Um Burn-out zu verhindern, müssen wir im Job aufeinander aufpassen
Überlastet und gestresst – so fühlt sich laut XING Job-Happiness-Studie fast ein Drittel aller deutschen Arbeitnehmer·innen. Bei Skisprung-Legende Sven Hannawald endete die Dauer-Überlastung in einem Burn-out. Heute appelliert er als Gesundheits-Coach an Führungskräfte und Mitarbeitende, untereinander auf die ersten Anzeichen zu achten.
Sven, bist du zufrieden und ausgeglichen in deinem Job? – diese Frage stelle ich mir regelmäßig. Ich höre bewusst in mich rein und bekomme dann sehr schnell eine Antwort. Wenn alles in Ordnung ist, signalisiert mir mein Körper das. Ich fühle mich in Balance, schlafe nachts gut, kann anstehende Herausforderungen ruhig und gelassen angehen, bin fokussiert und konzentriert.
Die Antwort auf die Frage ist also: Ich fühle mich sehr wohl in meinem Leben und habe großen Spaß, als Moderator für die ARD die diesjährige Ski-Sprung-Saison zu kommentieren und im Sommer meine Projekte im Gesundheitsbereich zu begleiten. Ich habe für mich Aufgaben gefunden, die mich erfüllen, die mir Sinnhaftigkeit geben und mich ausreichend fordern, ohne zu überfordern.
Die eigenen Bedürfnisse herausfinden und Grenzen setzen
Darauf zu achten, wie es in mir aussieht und wie es um meine mentale Gesundheit und mein Stresslevel bestellt ist, musste ich erst lernen. Es gab Zeiten in meinem Leben, in denen ich die Bedürfnisse meines Körpers und meiner Seele nicht erkannte. Als Leistungssportler war ich darauf gedrillt, zu funktionieren. Durch die Erwartungen von außen, vor allem aber durch meine eigenen an mich selbst. Ich hatte den größtmöglichen Erfolg als Skispringer – es ging im wörtlichen Sinne immer höher und weiter. Bis nichts mehr ging.
Auf dem Höhepunkt meiner Karriere musste ich erkennen, dass auch ich Grenzen habe. Das war hart. Es begann damit, dass ich immer müde und schlapp war – aber Ärzte attestierten mir top Werte und eine gute körperliche Gesundheit. Ich aber wurde immer unruhiger, fühlte mich wie aufgedreht und gehetzt, zugleich war ich todmüde und erschöpft. Erst ein Arzt für Psychosomatik stellte die folgenschwere Diagnose: Burnout! Es folgten Klinikaufenthalte, dunkle Momente, nach denen ich leider “mein geliebtes Skispringen“ gehen lassen musste. Ich habe gelernt, wie ich mir heute selbst Grenzen setze und sie meiner Gesundheit Willen nicht mehr überschreite. So können stressige Zeiten sogar Spaß machen, kaum zu glauben, oder?
Anzeichen von Überlastung ernst nehmen
So wir mir damals geht es vielen Menschen. Die aktuelle XING Job-Happiness-Studie 2022 legt offen, dass sich 31 Prozent, also fast ein Drittel der deutschen Arbeitnehmer•innen, im Job überlastet oder gestresst fühlen. Heißt, tagtäglich gehen viele Menschen zur Arbeit und fühlen sich unausgeglichen, überfordert und unwohl!
Als Botschafter der bundesweiten OFFENSIVE PSYCHISCHE GESUNDHEIT appelliere ich immer wieder, Anzeichen von Überlastung ernst zu nehmen. Bei sich selbst und bei Kolleg•innen. Viel zu häufig beschwichtigen wir uns und andere mit Sätzen wie „Es ist nur eine Phase, die geht wieder vorbei“, „Nach dem nächsten Urlaub wird es besser“ oder „Wenn ich mal ein paar Nächte richtig durchschlafe, bin ich wieder fit“. Arbeiten mit 120 Prozent kann jahrelang gut gehen, doch bei permanentem Stress muss man jederzeit mit einem Burn-out rechnen. Gerade jetzt, wo so viele Krisen um uns herum zusätzlich belasten, sollten wir im Beruf gegenseitig besonders aufeinander achten.
Sieben Verhaltensweisen als Indikator
Das Projekt „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“ (psyGA) des Dachverbands der Betriebskrankenkassen nennt folgende sieben Anzeichen für Überarbeitung und psychische Belastung:
Ständige Übermüdung
Das Gefühl, die Arbeit nicht zu schaffen, bringt viele um den Schlaf. Dauerstress und Überarbeitung laugen den Körper aus und sorgen zugleich für unruhige Nächte.
Gereiztheit und Streit mit Kolleg·innen
Auf Stress reagiert der Körper oft mit dem Mechanismus Kampf oder Flucht. Weil Weglaufen im Job nicht in Frage kommt, ist Angriff das Mittel der Wahl. Achten Sie auf verändertes Sozialverhalten, übermäßige Gereiztheit und Ungeduld.
Aufgaben dauern länger
Wer gestresst ist, hat eine unendliche To-do-Liste im Kopf, kann nicht klar denken und braucht selbst für Routineaufgaben lange.
Freiwillige Überstunden
Wer sehr häufig freiwillig Überstunden macht, hat womöglich Angst, sein Pensum in der regulären Arbeitszeit nicht zu schaffen. Das kann ein Warnsignal für Überarbeitung sein.
Mehr Fehler als gewöhnlich
Überarbeitete Kolleg•innen merken häufig selbst, dass sie unkonzentrierter und langsamer sind und weniger Arbeit schaffen. Ein Teufelskreis, denn dieses Wissen setzt den Betroffenen nur noch mehr unter Druck und Stress.
Alles negativ sehen
Wenn Kolleg•innen plötzlich überall Probleme und unüberwindbare Hindernisse sehen und sich nicht mehr daran beteiligen, Lösungen zu entwickeln, kann auch das ein typisches Zeichen für Überarbeitung sein.
Häufig krank
Wenn Kolleg•innen sich auffallend oft krankmelden, sollten Sie hellhörig werden. Dauerstress kann auf den Magen schlagen und anfälliger für Infekte machen. Häufiges Klagen über körperliche Beschwerden, für die der Arzt keine Ursache findet, kann auch ein Anzeichen für psychische Belastung sein.
Die Verantwortung von Arbeitgebenden
Als Spitzensportler war ich eine One-Man-Show. Im Nachhinein hätte ich meine Geschichte nicht ändern können, weil alle Personen in meinem Umfeld keine Ahnung haben konnten, was mit mir ist. Das ist aber heute anders. Vor diesem Hintergrund habe ich mich in den vergangenen Jahren intensiv damit beschäftigt, wie man in Unternehmen Aufklärung betreiben kann, wie man Burnout und die Krankheit Depression in die Öffentlichkeit bringen und entstigmatisieren kann.
Es hilft Mitarbeitenden ungemein, wenn sie offen über ihre Belastungen sprechen können. Und auch wenn es banal klingt: Bewusste Pausen, ohne Handy oder weiteren Input für den Kopf, gemeinsamer Betriebssport, gesundes Essen oder das Dienstfahrrad zur Arbeit helfen dabei, die Widerstandskraft und die Resilienz der Mitarbeitenden zu stärken. Denn diese Aktivitäten sind die ersten, die wir streichen, wenn wir im Stress sind.
Hier sind die Arbeitgebenden gefragt, eine entsprechende aktive Kultur zu schaffen, in der sich die Mitarbeiter guten Gewissens öfter kleine Pausen nehmen. Immer noch gilt im beruflichen Umfeld oft, dass jene belohnt werden, die früher kommen, länger bleiben und möglichst wenige Pausen machen. Nachhaltig und langfristig gedacht ist das nicht.
Denn Ausfälle über Monate oder Berufsunfähigkeit kostet den Betroffenen selbst, seinen Arbeitgeber, Versicherer und auch unsere Gesellschaft viel Geld. Die langwierige Stellenneubesetzung in Zeiten des Fachkräftemangels und die Übergangszeit bis zur Einarbeitung eines neuen Mitarbeiters ist eine weitere Herausforderung und Belastung für jede Abteilung.
Aus diesen Gründen empfehle ich Unternehmen, frühzeitig in die Prävention zu investieren. Dann wird eine Rehabilitation gar nicht erst notwendig.
Dieser XING Insider Artikel ist Teil einer Serie zur repräsentativen XING Job-Happiness-Studie 2022, die in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut forsa entstand. Du willst mehr darüber erfahren, wie Du zufriedener und glücklicher im Job wirst? Dann empfehlen wir Dir folgende Beiträge:
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