Dr. Bernd Slaghuis

Dr. Bernd Slaghuis

für Job & Karriere, berufliche Neurorientierung, Bewerbung

So entkommst du als Bewerber der "Überqualifiziert"-Falle

Bild: 123rf.com , amasterpics123

Hast auch du als Grund für eine Jobasage schon zu hören bekommen, dass du für eine Stelle überqualifiziert bist? Hier sind meine Tipps für dich als Bewerber, wie du aus der "Überqualifziert"-Falle entkommst. 

Ja, es ist kaum zu glauben, wie viele Jobwechsler mir im Coching von Absagen berichten, weil sie ein potenzieller Arbeitgeber angeblich für überqualifiziert gehalten hat. Na klar, diese Erklärung ist in Zeiten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zumindest überhaupt eine Aussage, doch für jeden ambitionierten und sich ins beste Licht rückenden Bewerber auch ein extrem verwirrender Dämpfer. Denn jeder Arbeitgeber sollte schließlich froh sein, wenn ein Kandidat mehr als gefordert mitbringt - so zumindest der spontane Gedanke jedes Bewerbers. Warum diese Logik einen Haken hat und was du als Bewerber mit dem Stempel "überqualifziert" anders machen kannst: 

Wann Bewerber als überqualifiziert daherkommen

Vielleicht hast auch du noch diese Frage aus dem letzten Vorstellungsgespräch im Ohr: „Wieso interessieren SIE sich mit Ihrer Erfahrung/Ausbildung denn für diese Stelle?“ Ein deutliches Signal, dass dich dein Gegenüber für reichlich überquaifiziert hält. 

Als überqualifiziert werden schnell auch alle jene Jobwechsler abgestempelt, die nach vielen Jahren im Beruf einen Schritt auf der Karriereleiter zurückgehen möchten (Downshifting) oder sich bewusst entscheiden, Führung abzugeben und wieder stärker fachlich im Team zu arbeiten. „Wie kann es sein, dass Sie Ihre bisherige Führungsrolle jetzt aufgeben und wieder zurück ins Team möchten? Haben Sie sich das wirklich gut überlegt?“ So richtig die Entscheidung für ein Downshifting für den Einzelnen sein mag, aus Sicht eines neuen Arbeitgebers wirft dieser Schritt vor allem Fragezeichen auf. Und so wird jeder "Downshifter" besonders kritisch beäugt, ob es nicht doch andere Gründe gibt, die hier im wahrsten Sinne des Wortes faul sind. 

Arbeitgeber befürchten, dass sich vermeintlich überqualifizierte Mitarbeiter schnell langweilen, sie unterfordert und damit demotiviert sind und das Unternehmen bald wieder verlassen. Studien gehen heute jedoch eher vom Gegenteil aus: Denn es wurde festgestellt, dass Arbeitnehmer, denen ihr hohes Potenzial und Erfahrungswissen bewusst ist, mehr Freude an ihrer Arbeit haben, damit motivierter sind und im Vergleich zu anderen Kollegen höhere Leistungen erbringen. Eine weitere Erkenntnis: Angestelte verlassen ein Unternehmen selten infolge des Gefühls, für einen Job überqualifiziert zu sein, sondern häufiger, weil sie mit den Arbeitsbedingungen und ihrem Umfeld nicht mehr zufrieden sind.

Wie dem auch sei, nüchtern betrachtet ist es aus der Sicht eines Arbeitgebers unerheblich, ob ein Kandidat weniger Kompetenzen als für die Stelle erwartet oder weit mehr hierfür aufweist. Es passt einfach nicht. Oder würden Sie einen Ferrari mit 600 PS fahren, selbst wenn Sie ihn zum Preis eines VW Polo bekämen, sich aber eigentlich einen Ford Focus kaufen möchten?

Jobwechsler, Augen auf bei der Stellensuche

Dass Bewerber als überqualifiziert daherkommen, liegt oftmals auch an ihnen selbst. Ich erlebe viele Jobsuchende, die mit der Dauer ihrer Suche und Anstieg der Frustration zu immer niedrigeren Stellen greifen und gleichzeitig ihre Bewerbungen aufbauschen. Es ist ein Irrglaube, endlich die Chance auf irgendeinen Job zu erhöhen, indem du deine Anforderungen bei der Suche immer weiter nach unten schraubst. Ganz im Gegenteil: Die Lücke zwischen dem, was du tatsächlich zu bieten hast und dem, was die (zu niedrige) Position erfordert, wird so immer größer. Es passt damit umso mehr nicht.

Vermeintlich überqualifiziert sind häufig ebenfalls Bewerber, die aufgrund ihrer Ausbildung oder Berufserfahrung nicht in eine bereits bestehende Gruppe oder in ein Team passen. Kaum ein Unternehmen wird beispielsweise einen promovierten 35-jährigen BWLer in ein Trainee-Programm aufnehmen, das ansonsten nur aus 23-jährigen Bachelor-Absolventen besteht. Auch wenn es für den Berufseinsteiger nach seiner Promotion ein guter Schritt sein kann, passt es für die Zusammensetzung der Gruppe nicht. Ich finde das nachvollziehbar aus Arbeitgebersicht, doch mit tatsächlicher Überqualifizierung hat auch dies weniger zu tun als mit der passenden Auswahl von Stellen. 

Und dann gibt es sicherlich auch solche Recruiter, denen überqualifizierte Bewerber Angst machen. Die den Streber mit 1,0-Abi vorschnell in falsche Schubladen stecken oder Personaler, die selbst den Hut ziehen vor den überragenden Erfolgen eines langjährig Berufserfahrenen. Ebenso der gigantisch bunte Blumenstrauß an Fähigkeiten und Talenten eines scheinbar allwissenden Generalisten kann einen Arbeitgeber überfordern. Was zu viel ist, ist einfach zu viel.

Perspektivwechsel: Setze die Brille des Personalers auf

Versetze dich einmal in die Perspektive eines Personalentscheiders in diesem Unternehmen, der deine Bewerbungsunterlagen auf den Tisch bekommt. Wenn du deine Bewerbung schon geschrieben hast, dann probiere folgende Übung: Nimm deine Bewerbungsmappe zur Hand und setze dich an einen anderen Platz. Wenn du gerade an einem Tisch sitzt, dann nimm zum Beispiel den Platz gegenüber. Und während du rüber zum anderen Platz gehst, verwandelst du dich in Gedanken in den Recruiter im Unternehmen. Sobald du wieder sitzt, bist du der Personalentscheider und blickst auf die (= deine) Bewerbung:

  • Was ist der erste Impuls, der dir, lieber Personaler, zu dieser Bewerbung in den Sinn kommt?
  • Übersteigen die Fähigkeiten und Kompetenzen des Bewerbers die Anforderungen an die Stelle? Und wenn ja, woran erkennst du dies im Anschreiben und im Lebenslauf?
  • Was zeigt dir dennoch, dass dies ein interessanter Kandidat für das Unternehmen und für diese Stelle sein kann?
  • Welche weitereen Entwicklungsmöglichkeiten siehst du für den Bewerber im Unternehmen?
  • Was benötigst du, um die Sicherheit zu haben, dass sich der neue Mitarbeiter nicht innerhalb kurzer Zeit langweilen wird und was kannst auch du als Arbeitgeber dazu beitragen, dass dies nicht geschehen wird?
  • Wie passt der Kandidat in das bestehende Team und die Führungsstrukturen? (Das weißt du vermutlich als Bewerber mit der Brille des Personalers nicht, da du die Mitarbeiter und Strukturen nicht kennst, aber mache dir trotzdem einmal ein paar – wenn auch theoretische – Gedanken hierzu)

Verwandele dich nun wieder zurück in dich selbst. Wenn du vorhin den Platz gewechselt hast, dann gehe wieder zurück auf „deinen“ Platz und stelle dir folgende Fragen in deiner Rolle als Bewerber:

  • Welche Erkenntnisse konntest du durch den Perspektivwechsel gewinnen?

  • Siehst du das Thema deiner Überqualifizierung jetzt anders? Wenn ja, was hat sich genau verändert?

  • Möchtest du dich weiterhin auf diese Stelle bewerben oder passt sie nicht? 

  • Gibt es Stellen in deiner Bewerbung, die du anpassen möchtest?

Überqualifiziert - na und? Mit Klarheit punkten

Wer dich als überqualifiziert beurteilt, der hat dich nicht verdient – im wahrsten Sinne des Wortes. Werde dir als Bewerber bewusst, welche Fähigkeiten und Stärken dich ausmachen und welche Arbeitgeber diese für welche Positionen wertschätzen können. Rede dir aus angeblicher Überqualifikation keinen persönlichen Makel ein, sondern schaue noch genauer hin, wo es wirklich passt.

Wichtig für dich als Bewerber ist es, schon mit dem Anschreiben Klarheit über deine Motivation für diesen Karriereschritt zu schaffen. Scheue dich nicht davor, ein Statement zu deiner Qualifikation abzugeben und mache klar, warum du diesen Job attraktiv findest. Wichtig: Der Grad zur Überheblichkeit ist hier sehr schmal. Wer sich selbst als überqualifiziert einschätzt und sich entsprechend darstellt, kann leicht in die Selbstüberschätzer- und Möchtegern-Ecke gesteckt werden. Achte also darauf, nicht in Prahlerei und allzu starkes Eigenlob über dich selbst zu verfallen.

Stelle sachlich und für einen Fremden gut nachvollziehbar dar, dass du deine (Über-)Qualifizierung für diese Position erkannt hast und was dies für dich bedeutet. Zeige auch, dass du den Job trotz deiner vielleicht die formalen Anforderungen übersteigenden Fähigkeiten spannend findest und worin du konkret für dich Themen siehst, die dich interessieren und dir ausreichend weiten Raum für deine fachliche und persönliche Entwicklung bieten.

Für Bewerber und Unternehmen gilt gleichermaßen: Je mehr Klarheit und Bewusstsein über die beiderseitigen Erwartungen und Ziele innerhalb des Bewerbungsprozesses hergestellt werden kann, desto höher ist die Chance, dass sich Mitarbeiter mit ihren neuen Aufgaben im neuen Unternehmen identifizieren und motiviert sind. Sprich als Bewerber also ruhig ganz offen beim nächsten Bewerbungsgespräch über deine Erfahrungen mit dem „Überqualifiziert!“-Stempel auf deiner Stirn und kläre alle Fragen im Dialog, die sich ein neuer Arbeitgeber hierzu stellt. 

Ich wünsche dir gute Gespräche und eine neue Position, die zu dir, deiner Qualifikation sowie deinen persönlichen Werten und Zielen passt, die dir heute und für die nächsten Jahre wichtig sind.

Weitere Beiträge rund um Karriere, Bewerbung auf Augenhöhe und gesunde Führung findest du in meinem Karriereblog "Perspektivwechsel" sowie hier in meinem Profil auf XING.

Ich freue mich, wenn du deine Erfahrungen als "überqualifizierter" Bewerber unten als Kommentar teilst - und natürlich auch über dein "Like", wenn dir der Beitrag gefallen hat ;-)

www.bernd-slaghuis.de

Wer schreibt hier?

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Karriere- und Business-Coach, Dr. Bernd Slaghuis

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Karriere ist heute mehr als nur "höher, schneller, weiter". Seit 2011 habe ich über 1.800 Angestellte bei ihrem nächsten Schritt im Beruf begleitet. Von der Neuorientierung und Bewerbung bis zum Onboarding. Meine Erfahrungen teile ich hier als XING Insider, auf meinem Blog und als SPIEGEL-Kolumnist.
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