zunächst an Grenzen stoßen. Im Recruiting gibt es einige Regeln zu brechen und Grenzen zu sprengen. Auf geht's!

Martin Gaedt schreibt über Provotainment, Leben und Arbeit, cleveres Recruiting, Wirtschaft & Management

Martin Gaedt ist Autor von "4 TAGE WOCHE", "Rock Your Work", "Rock Your Idea" und "Mythos Fachkräftemangel". Er ist Provotainer und hat seit 2014 in 650 Keynotes mehr als 100.000 Gäste begeistert, provoziert und entertaint. Seit 1999 gründet er Unternehmen und stellt 44 Fragen, der Anfang des Neuen.

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