Nachhaltigkeit als Gestaltungsaufgabe
Für Inhalte, die nicht für den schnellen Lesekonsum bestimmt sind und in den unendlichen Weiten des Internets nicht versickern sollten, gibt es eine nachhaltige Aufbewahrungsform: das Buch. „Design ist mehr als schnell mal schön“ ist so eines. Dachte ich. Denn durch die liebevolle Aufmachung - vom Cover über das Layout bis zu den beiden Lesebändchen – spricht es Buchliebhaber sofort an. Die Autorin Maren Martschenko beschreibt darin Schritte zu einem neuen Design- und Selbstverständnis und widmet sich der gestaltenden Beratung. Das meint, gemeinsam mit Auftraggebern „Produkte und Märkte immer wieder neu zu denken, Zusammenhänge herzustellen, wo vorher keine waren.“ Ihr Buch richtet sich an alle Menschen, die Grafikdesign- oder Kommunikationsdesignleistungen anbieten.
Das Thema Design als Strategie erfolgreicher Unternehmensführung ist enorm wichtig - wenn es mit relevanten Kernthemen verbunden ist.
Wo es allerdings frei im Raum schwebt wie in diesem Buch, verliert es an Kontur. Als Leserin konnte ich einigen Aussagen nur Festigkeit geben, wenn ich sie selbst mit Themen verbunden habe, die mich intensiv beschäftigen. Zu ihrer individuellen Espressostrategie führt die Autorin ihre Auftraggeber anhand des Vier-Ebenen-Modells:
„Auf der ersten Ebene, dem SEIN, entwickeln Sie ein neues Bewusstsein dafür, wer Sie sein wollen und wie Sie künftig arbeiten möchten.
Auf der zweiten Ebene, dem HABEN, erfahren Sie, woran Sie jene Unternehmen erkennen, die gestaltende Beratung brauchen.
Auf der dritten Ebene, dem SAGEN, befassen wir uns damit, wie Sie künftig über Ihre Arbeit sprechen.
Auf der vierten und letzten Ebene, dem TUN, geht es darum, ins Handeln zu kommen.“
Der Kern ihrer „Espressostrategie“ liegt darin, „sich von Anfang an auf das Wesentliche und Wirksame zu konzentrieren.“
Der Lesefluss dorthin ist allerdings eine große Herausforderung, denn er wird ständig unterbrochen durch „gendergerechte“ Formulierungen wie Designerinnen und Designer, Beraterinnen und Berater Expertinnen und Experten, Kunden und Kundinnen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Lotsen und Lotsinnen gestaltende Beraterin bzw. gestaltender Berater, Auftraggeberinnen und Auftraggeber. Man/frau kann es auch kompliziert machen, wo es einfach geht. Auch möchte ich als Leserin nicht das Gefühl haben, ständig an die Hand genommen zu werden – ich möchte meinen Weg immer selbst entdecken.
Die direkte Leseransprache wirkt störend, genauso wie die vielen Ratschläge, die immer auch Schläge sind. Besser wäre es gewesen, ein paar handfeste Regeln zu präsentieren, die Kreativität nicht verhindern, sondern fördern und innerhalb fest gesteckter Grenzen (z.B. des jeweiligen Unternehmens) ihre Aufgabe erfüllen. Stattdessen wird Selbstverständlichstes als bedeutsam hervorgehoben: „Gute Kommunikation ist keine Einbahnstraße, sondern Dialog. Als gestaltende Beraterin bzw. gestaltender Berater werden Sie als besonders kompetent eingestuft, wenn Sie die richtigen Fragen stellen, aufmerksam zuhören, verstehen lernen wollen… Das ist Ihre Chance, die Sprache der Wunschauftraggeberinnen und -geber besser zu verstehen … Gleichzeitig sind Sie disziplinierter Hüter bzw. disziplinierte Hüterin der Zeit und achten als Prozesslotsin bzw. -lotse darauf, dass die Beratungstage nicht nur gut gefüllt, sondern auch ‚rund‘ sind.“
Erfolgreiche Berater denken strategisch und nicht nur taktisch, sehen das große Ganze, denken nicht in kurzen Zeitspannen und beherrschen die Kunst der Selbstvermarktung und der Vernetzung. Wer das nicht kann, droht heute abgehängt zu werden - allerdings wirkt das Bewerben der eigenen Tätigkeit im Buch zuweilen penetrant. Spricht gute Arbeit nicht für sich selbst? Und lässt eine starke Marke – zu der auch Menschen gehören, die mit ihrem Tun herausragen - nicht andere über sich reden? Stark ist das Buch vor allem dann, wenn sich die Autorin zurücknimmt und sich der Aufgabe von Design widmet, denn genau dies sind die Stellen, die sich auf eines der wichtigsten Themen von Unternehmen heute übertragen lassen: Nachhaltigkeit. Das, was für den Designbereich hier herausgearbeitet wurde, gilt hier genauso. Beide Begriffe sollten nebeneinanderstehen.
Design ist mehr als ein Gefühl: Design ist Führungsaufgabe, die auf einer analytischen Grundlage basiert.
Design ist mehr als eine Abteilung
Design ist mehr als „einmal schnell“
Design ist mehr als ein Produkt.
Design und Geschäftsstrategie gehören zusammen (Stufen nach Maren Martschenko):
Stufe 1: KEIN DESIGN-BEWUSSTSEIN
Stufe 2: DESIGN ALS STYLING
Stufe 3: DESIGN ALS PROZESS
Stufe 4: DESIGN ALS STRATEGIE.
Um Unternehmen auf dem Weg von Stufe 2 zu Stufe 3 beratend zu begleiten, werden Workshops empfohlen, in denen das WARUM des Unternehmens herausgearbeitet wird. Hier verweist sie auf Simon Sineks Bestseller „Start With Why: How Great Leaders Inspire Everyone to Take Action“ (2009) und sein Konzept des "Golden Circle". Nicht was wir tun, sondern warum wir etwas tun, ist entscheidend für den Erfolg unserer Handlung und ebenfalls dafür, wie wir von der Außenwelt wahrgenommen werden. Mit ‚Warum‘ meint er nicht Profit, sondern den Geschäftszweck.
Um sich an die Dynamik der Märkte anzupassen, sind neue Anforderungen wie Agilität, Flexibilität und digitales Denken nötig. Die neuen Aufgaben sind mit veralteten Führungs- und Organisationsmethoden nicht zu bewältigen. Es braucht kohärente Strategien, die dazu beitragen, dass Unternehmen schneller, aktionsfähiger und nachhaltiger werden. Zunehmend gewinnt auch der Umgang mit Chancen und Risiken im ökologischen wie sozialen Umfeld an Relevanz für die Bewertung und den Erfolg von Unternehmen. Im Zuge der Gewährleistung der Legitimation der eigenen Geschäftstätigkeit sind sie heute angehalten, in die Bedingungen zum Fortbestand ihrer „license to operate“ zu investieren. Dabei wächst die Informations- und Rechenschaftspflicht sowohl über die ökonomischen als auch die ökologischen wie sozialen Aus- und Wechselwirkungen ihres Handelns.
Worum geht es bei Nachhaltigkeit nicht?
• Nachhaltigkeit ist nicht gleichzusetzen mit Aktivitäten jenseits des Kerngeschäfts => sie ist Teil des Kerngeschäfts.
• Nachhaltigkeit ist kein Marketinginstrument, sondern eine strategische Herausforderung.
• Nachhaltigkeit ist kein Projekt, sondern ein Prozess.
• Nachhaltigkeit steht nicht für ein Konzept, sondern für eine Leitidee und Haltung.
Sinn und Nutzen der Nachhaltigkeitsberichtserstattung
Nachhaltigkeitskommunikation stellt zunehmend eine zentrale Quelle für die Bewertung von Unternehmen dar. Zu den Instrumenten zählen Sozial- und Ökobilanzen, Audits, Öko-Controlling, Qualitäts- und Umweltmanagementsysteme, Sustainability Balanced Scorecard und Nachhaltigkeitsberichte. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung legt die sozialen, ökologischen und ökonomischen Auswirkungen und Perspektiven des unternehmerischen Handelns offen. Zur Analyse und Steuerung der Aktivitäten gehört es, Nachhaltigkeitsdaten systematisch zu erfassen und zugänglich zu machen. Kennzahlen ermöglichen es Unternehmen und Organisationen, konkrete Nachhaltigkeitsziele festzulegen und quantifizierbar zu machen. Zur Voraussetzung gehören Vergleichbarkeit, Zielorientierung, Ausgewogenheit, Kontinuität, Aktualität und Verständlichkeit.
Vor diesem Hintergrund ist das Buch „Design ist mehr als schnell mal schön“ auch als Anregung zu sehen, in solch ansprechender Aufmachung auch einmal eine Publikation umzusetzen, die Unternehmen zeigt, wie ein Nachhaltigkeitsbericht heute gemacht werden sollte. Mit Checklisten, Handlungsfeldern und Beispielen von Unternehmen, die Verantwortung selbst in die Hand nehmen, ihre Berichte narrativer verfassen, visuell anspruchsvoller gestalten und Reporting und Kommunikationsfunktion verbinden.
Weiterführende Informationen:
Was Nachhaltigkeitsberichte über Unternehmen aussagen
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: CSR und Nachhaltigkeitsmanagement richtig umsetzen: Die wichtigsten Schritte und Werkzeuge - mit zahlreichen Praxistipps und Mustervorlagen. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.
Maren Martschenko: Design ist mehr als schnell mal schön. Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2020.