Faulenzer, nein danke! Warum Downshifting endlich salonfähig werden muss
Jeder dritte Angestellte wünscht sich, im Beruf kürzer zu treten. Doch ein Rückschritt auf der Karriereleiter gilt noch als Schwäche. Dabei sind Downshifter keine Faulenzer, sondern hoch motiviert. Warum Arbeitgeber und Jobwechsler sich vom Ideal der reinen Aufstiegskarriere befreien sollten und Downshifting endlich salonfähig werden muss.
Im Beruf kürzer treten oder sogar die einflussreiche Führungsposition freiwillig gegen eine Funktion ohne Personalverantwortung eintauschen? Das bedeutet in den meisten Fällen die Kündigung oder die Suche einer passenden Position bei einem neuen Arbeitgeber. Zu groß ist die Angst, fortan als Versager oder Schwächling im Unternehmen dazustehen. In einer Gesellschaft, die auf Leistung und Erfolg getrimmt ist und in der Karriere nur nach oben führt, ist die persönliche Entscheidung für den Schritt zurück noch nicht vorgesehen.
Downshifter sind für viele Arbeitgeber höchst suspekt
Wer eine angebotene Beförderung ablehnt, seine Arbeitszeit ohne ersichtlichen Grund reduzieren möchte oder sogar den echten Schritt nach unten sucht, der wird nicht nur von seinem privaten Umfeld besorgt beäugt, sondern auch von Chef und Kollegen schräg angesehen. Freiwillig auf Gehalt, Status oder Einfluss verzichten? - Das macht man doch nicht!
So modern sich unsere Arbeitswelt gibt, so fest sind die traditionellen Karrieremodelle noch in unserem Denken und Handeln verankert. Die meisten Arbeitgeber hierzulande reagieren ihren Mitarbeitern mit Wunsch nach Downshifting gegenüber überrascht und überfordert mit einem hilflosen Schulterzucken.
In ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn erfolgreiche Arbeitnehmer werden von heute auf morgen als nicht mehr belastbar abgestempelt und entweder auf das interne Abstellgleis befördert oder sie erfahren, dass Reisende nicht aufgehalten werden.
Jeder Dritte Angestellte möchte seine Arbeitszeit reduzieren
In meiner 2016 durchgeführten Karrierestudie gaben 31 Prozent der Befragten an, gerne weniger arbeiten zu wollen, auch wenn dies eine Reduzierung ihres Einkommens bedeutet. Dies sind Angestellte, die sich dafür entscheiden würden, Arbeit gegen mehr Leben und Geld gegen mehr Freude im Beruf zu tauschen. Eine Entwicklung, die in meiner Wahrnehmung in den letzten Jahren weiter zugenommen hat.
Aus vielen Coachings mit Berufserfahrenen weiß ich, dass insbesondere diejenigen, die sich zwischen Mitte 40 und Anfang 50 bewusst für ein Downshifting entscheiden, dies niemals aus einer fixen Laune heraus tun, sondern einen intensiven Prozess der Selbstreflexion hinter sich haben. Sie besitzen Klarheit über ihre persönlichen Werte im Beruf und Leben sowie über die für sie erfüllenden Ziele für ihre gute Zukunft.
Downshifter sind keine Faulenzer, sondern hoch motiviert
Es ist oberflächlich und falsch, Downshifter pauschal als Faulenzer oder Drückeberger abzustempeln. Ganz im Gegenteil: Wer eigene Klarheit darüber besitzt, was ihn wirklich motiviert, sich im Beruf in den nächsten Jahren gesund hält und sein Handeln konsequent hiernach ausrichtet, der wird auch in seiner neuen Position weitaus motivierter und produktiver sein als die breite Masse der in unseren Büros ihre Zeit Absitzenden und mangels Übernahme von Selbstverantwortung ohnmächtig Dienst nach Vorschrift Schiebenden.
Wer als Arbeitgeber seine oftmals erfahrensten Mitarbeiter mit Wunsch nach Downshifting mangels Alternativen zum klassischen Karriereaufstiegsmodell ziehen lässt, der verliert nicht nur wertvolles Wissen, sondern vor allem selbstreflektierte Menschen, die große Lust haben zu arbeiten – nur anders als bisher.
Jeder Downshifter ist sich seiner Überqualifikation bewusst
Ich begleite regelmäßig Downshifter bei ihrem Jobwechsel und sehe, welche Schwierigkeiten sie in der Rolle als Bewerber haben. Jeder Downshifter erscheint überqualifiziert für eine niedrigere Zielposition und wird schnell als nicht passend aus dem Stapel der Kandidaten aussortiert. Ich empfehle ihnen, mit ihrer Bewerbung echte Klarheit über ihre Wechselmotive, beruflichen Werte sowie Zukunftspläne zu schaffen, um in einem noch an Geradlinigkeit und Passung orientierten Recruiting Chancen zu haben.
Denn im Gegensatz zu solchen Bewerbern, die sich mangels Klarheit blind auf Stellen unter ihrem Niveau bewerben, sich schnell langweilen oder nach Aufstieg streben werden, gehen Downshifter diesen Schritt bewusst. Sie haben für sich die Frage positiv beantwortet, ob sie die neue Position in den nächsten Jahren ausfüllen wird und wissen, worauf sie sich einlassen.
Ich frage mich, was kann einem Arbeitgeber besseres geschehen, wenn sich eine bisherige Führungskraft wieder stärker als Teil des Teams mit Sachthemen befassen möchte, jedoch aus Erfahrung weiß, wie sich Führung und die Luft eine Etage höher anfühlen? Wer selbst einmal geführt hat, kann als Mitarbeiter besser folgen.
Es lohnt sich für jeden Arbeitgeber, dem Wunsch von Mitarbeitern nach Downshifting mit echtem Interesse und Wertschätzung zu begegnen. Denn wer bewusst runterschalten kann, der wird motiviert neu durchstarten.
Die Zukunft der Arbeit erfordert agile Karrieremodelle
Viele Arbeitgeber schreiben sich heute agiles Arbeiten auf die Fahnen, doch das Denken in agilen Karrieremodellen benötigt vielerorts noch ein Update. Up or Out als Maxime der Personalentwicklung ist nicht mehr zeitgemäß und Widerspruch zu New Work und allem, was wir zur Zukunft der Arbeit seit Jahren diskutieren. Es wird Zeit, dass sich Management, HR und auch wir uns als Gesellschaft für eine neue Sicht auf Karriere öffnen:
Karriere ist eine berufliche Entwicklung, die zu den persönlichen Werten und Zielen eines Menschen in seiner individuellen Lebensphase passt und flexibel in alle Richtungen angepasst werden darf.
Nur so wird es gelingen, Karriere von eindimensionalem Aufstiegsdenken zu entkoppeln und den heutigen Bedürfnissen von Arbeitnehmern nach mehr Flexibilität, Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung gerecht zu werden sowie Arbeitgeber für Bewerber und Mitarbeiter auch als langfristige Partner an ihrer Seite attraktiv zu machen.
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Dieser Beitrag ist zuerst auf Humanresourcesmanager erschienen.
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