Dr. Bernd Slaghuis

Dr. Bernd Slaghuis

für Job & Karriere, berufliche Neurorientierung, Bewerbung

Vorstellungsgespräch: 5 Wortspiele, die Ihr Verhalten als Bewerber und Recruiter verändern werden

Bild: 123rf.com
Für beide Seiten immer nicht immer eine angenehme Situation: das Vorstellungsgespräch.

Vorstellungsgespräche sind für viele Bewerber Stress pur, für manche Recruiter nur Interviews nach Schema-F. Diese fünf Wortspiele werden auch Ihr Verhalten als Bewerber und Recruiter grundlegend verändern.

Die meisten Jobwechsler empfinden Vorstellungsgespräche als stressig, nervig und hohe Hürde, denn schließlich ist es keine Alltagssituation und es geht um viel. Ihr Verhalten wird geprägt von der Angst vor fiesen Fangfragen, gemeinen Fettnäpfchen und vermeintlichen No-Gos sowie dem Anspruch, krampfhaft irgendwie gefallen und unbekannten Erwartungen genügen zu müssen. 

Auf Arbeitgeberseite werden Recruitingprozesse immer stärker standardisiert und automatisiert. Matching-Algorithmen ermitteln den Cultural Fit, Chat-Bots führen das Erstgespräch, persönliche Vorstellungsgespräche sind strukturierte Interviews, um der Diskriminierung keine Chance zu geben. Eine Entwicklung, die ich kritisch sehe, denn ich bin der Meinung, dass im Recruiting trotz Digitalisierung weiterhin Menschen über Menschen entscheiden müssen

In meiner Arbeit mit Bewerbern nehme ich regelmäßig wahr, dass sie sehr einseitig auf das persönliche Treffen mit ihrem potenziellen neuen Arbeitgeber blicken. Sie übersehen in ihrer Rolle und dieser Situation alles das, was für sie auch Wertvolles in „Vorstellungsgespräch“ steckt. 

Hier sind meine 5 Wortspiele, die auch Ihre Perspektvie als Bewerber oder Recruiter auf Vorstellungsgespräche verändern können. Denn schließlich geht es doch darum, dass sich beide Seiten gut finden - im doppelten Sinn des Wortes. 

1 | Vorstellungsgespräch: Das gute Gespräch

Ich starte bei meiner Wortspielerei mit einer wenig überraschenden Erkenntnis, doch selbst diese Tatsache vergessen sehr viele Bewerber heute vor lauter Anspannung: Das Vorstellungsgespräch ist ein Gespräch. Ja, in Vorstellungsgespräch steckt zu 50 Prozent „Gespräch“, doch die meisten dieser Gespräche sind heute auswendig gelernte Monologe von Bewerbern oder einseitige Interviews von Personalern. Ein gutes Gespräch als Dialog auf Augenhöhe führen beide Seiten selten, wenn ich Bewerbern glaube, die mir von ihren Erlebnissen berichten. Echt schade, denn beide Seiten hätten sich eigentlich so viel zu sagen – und ebenso zu fragen.

Als Bewerber denken Sie womöglich jetzt „Naja, ich habe ja keine Wahl!“. Doch dies ist ein Irrtum! Falls Sie wieder einmal das Gefühl haben, auf der Anklagebank zu sitzen oder sich wie in der harten Schulprüfung fühlen und Ihr einziger Job darin besteht, pflichtbewusst auf abgefeuerte Fragen auf den Punkt zu antworten, dann können auch Sie versuchen, aus der Prüfungsituation ein gutes Gespräch werden zu lassen.

Sie haben es mit in der Hand und können mit Ihren Reaktionen, Antworten und eigenen Fragen dafür sorgen, dass es doch noch ein Gespräch wird. Indem Sie ganz bewusst aus dem braven Antwort-Modus umschalten und aktiv Fragen zum aktuellen Gesprächsthema stellen. Bekommen Sie ein „Wir stellen hier die Fragen!“ zu hören, sollten Sie sich spätestens jetzt darüber nachdenken, ob dies wirklich Ihr neuer Arbeitgeber sein sollte.

Und falls Sie hier als Recruiter oder Chef mitlesen, dann probieren Sie doch einmal aus, wie sich ein Vorstellungsgespräch als echtes Gespräch anfühlt. Ohne Schema-F-Fragen, künstlichen Stress und abseits starrer Prozess-Standards zur Lebenslauf-Analyse, sondern mit echtem Interesse als Mensch einem anderen Menschen gegenüber. Es kann so leicht sein und sogar auch Freude machen, einen Bewerber als Menschen mit seinen Stärken und Talenten sowie Ecken und Kanten wirklich kennenzulernen.

2| Vorstellungsgespräch: Die beiderseitige Vorstellung

Weiter geht’s mit den vorderen 50 Prozent in „Vorstellungsgespräch“: Es geht um die Vorstellung – und zwar um die gegenseitige Vorstellung. Was in meiner Wahrnehmung heute oft noch zu kurz kommt, ist die persönliche Vorstellung der Gesprächspartner. Alle Bewerber rechnen mit „Erzählen Sie doch mal etwas von sich“ und können gut vorbereitet ihren Lebenslauf runterbeten, doch sie erfahren nur selten mehr als die Namen und Positionen der Personen, die ihnen im Gespräch gegenüber sitzen. Der Fokus von „Vorstellung“ liegt meist auf Bewerberseite sowie der Vorstellung des Unternehmens als Arbeitgeber, dabei ist es für Jobwechsler ebenso interessant, mehr über die zukünftige Chefin oder die Kollegen im Team zu erfahren.

Mein Impuls an beide Seiten: Nutzen Sie ein Vorstellungsgespräch, um sich gegenseitig persönlich vorzustellen. Sprechen Sie als Personaler oder Chef über Ihren Werdegang, die aktuellen Funktionen und Aufgaben im Unternehmen, die Schnittstellen zu Kollegen aus anderen Teams, Ihre Haltung als Mitarbeiter/in oder Führungskraft und über alles das, was Ihnen im Beruf und vielleicht auch im Privatleben besonders wichtig ist.

Sprechen Sie als Bewerber über Ihre persönlichen Stärken, Ihre Werte im Beruf und wichtigsten Ziele für die nächsten Jahre – und vielleicht möchten Sie auch einen Einblick in Ihr Privatleben geben? Auch hier haben Sie es in der Hand, wieviel Sie von Ihrem Gegenüber erfahren und selbst über sich preisgeben möchten. Schließlich geht es bei der Entscheidung auf beiden Seiten nicht nur um sachlich fachliche, sondern am Ende vor allem um die zwischenmenschliche Passung.

3| Vorstellungsgespräch: Keine Schauspielvorstellung!

Apropos „Vorstellung“ – manchmal habe ich den Verdacht, das Vorstellungsgespräch verwandelt sich immer mehr zur Zirkusmanege oder bühnenreifen Schauspielvorstellung. Nein, so ist „Vorstellung“ bitte nicht gemeint! Es geht weder darum, als Bewerber gekonnt durch den brennenden Reifen zu springen, noch als Arbeitgeber das einstudierte Schauspiel in drei Akten zu veranstalten.

Es geht um ein echtes Kennenlernen auf beiden Seiten, um ehrliche und spontane Momente in der Situation statt auswendig gelernter Dialoge, einstudierte Körpersprache und definierte Prozess-Standards. Kein braves Parieren auf Anweisung, kein lustiges Clown-Spiel, kein waghalsiger Hochseilakt und keine wilden Raubtiere in der Manege. Auch wenn ich in diesem Kontext kein Fan des Begriffs „Authentizität“ bin, sollten sich beide Seiten im Vorstellungsgespräch so begegnen, wie sie in ihrer jeweiligen Rolle echt, respektvoll wertschätzend und damit glaubhaft sind.

Haben Sie das Gefühl, als Gast inmitten einer Vorstellung zu sitzen, dann beenden Sie das Schauspiel, indem Sie es thematisieren. Ermutigen Sie als Recruiter Bewerber, aus ihrer einstudierten Rolle zu schlüpfen und sich von ihrer echten Seite zeigen zu dürfen. Und machen Sie ebenso als Bewerber im Gespräch klar, dass Sie keine Floskeln aus Hochglanzbroschüren zum Unternehmen interessieren, sondern erfahren möchten, was tatsächlich hinter einer Stelle steckt, woran Ihr Erfolg am Ende der Probezeit gemessen wird und wie das Team wirklich tickt.

4| Vorstellungsgespräch: Austausch von Vorstellungen

Achtung, jetzt wird es spannend mit meiner Wortspielerei. Denn gute Vorstellungsgespräche sollten immer ein gegenseitiger Austausch über Vorstellungen sein. Arbeitgeber, die klar über ihre Vorstellung von einem passenden neuen Mitarbeiter für die zu besetzende Position und das Team sprechen. Bewerber, die ihre Vorstellung über ihre berufliche Zukunft, das zu ihnen passende Arbeitsumfeld, die Art der Führung und über alles andere kundtun, was ihnen im Beruf in Zukunft wichtig ist.

Ich nehme wahr, dass in Vorstellungsgesprächen heute zu wenig über Vorstellungen als Erwartungen gesprochen wird. Arbeitgeber prüfen Fachwissen und Berufserfahrung, machen Persönlichkeitstests, doch haben oft keine Vorstellung davon, was einem Kandidaten wirklich wichtig ist und was er oder sie benötigt, um später in der Position sowie im Team motiviert, leistungsfähig und zufrieden zu sein. Auf der anderen Seite trauen sich viele Bewerber nicht, Klartext über ihre Erwartungshaltung als Vorstellung über eine gute berufliche Zukunft zu sprechen.

Wann sonst als im Gespräch können beide Seiten erkennen, ob ihre Vorstellungen zueinander passen und sie eine gute gemeinsame Zukunft haben? Wer sich über seine Vorstellungen austauscht und Klarheit schafft, der vermeidet unliebsame Überraschungen in Zukunft.

5| Vorstellungsgespräch: Gespräch vor der Einstellung

Das Vorstellungsgespräch als Vor(ein)stellungs-Gespräch. Tricky, was? :-) Mit diesem letzten Wortspiel möchte ich zum Ausdruck bringen, dass jedes Vorstellungsgespräch die – womöglich letzte – Chance vor einer vertraglichen Anstellung ist, alle Fragen zu klären. Beiderseitig so viel Sicherheit wie erforderlich zu schaffen, um eine gute Entscheidung für eine gemeinsame Zukunft zu treffen.

Klären Sie – vor allem als Bewerber, was Ihnen wichtig ist. Es wäre doch allzu ärgerlich, nach den ersten Wochen beim neuen Arbeitgeber zu erkennen, dass Sie mit dem Chef niemals warm werden oder sich der vermeintliche Traumjob in der Realität als Höllentrip für Sie erweist. Wer möchte schon in der Probezeit die betriebliche Scheidung einreichen und die lästige Suche von Neuem beginnen? Nutzen Sie das Vorstellungsgespräch beide, um vor der Anstellung miteinander ehrlich übereinander zu sprechen.

Überlegen Sie sich als Bewerber im Vorfeld des ersten Vorstellungsgesprächs, welche Themen Ihnen wichtig sind, welche Informationen Sie benötigen und welche Fragen hierzu passen, um im besten Fall mit hoher Sicherheit und gutem Bauchgefühl einen Arbeitsvertrag zu unterschreiben. 

Oft werden bis dahin zwei und mehr Gespräche geführt, priorisieren Sie Ihre Fragen entsprechend. Fragen etwa nach Gehalt, Arbeitszeiten und Urlaubsansprüchen machen sich nicht gut zu Beginn des ersten Vorstellungsgesprächs, diese sollten Sie sich für das Ende oder sogar erst für ein zweites Gespräch aufheben. Mein Tipp: Erstellen Sie als Vorbereitung eine Liste mit Ihren wichtigsten zu klärenden Punkten sowie Ihren Fragen hierzu und legen Sie fest, was Sie im ersten Termin klären möchten und was auch Zeit bis zum nächsten Gespräch hat. - Ach ja, selbstverständlich dürfen Sie als Bewerber solche Unterlagen mit Ihren Fragen ins Gespräch mitnehmen und vor sich auf den Tisch legen – das macht Ihr Gegenüber ja auch. 

Ich wünsche Ihnen einen guten Austausch – aus welchem Blickwinkel auch immer Sie sich als Bewerber, Recruiter oder Führungskraft ab jetzt auf Ihr nächstes Vorstellungsgespräch freuen.

Ihr & Euer

Diesen und weitere Beiträge rund um neue Karrieren, Bewerbung auf Augenhöhe und gesunde Führung lesen Sie in meinem Karriereblog "Perspektivwechsel"

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Wer schreibt hier?

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Karriere- und Business-Coach, Dr. Bernd Slaghuis

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Karriere ist heute mehr als nur "höher, schneller, weiter". Seit 2011 habe ich über 1.800 Angestellte bei ihrem nächsten Schritt im Beruf begleitet. Von der Neuorientierung und Bewerbung bis zum Onboarding. Meine Erfahrungen teile ich hier als XING Insider, auf meinem Blog und als SPIEGEL-Kolumnist.
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