5 LGBTQIA*-Wegbereiter·innen, die Du kennen solltest
Im Scheinwerferlicht von Pride-Paraden und Diversity-Beauftragten könnte man meinen, alle Kämpfe seien gewonnen. Tatsächlich liegen viele Erfolge der LGBTQIA*-Bewegung noch nicht lange zurück – und werden heute wieder angefochten. Diese fünf Wegbereiter·innen haben gezeigt, was Veränderung wirklich bedeutet.
Die Sache mit dem Sternchen vorweg: LGBTQIA* kommt aus dem Englischen und steht für die Begriffe lesbian, gay, bisexual, transgender/transsexual, queer/questioning, intersex, asexual – übersetzt lesbisch, schwul, bisexuell, transgender/transsexuell, queer/fragend, intersexuell, asexuell. Das * (manchmal auch +) dient als Platzhalter für weitere Geschlechtsidentitäten.
1. Marsha P. Johnson (1945–1992)
Marsha P. Johnson war eine der ersten transgender* Aktivistinnen und ist eine der Gründerinnen der weltweiten LGBTQIA*-Bewegung. Johnson begann bereits in ihrer Kindheit in New Jersey Mädchenkleidung zu tragen und wurde dafür angefeindet. Direkt nach ihrem Highschool-Abschluss zog sie in den 60er-Jahren nach New York.
In der Großstadt ließ sie offiziell ihren Namen ändern und begann, als Frau, Dragqueen und Künstlerin zu leben. Wie viele queere junge Menschen zu dieser Zeit wurde Marsha P. von der Mehrheitsgesellschaft verstoßen, war arm, wohnungslos und litt unter Nervenzusammenbrüchen. Ihre Lebensumstände waren prekär, und sie verdingte sich unter anderem als Sexarbeiterin, um zu überleben. Dafür wurde sie wiederholt von der Polizei festgenommen.
Treffpunkte von schwulen Menschen waren zu dieser Zeit in New York Zielscheiben staatlicher Schikanen. Gleichgeschlechtlichen Paaren war es verboten, in der Öffentlichkeit Händchen zu halten oder gar zusammen zu tanzen. Es verstieß auch gegen Richtlinien der Gaststättenbehörde, Alkohol an Homosexuelle auszuschenken. Razzien in Schwulenbars, bei denen es zu Übergriffen durch die Polizei kam, waren an der Tagesordnung.
Im Rotlichtviertel von Manhattan lernte P. Johnson ihre Verbündete Sylvia Rivera kennen, eine queere lateinamerikanische Dragqueen. Gemeinsam waren die Aktivistinnen an der Spitze der sogenannten Stonewall-Aufstände beteiligt. Benannt sind diese nach der Schwulenbar „The Stonewall Inn“ in der Christopher Street.
In der Nacht vom 28. Juni 1969 kam es erneut zu einer gewaltsamen Polizeirazzia des „Stonewall Inns“. Marsha P. Johnson und Sylvia Rivera waren die Ersten, die sich der Verhaftung einer Frau, die von der Polizei verletzt wurde, lautstark und körperlich widersetzten. Der Aufstand entfachte einen über fünf Tage langen Protest gegen die Unterdrückung queerer Personen und mobilisierte mehrere Hundert Menschen.
Dieser Widerstand inspirierte zahlreiche US-amerikanische und internationale Widerstandsbewegungen zu Demonstrationen wie etwa den jährlichen Christopher Street Day, der an die Stonewall-Aufstände erinnern soll. Daher gilt der 28. Juni 1969 auch als Geburtsstunde der globalen LGBTQIA*-Bewegung.
Marsha P. Johnson und Sylvia Rivera gründeten nach den Stonewall-Riots unter anderem das STAR-Kollektiv, das sich um wohnungslose trans* Jugendliche kümmerte, die von ihren Familien verstoßen wurden. Die Künstlerinnen setzten sich später auch für die Aufklärung über HIV und Aids ein.
Im Alter von 46 Jahren wurde Marsha P. Johnson tot im Fluss Hudson in New York aufgefunden. Ihre Todesursache ist bis heute ungeklärt. Dass es sich um Selbstmord gehandelt hat, wie die Behörden zunächst behaupteten, zweifeln viele bis heute an. Zu Lebzeiten geriet Marsha P. Johnson immer wieder in den Schatten weißer queerer Aktivist·innen und erlangte erst nach ihrem Tod Anerkennung für ihre Rolle im Kampf um Gleichberechtigung.
2. Magnus Hirschfeld (1868–1935)
Sprechen wir heute über Geschlecht, dann sprechen wir nicht nur über das biologische Geschlecht (sex), sondern auch über Geschlechtsidentität (gender). Für die sogenannte Queer-Theory legte der deutsche Mediziner und Sexualitätsexperte Magnus Hirschfeld den Grundstein.
Seine Arbeit war eng verzahnt mit dem 1887 gegründeten Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK), das sich für die Entkriminalisierung von Homosexuellen einsetzte.
1919 eröffnete Hirschfeld das Institut für Sexualwissenschaft. Dort wollte er seiner These, Homosexuelle seien eine Art „drittes Geschlecht“, und seiner Forschung dazu einen festen Rahmen geben. Sein Institut etablierte sich als Beratungsstelle für Betroffene und zu einem Archiv für sexualwissenschaftliche Literatur.
Am 6. Mai 1933 wurden alle Bestände im Zuge der Bücherverbrennung von den Nationalsozialisten vernichtet. Hirschfeld begab sich schon vorher ins Exil.
Würde man Magnus Hirschfeld heute einordnen, so könnte man sagen, dass er ein schwuler Mann war, der zu 100 Prozent hinter dem Konzept der Diversity – der Vielfalt – stand, schreibt die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld.
3. Rosa von Praunheim (*1942)
Der Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ von Rosa von Praunheim 1970/71 gilt als Auslöser der Schwulenbewegung in Deutschland.
Ab 1972 gründeten sich in vielen deutschen Großstädten und Universitätsstädten schwule Aktionsgruppen wie die „Homosexuelle Aktion“ in Hamburg. Sie forderten unter anderem, den Paragraphen 175 abzuschaffen. Dieser ermöglichte die politische Verfolgung und Verurteilung von Homosexuellen.
Dieses Gesetz wurde in der DDR bis 1950 abgeschafft, in der BRD bis Ende der 60er-Jahre jedoch lediglich gelockert. Zuvor galt die unter den Nationalsozialisten verschärfte Version dieses Paragraphen.
Erst 1994 wurde der Paragraph 175 endgültig gestrichen. Das Ende von §175 wird verändern, wie über Homosexualität gesprochen wird.
Ab 1979 wurden in Deutschland, inspiriert von den Stonewall-Aufständen in New York, die ersten Demonstrationen zum Christoper Street Day (CSD) veranstaltet. Bis die gleichgeschlechtliche Ehe in Deutschland legal wurde, dauerte es noch fast 40 Jahre: Die „Ehe für alle“ wurde in Deutschland 2017 eingeführt.
4. David Bowie (1947–2016)
Mit Hits wie „Under Pressure“, „Heroes“ und „China Girl“ wurde die britische Künstler-Ikone David Bowie weltberühmt. Seine Musik, so wie er selbst, überschreiten Genres und Normen.
Nach seinem musikalischen Durchbruch 1971 lebte Bowie unter anderem in Westberlin und New York. Aus seinem Album „The Rise And Fall Of Ziggy Stardust And The Spiders From Mars“ entstand auch Bowies Alter Ego, „Ziggy Stardust“, und wurde zum Symbol für David Bowies sexuelle Einstellung.
Mit femininen, glitzernden Outfits, hohen Schuhen und leuchtendem Make-up weichte er die Grenzen zwischen männlich und weiblich auf – einer der Gründe, weshalb Bowies Sexualität und Identität über seine 50 Jahre währende Karriere hinweg Gegenstand von Diskussionen und Spekulationen war.
David Bowie experimentierte in seiner Kunst mit verschiedenen Charakteren und Geschlechtsidentitäten und verkörpert für viele Menschen eine Fluidität in Musik, Mode und Geschlecht. Er wurde häufig von Medien gebeten, seine Sexualität klar zu definieren. Bowie ließ sich allerdings nicht in eine Schublade stecken und wich den Fragen von Interviewer·innen gekonnt aus.
In den frühen 1970er-Jahren bezeichnete sich David Bowie öffentlich als schwul, später als bisexuell, und er revidierte diese Aussagen wieder. Er war auch zweimal mit Frauen verheiratet.
In seinen Äußerungen über seine Sexualität zeigt Bowie, dass er nicht nach gesellschaftlichen Erwartungen leben wollte.
Bowie war einer der größten kreativen Köpfe der Musikgeschichte. Seine Kunst steht für viele Menschen für Akzeptanz zum Anderssein, jenseits von zwei Geschlechtern. Wie die „New York Times“ 2016 nach seinem Tod übersetzt titelte: „War er schwul, bi oder Bowie? Ja“.
5. Audre Lorde (1934–1992)
Audrey Geraldine Lorde war eine US-amerikanische Schriftstellerin und Aktivistin. Sie sprach schon über das Zusammenwirken verschiedener Diskriminierungsformen (Intersektionalität), bevor der Begriff in politischen Diskursen verwendet wurde.
Die Autorin bezeichnete sich selbst als black, lesbian, feminist, mother, poet, warrior – Schwarz, Lesbe, Feministin, Mutter, Dichterin und Kriegerin.
Lorde zählt zu den bedeutendsten afroamerikanischen Stimmen des 20. Jahrhunderts. In Deutschland gab sie schon in den 80er-Jahren in Berlin Workshops zum Thema „Rassismus im Alltag und in der Frauenbewegung“. Zur Wendezeit las sie in Berlin und Dresden aus ihrem literarischen Werk vor und tauschte sich mit Schwarzen und weißen Frauen aus.
Die Aktivistin kritisierte die fehlende Sichtbarkeit von Minderheiten und den immer offener zutage tretenden Rassismus und Antisemitismus. 2020 hat auch der deutsche Literaturbetrieb Audre Lorde wiederentdeckt. Mit dem Aufkommen der Black-Lives-Matter-Bewegung 2020 wurde ihr Buch „Sister Outsider“ neu übersetzt.
✨ Bonus: Fünf queere Vorbilder, denen Du aktuell folgen kannst
1. Gazelle Vollhase
Gazelle Vollhase ist trans*, Diversity-Pionierin und als Comedian auf sozialen Plattformen und im Fernsehen beliebt. Mit der Veröffentlichung ihres ersten Buches ist sie nun auch Autorin.
2. Alok Vaid-Menon
Alok Vaid-Menon ist eine nicht-binäre Person. Alok ist bekannt als Künstler·in in zahlreichen Formen: Poesie, Comedy, Lesungen, Social Media, Modedesign und vieles mehr. Mit einer Reichweite von über einer Million Follower tourt Alok nicht nur durch die USA, sondern ist mittlerweile auch im deutschsprachigen Raum unterwegs.
3. Dr. Mertci
Mertcan Usluer ist queerer Gynäkologe und Journalist. Unter dem Namen gynaekollege klärt er über Rassismus im Krankenhaus, weibliche und queere Lust, gleichberechtigte Verhütung und weitere medizinische Themen auf – stets rassismuskritisch, inklusiv und intersektional.
4. Saskia Michalski
Saskia Michalski ist Bestsellerautor·in, Aktivist·in, Unternehmer·in und sensibilisiert für vielfältige Beziehungsformen wie die Polyamorie.
5. Frank Mugisha
Frank Mugisha ist Menschenrechtsaktivist und Friedensnobelpreiskandidat aus Uganda. Als Geschäftsführer der Organisation Sexual Minorities Uganda setzt er sich für die Rechte Homosexueller in seinem Heimatland ein.
👉🏻 Lesetipps aus der Redaktion:
Wenn Du dich für queerfeministische Nachrichten und Popkultur interessierst, schau dir das Missy Magazine an, abonniere den Salty World Newsletter und halte dich mit den Pink News auf dem Laufenden.
🌈 Bonus für die Kleinen: Fünf Kinderbücher, die Kindern Vielfalt zeigen
Teddy Tilly – Jessica Walton
Ein trans* Teddybär entdeckt seine Identität.Lina, die Entdeckerin – Katharina Schönborn-Hotter, Lisa Charlotte Sonnberger, Flo Staffelmayr
Ein klischeefreies Abenteuer über ein mutiges Mädchen und ihre Vulva.König & König – Linda De Haan & Stern Nijland
Ein Prinz verliebt sich in einen anderen Prinzen.Das alles ist Familie - Michael Engler, Julianna Swaney
Eine Geschichte darüber, wie vielfältig Familienleben sein kann.
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Dieser Artikel wurde von Antonia Grabowski und Jessica Chen verfasst.