Nachhaltige Kooperationen: Wege aus der Ego-Falle
Englische Psychologen haben vor einigen Jahren nachgewiesen, dass Erwachsene mit einem geringeren gesellschaftlichen Status häufiger eine berufliche Karriere planen, die der Gemeinschaft dient. Sie vertreten universellere Werte als Personen mit hohem Status. Die Ergebnisse wurden evolutionstheoretisch begründet, denn altruistisches Verhalten war eine Anpassungsstrategie, Schwächeren Nahrung, Schutz und Chancen auf einen Partner zu sichern. Was bei Kindern beginnt, setzt sich im Erwachsenenalter fort. So erhielten zwei Vorschulkinder zwei Spielzeuge: ein beliebtes und eines mit weniger persönlicher Bedeutung. Das Kind, das sich durchsetzte, mit dem beliebten Spielzeug zu spielen, war das mit dem höheren Status. Zudem erhielt jedes Kind jeweils fünf Sticker. Die Kinder wurden gefragt, ob sie bereit wären, diese mit einem unbekannten Kind im Krankenhaus zu teilen. Das Ergebnis: Die Kinder mit niedrigem Status gaben im Schnitt mehr Sticker an das kranke Kind ab als die mit dem hohen. Wer sozial gering gestellt oder arm ist, braucht gute Beziehungen zu Freunden und Angehörigen. Andererseits sind Arme gegenüber anderen Menschen und ihren Bedürfnissen besonders aufmerksam, so das Ergebnis von Sozialpsychologen, auf das Daniel Goleman in seiner Anleitung zum modernen Leben „Konzentriert Euch!“ verweist.
Der Soziologe Thomas Druyen hat die Wohlhabenden in zwei Gruppen aufgeteilt: in Reiche und Vermögende. Die Reichen entsprechen der Ego-Beschreibung und sind daran interessiert, ihren Reichtum zu vermehren, ohne etwas davon abzugeben. Die Vermögenden dagegen wollen etwas für das Allgemeinwohl tun (Süddeutsche Zeitung, 8./9.02.2014). Reiche Menschen zeigen weniger Anzeichen für gesellschaftliches Engagement. Für viele Manager und Politiker ist die Rettung der eigenen Position oft wichtiger als das nachhaltige Engagement für unseren Planeten oder die Armen, kritisiert Daniel Goleman. Auch wenn egoistisches und kurzfristiges Handeln im ersten Moment oft „Erfolg“ haben mag – in der neuen Epoche der Verantwortung hat langfristig keine Chance, wer die Regeln der Fairness und der nachhaltigen Wertschöpfung missachtet.
Sie überlegen, wie es besser werden könnte. Entscheidend dafür ist Konzentration, denn ihr größter Blickwinkel betrachtet die globalen Systeme und berücksichtigt „die Bedürfnisse aller, auch der Machtlosen und Armen; und blickt in der Zeit weit voraus“. Ein Weg dorthin ist „Umweltachtsamkeit“. Wenn sie fehlt und der Egoismus in einer globalisierten Welt dominiert, kommt das allen irgendwann teuer zu stehen. So ist evolutionsgeschichtlich nämlich ebenfalls erwiesen, dass schon frühe Gesellschaften, in denen unsere Vorfahren ihre Überlebensprinzipien einübten, begriffen haben, dass Aktionen, mit denen wir eigene Risiken anderen zuschieben, letztlich auch uns selbst schädigen.
Kooperation als erfolgreiche Strategie hat sich in der Natur und in der menschlichen Gesellschaft entwickelt, doch ihre Evolution zu verstehen ist noch immer eine Herausforderung – auch für Forschende, die Interaktionen zwischen Individuen in mathematische Formeln bringen müssen, um mit Modellen Vorhersagen und Simulationen erstellen zu können. Ein Team von Wissenschaftlern aus der Chatterjee Gruppe vom Institute of Science and Technology (IST) Austria hat ein neues mathematisches Modell kreiert, das zeigt, wie sich verschiedene Arten von Kooperationsstrategien zwischen Menschen entwickeln. Gezeigt wird, wie die Erfahrung eines Individuums und der Ruf anderer die Entstehung von Kooperation beeinflussen. Zum zentralen Konzept in deren Arbeit gehören Interaktionen, die auf direkter und indirekter Wechselseitigkeit beruhen. "Eine Interaktion, die auf direkter Wechselseitigkeit beruht, bedeutet einfach 'Eine Hand wäscht die andere'", sagt Laura Schmid, die zunächst Physik an der TU Wien sowie Klavier an der Musik- und Kunstuniversität der Stadt Wien studierte, bevor sie sich der Chatterjee Gruppe am IST Austria für ihren PhD anschloss.
Indirekte Wechselseitigkeit hingegen basiert auf dem Ruf eines Individuums. "Das heißt, wenn ich mich anderen gegenüber gut verhalte, wird man mit mir kooperieren, auch wenn meine Partner_in vorher noch nicht mit mir interagiert hat." Das sei bisher nur beim Menschen schlüssig nachgewiesen worden. Zu den wichtigsten Erkenntnisse aus dem vereinheitlichten Modell gehört, dass die Evolution der Strategien, das Ausmaß der Kooperation und die Vorliebe für eine Art der Wechselseitigkeit von den Umgebungsfaktoren abhängen. Die Ergebnisse könnten helfen zu erklären, wie die Entwicklung von Kooperation in frühen menschlichen Gesellschaften durch auf Erfahrung und Reputation basierende soziale Normen beeinflusst wurde.
Auch im Unternehmenskontext sind Kooperationen, Partnerschaften und Netzwerke von enormer Bedeutung. Der Begriff „Netzwerken“ kommt aus dem Fischereiwesen. Wie die Fischer, so knüpfen alle Beteiligten von Kooperationen an einem gemeinsamen Netz. Es kann dazu beitragen, die begrenzten Möglichkeiten des Einzelnen auszuweiten und gemeinsam neue soziale Antworten zu finden. „Ein gutes Netzwerk zu haben, ist sicherlich wichtig“, sagt Claudia Silber, Leiterin der Unternehmenskommunikation beim ökologischen Onlinehändler memo. Der Nachhaltigkeitsgedanke hat auch Einfluss auf ihr Netzwerkverständnis. Denn „genauso wichtig ist es auch, dass dieses Netzwerk qualitativ gut ist und nicht nur quantitativ“ zu nutzen. Ein Negativbeispiel sind für sie „Menschen, die den ganzen Tag am Networken sind, nur um dann am Ende des Tages mit Nichts in den Händen dazustehen. Ein gutes Netzwerk benötigt Zeit und Aufwand - gute Kontakte müssen gepflegt, aber nicht überstrapaziert werden. Letztlich ist die richtige Dosis wichtig.“ Je nachhaltiger sich ein Netzwerk zusammenfügt und moderiert wird, desto größer sind die Chancen, staatliche Regulationskonzepte zur nachhaltigen Entwicklung zu ergänzen und allen nachhaltige Vorteile zu bieten.
Nachhaltige Kooperationen sind für Claudia Silber in erster Linie Partnerschaft: „Die Kommunikation findet auf Augenhöhe statt, und das Verständnis für Probleme, die gemeinsam gelöst werden, ist entsprechend ausgeprägt.“ Im Bereich nachhaltige Unternehmen gibt es einige kleine, dafür ganzheitlich nachhaltig tätige Unternehmen, die nachhaltiges Wirtschaften und Handeln schon seit Beginn an ehrlich und ernsthaft verfolgen. Mit vielen von ihnen verbindet das Unternehmen eine langjährige Freundschaft und Partnerschaft. Es bestehen nicht zu allen geschäftliche Beziehungen. „Es ist vor allem das gemeinsame Ziel, unserer gesellschaftlichen Verantwortung durch unser tägliches Handeln nachzukommen. Und sicherlich können wir immer noch gegenseitig voneinander lernen“, so Silber. Was alle im Inneren zusammenhält, ist eine gemeinsame Sicht auf das Leben und die Gesellschaft sowie die Überzeugung, dass sie im Kleinen selbst die Kraft der Veränderung sind, die sie sich im Großen wünschen.
Eine gute Kooperation beruht auf Prinzipien wie Zusammenarbeit, Offenheit, der Bereitschaft zu teilen, Integrität und Interdependenz, also die Einsicht, „dass Globalisierung nicht nur die Jagd von Unternehmen nach den niedrigsten Fertigungskosten ist, sondern bedeutet, dass alle in gewisser Weise von allen abhängen“ (Don Tapscott). Kooperationen sind als treibende Kräfte in der Natur genauso stark wie der Wettbewerb. Nachweisbarer Beleg dafür sind zellurale Organellen und Mehrzelligkeit. Dass sie im „gnadenlosen Spiel der natürlichen Auslese“ einen selektiven Vorteil bringt, haben David Suzuki und Wayne Grady in ihrer Biographie „Der Baum“ eindrucksvoll dargestellt.
Kooperieren für die Nachhaltigkeit
Daniel Goleman: KONZENTRIERT EUCH! Eine Anleitung zum modernen Leben. Aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel. Piper Verlag, München, Zürich 2013.
Rolf Mohr: Die Kunst des Miteinanders – Verführung zu friedfertig konstruktiver Zwischenmenschlichkeit. Mit Illustrationen von Lutz Backes. Springer-Verlag, Wiesbaden, 2021.
Laura Schmid, Krishnendu Chatterjee, Christian Hilbe, Martin A. Nowak. 2021. A unified framework of direct and indirect reciprocity. Nature Human Behaviour.
Claudia Silber und Alexandra Hildebrandt: Das Prinzip Nachhaltigkeit im eigenen Leben. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. SpringerGabler Verlag. Heidelberg, Berlin 2020.