WEITERBILDUNG: DIE FRAGE IST NICHT MEHR OB, SONDERN WIE
„Richtig“ qualifizierte Mitarbeitende wünscht sich jedes Unternehmen. Doch kann es diese überhaupt noch geben in einer digitalen, sich ständig verändernden Arbeitswelt? Und wie kommt man dahin?
Einfache Routinetätigkeiten kann die künstliche Intelligenz mitunter schon viel besser als der Mensch. In einer digitalen und vernetzten Gesellschaft werden stattdessen die Wissensberufe immer wichtiger, die komplexer sind und ein hohes Maß an Soft Skills benötigen. Hier Schritt zu halten, verlangt von Beschäftigten, stetig am Ball zu bleiben und sich weiterzubilden.
Die Coronavirus-Pandemie erhöht den Druck zusätzlich, wie es Björn Böhning, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), auf den Punkt bringt: „Die Corona-Krise wird den vor allem digital getriebenen Strukturwandel unserer Arbeitsgesellschaft noch einmal deutlich beschleunigen und den Arbeitsmarkt verändern. Weiterbildung rückt dabei immer stärker in den Fokus.“
Wir brauchen neue Strategien, um weitere Zugänge zu Wissen und Bildung für möglichst viele Beschäftigte zu schaffen.Björn Böhning
Mit der richtigen Herangehensweise muss jedoch niemand Angst vor den digitalen Herausforderungen haben. Viele Unternehmen zeigen, wie Qualifizierung heutzutage funktionieren kann – gemeinsam mit den Beschäftigten. Die Lern- und Experimentierräume des BMAS, die Betriebe darin unterstützen, neue Arbeitsweisen zu erproben, haben bereits eine Reihe innovativer Ansätze begleitet.
Beim Autobauer Volkswagen ist man analytisch an die Sache herangegangen: In einer umfassenden innerbetrieblichen Studie wurden die Folgen der Digitalisierung auf verschiedene Arbeitsbereiche untersucht, um darauf aufbauend auch Weiterbildungsbedarfe zu ermitteln. Das Ziel: Arbeitsplatzverluste nicht einfach hinzunehmen, sondern Beschäftigte für neue Tätigkeiten zu qualifizieren.
Das ist jedoch leichter gesagt als getan, wie Dr. Thymian Bussemer, Head of HR Strategy & Innovation bei VW, erklärt: „Wenn zum Beispiel in einer Fabrik der Karosseriebau modernisiert werden soll, weiß man das etwa acht Jahre vorher. In anderen Bereichen aber weiß man überhaupt nicht, wie sich ein Geschäftsmodell entwickelt und damit auch nicht, welche Beschäftigten man mit welchen Qualifikationen und in welcher Menge braucht.“ Vor diesem Hintergrund zu planen und gleichzeitig flexibel zu bleiben, ist zweifelsohne ein Spagat für Unternehmen.
Der Elektroniksysteme-Hersteller Phoenix Contact unternimmt daher große Anstrengungen, um Qualifizierungsbedarfe gemeinsam mit den Beschäftigten zu ermitteln. So wurden alle 1.400 Mitarbeitenden einer Produktionseinheit zu Workshops in kleineren Gruppen eingeladen. Darin erarbeiteten sie, wo und wie ihre Fachbereiche digitaler werden können, wie sich die täglichen Aufgaben und Arbeitsabläufe dadurch verändern werden, wie man sich bestmöglich darauf vorbereiten kann und wo Weiterbildungen notwendig sind.
Eine Vorgehensweise, die für Prof. Dr. Martin Krzywdzinski vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung zentral ist: „Wenn man neue Technologien in den Betrieb bringt, ist es wichtig, die Beschäftigten einzubeziehen, mitzunehmen und deren Bedarfe abzufragen.“ Dabei müssten aber auch alle gemeint sein: „Wir müssen einen fairen Zugang zu Qualifizierung bieten, um nicht Ungerechtigkeitsempfinden und Konflikte zu bewirken, das heißt auch den älteren und angelernten Beschäftigten, die oft gar nicht an Weiterbildung partizipieren.“
Weshalb Digitalisierung nur mit den Beschäftigten gelingt, erklärt Prof. Dr. Martin Krzywdzinski:
Gleichzeitig gelten „von oben“ verordnete Qualifizierungen als wenig erfolgversprechend. Beim Softwareentwickler INOSOFT können sich die Beschäftigten daher freiwillig mit Zukunftsthemen auseinandersetzen. Im Rahmen der „Spielwiese“ wird in Kleingruppen kreatives und innovatives Denken im Unternehmen gefördert und der Umgang mit neuen Technologien erlernt. Scheitern ist ausdrücklich erlaubt – ein bestimmtes Ergebnis wird nicht angestrebt. Die behandelten Themen werden dabei sowohl von der Geschäftsführung als auch von den Mitarbeitenden vorgeschlagen.
Wir sehen viel zu viele Top-down-Projekte, die von Ingenieuren mit einer zu großen Komplexität erdacht wurden.Prof. Dr. Martin Krzywdzinski
Es den Beschäftigten so einfach wie möglich zu machen und Hürden abzubauen, steht beim Softwareunternehmen Pickert & Partner im Fokus. Hier konnten sie an einer Pinnwand die „Frage der Woche“ beantworten, zum Beispiel „Welches Wissen hat dir letzte Woche gefehlt?“. Später wurde eine digitale Wissensplattform eingerichtet, die einfach in der Nutzung ist und Spaß bringt.
In dem Tool können die Beschäftigten unkompliziert Dokumente aller Art miteinander teilen – auch Wissens- und Weiterbildungsinhalte. Das Unternehmen stellt bspw. Videos von internen Fortbildungen ein. Mitarbeitende haben nach externen Qualifizierungen die Möglichkeit, das Gelernte in einem eigenen Video zusammenzufassen. Darüber hinaus können sie Nutzerprofile anlegen und sich über gemeinsame berufliche Interessen und Fähigkeiten austauschen.
Auch bei INOSOFT unterstützt ein internes Web-Tool die Belegschaft. Hier können die Mitarbeitenden nicht nur Themen vorschlagen, mit denen sie sich in der „Spielwiese“ beschäftigen wollen, sondern auch über die Vorschläge von Kolleginnen und Kollegen abstimmen.
Warum es wichtig ist, „Kopfmonopole“ im Betrieb aufzubrechen und Wissen mit allen zu teilen, erklärt Rebekka Gropper von Pickert & Partner:
All das zeigt: Die Weichen für digitale Weiterbildungen sind vielerorts gestellt. Die Beschäftigten sind aufgeschlossen, etwa gegenüber der künstlichen Intelligenz. So berichtet Prof. Dr. Svenja Falk, Managing Director bei Accenture Research, aus einer Befragung: „Die Arbeitnehmer sind nahezu begeistert. Über die Hälfte meint, dass sich ihre Arbeit durch KI verbessern und interessanter wird.“
Ein Wermutstropfen aber bleibe laut Falk: Obwohl die Unternehmen fest davon überzeugt seien, dass in den nächsten drei Jahren der Anteil von Arbeit an der Schnittstelle von Mensch und KI signifikant zunehmen werde, seien nur vier Prozent bereit, mehr in Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden zu investieren.
So kommt das BMAS-Förderprogramm zum Aufbau von Weiterbildungsverbünden auch hier zur rechten Zeit. Denn damit erhalten insbesondere Beschäftigte von kleinen und mittleren Unternehmen die Möglichkeit, häufiger an Qualifizierungen teilzunehmen – durch verbindliche Kooperationen zwischen Betrieben und Weiterbildungseinrichtungen. Unternehmen, die solche Netzwerke aufbauen wollen, können sich bis 25. August 2020 um Fördergelder bewerben.
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Service-Info: Mit dem Webportal experimentierräume.de bietet das BMAS eine Plattform, auf der Unternehmen und Verwaltungen durch inspirierende Beispiele Impulse erhalten, um neue Wege in Richtung Arbeitswelt der Zukunft zu gehen. In einer regelmäßigen Artikelreihe werden ausgesuchte Beispiele der Experimentierräume hier vorgestellt.