Unternehmen im Aufbruch: Die Route zur Klimaneutralität
Mit dem 2015 auf der 21. Weltklimakonferenz COP21 geschlossenen Paris Agreement zur Begrenzung der globalen Erwärmung ("2°C-Ziel") wurde der Klimaschutz als zentrale strategische Herausforderung der Weltgemeinschaft anerkannt. Argumente für mehr Klimaschutz liefern derzeit nicht nur die extremen Wetterereignisse, sondern auch die Sorgen der EU-Bürger: Eine Anfang Juli veröffentlichte Eurobarometer-Umfrage ergab, dass 93 Prozent der Befragten den Klimawandel für ein ernstes Problem halten, 78 Prozent sogar für ein sehr ernstes.
Im europäischen Grünen Deal ist das Ziel festgeschrieben, dass Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent werden soll. Klimaneutralität bedeutet das Gleichgewicht zwischen der Emission von Kohlenstoff (Treibhausgase oder greenhouse gases - GHG) und dessen Aufnahme aus der Atmosphäre in sogenannte Senken wie Wälder und Moore. Die europäischen Klimaziele beziehen sich auf "Netto-Treibhausgasemissionen" (EU Green Deal) oder "netto null Emissionen" (BMU Klimaschutzplan 2050). Dies ist der Zustand, in dem keine Treibhausgase (THG) emittiert werden, die über jene hinausgehen, die auf natürlichem Weg durch die genannten Senken aufgenommen werden können. Mit dem Europäischen Klimagesetz wurden die Selbstverpflichtung der EU zur Klimaneutralität und das Etappenziel, die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 % gegenüber dem Stand von 1990 zu senken, in bindendes Recht umgesetzt. Wie dies zu meistern ist, legt der Plan Fit for 55 dar.
Dabei geht es vor allem darum, auch Denkweisen zu ändern, denn nur wer versteht und selbst denkt, ist auch handlungsfähig. Stefanie Kästle und Ulrike Böhm sind der Meinung, dass der Klimawandel ein Katalysator für einen positiven Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft werden kann. Hauptberuflich beschäftigen sie sich mit Druckluft, die in der Industrie ein unverzichtbarer Energieträger ist. Kästle ist Mitglied der Geschäftsleitung der Mader GmbH & Co. KG und Böhm ist für das Changemanagement und die Unternehmenskommunikation zuständig. „Die Unternehmensführung ist sich sicher, dass ein Umdenken bei jedem Einzelnen notwendig ist, um auch beim Kunden vor Ort überzeugen zu können“, schreibt Ulrike Böhm in ihrem Buchbeitrag „Die Macht der kleinen Schritte“. Denn es ist nicht „der eine große Wurf“, mit dem Mader seine Vision eines nachhaltigen Unternehmens realisieren will. „Es sind viele kleine Schritte, mit denen man sich der Vision annähert – das Ziel klar im Fokus, aber flexibel bei der Wahl des Weges dorthin.“ Zuletzt haben die Unternehmenseigentümer hier einige Weichen neu gestellt: eine mutige Nachfolgeregelung getroffen (indem die Generation Y in die Führungsspitze geholt wurde), den Umzug an einen neuen Firmenstandort realisiert und den Energieeffizienz- und Nachhaltigkeitsgedanken in der Unternehmensvision festgeschrieben. Auch die Digitalisierung wird als Chance für mehr Nachhaltigkeit gesehen - eigens für die Überführung des Druckluftprozesses in das digitale Zeitalter wurde das Spin-off „LOOXR“ gegründet.
Das Einsparpotenzial in der EU durch Optimierung der Druckluftsysteme und Einbindung der Kompressoren in die Wärmerückgewinnung ist eine enorme Herausforderung, die sich nicht leicht kommunizieren lässt, weil das Thema nur schwer greifbar ist. Dabei sollte es einleuchten, dass ein zu hoher Energieverbrauch in Unternehmen nicht nur Einfluss auf die Kosten, sondern auch auf das Klima und die Umwelt hat. Um das Thema mehr in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken, möchten sie die Debatte zum Thema Klimaneutralität in der Produktion aktiv mitgestalten und sich gemeinsam mit anderen Unternehmen austauschen, denn alle sind auf dem Weg - niemand ist wirklich angekommen. Es braucht deshalb einen gemeinsamen Pfad, der es ermöglicht, sich einander mitzuteilen, Fragen zu stellen und voneinander zu lernen.
Auf der Website Klimaneutralität ist die Route zu finden, wie Unternehmen klimaneutral werden (hier gekürzt):
1. Bilanzrahmen und Faktoren
Festlegung des Bilanzrahmens je nach Typ des Carbon Footprints: Corporate Carbon Footprint (gesamte Organisation), Product Carbon Footprint (Wertschöpfungskette eines Produkts) oder Project Carbon Footprint (projektbezogene Emissionen). Hierfür werden die Emissionsfaktoren ermittelt.
2. Klimastrategie
In der Unternehmenspolitik sollte eine Klimastrategie zum Erreichen von Klimaneutralität fest verankert werden (messbare Klimaziele).
3. Bewerten und Gewichten
Herausarbeiten der Emissionsfaktoren, die im Bilanzrahmen des Carbon Footprints besonders ins Gewicht fallen, Ermittlung von Stellschrauben, um Emissionen zu verringern oder zu vermeiden, Suche nach Optimierungspotenzial bei den wichtigsten Emissionsquellen.
4. Kompensieren
Unvermeidbare Treibhausgasemissionen sollten durch weltweit mögliche Investitionen in umweltrelevante Projekte kompensiert werden, z.B. über internationale Standards wie Clean Development Mechanism (CDM), Gold Standard oder Verified Carbon Standard (VCS).
5. Verifizieren
Prüfung der Daten und Berechnungen sowie der Maßnahmen durch eine unabhängige Stelle. Die externe Verifizierung der THG-Bilanz sichert die Berichterstattung ab, verbessert die Reputation und dient als Nachweis für die Glaubwürdigkeit Ihrer Klimaneutralität.
6. Veröffentlichen
Kommunikation der Bemühungen und Maßnahmen in einem (Nachhaltigkeits-)Bericht.
Was braucht es zur Erreichung der Klimaneutralität in Unternehmen?
„Klimaneutralität“ als Werbebegriff: Wann sind Unternehmen glaubwürdig?
Wie sich Unternehmen schrittweise klimaneutral aufstellen können
Klimaneutrales Deutschland: Nachhaltige Maßnahmen im Energiesektor
Das grüne Jahrzehnt: Der Pfad der Klimaneutralität
Ulrike Böhm: Die Macht der kleinen Schritte. Wie man als mittelständisches Unternehmen zum Klimaretter wird. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.