Ein Jahr Vier-Tage-Woche: „Als hätte es den Freitag als Arbeitstag nie gegeben"
Du wünschst Dir mehr Balance zwischen Freizeit, Familie und Job? Ein Angestellter erzählt, wie die Vier-Tage-Woche sein (Arbeits-)Leben und das seiner Kolleg·innen verändert hat.
Heiko Reinosch ist Teamleiter in der Montage und Betriebsratsvorsitzender beim Maschinenbauer Wenzel AG. Er arbeitet seit elf Jahren bei Wenzel und seit fast genau einem Jahr nur noch vier Tage die Woche. An Produktionsvolumen und Auftragslage hat sich nichts verändert. Die Belegschaft schafft jetzt mehr in weniger Zeit.
„Im Dezember 2021 stellte uns unser Arbeitgeber frei, unsere klassischen 37,5-Stunden-Verträge auf eine Vier-Tage-Woche umzustellen. Einige dachten: „Das wird eh nix!“. Andere waren besorgt: „Wie sollen die Maschinen rechtzeitig das Haus verlassen?“ Als Teil des Betriebsrats war auch ich anfangs skeptisch, dass sich nun freitags Überstunden für die Kolleg·innen häufen würden. Aber: Es hat vom ersten Tag an funktioniert. Bei uns in der Produktion, also den Bereichen Montage, Fertigung und Abnahme, machen alle mit.
Jetzt, ein Jahr später, möchte ich nicht mehr anders arbeiten.Heiko Reinosch, Teamleiter in der Montage und Betriebsratsvorsitzender beim Maschinenbauer Wenzel AG
Jetzt, ein Jahr später, möchte ich nicht mehr anders arbeiten. Ein Großteil meines Teams hat Familie, und da ist man für jede extra Stunde dankbar, die man für Haushalt, Papierkram oder Freizeitaktivitäten hat. Den ganzen Freitag zur Verfügung zu haben, wenn die Kinder normalerweise noch in der Schule und der/die Partner·in vielleicht noch bei der Arbeit ist – das ist toll. Ich kann ausschlafen, Einkäufe erledigen oder Kaffee trinken gehen.
Ich habe Kollegen, die schwärmen immer wieder davon, dass sie jetzt freitags zum Getränkemarkt fahren und nicht mehr samstags, wenn es rappelvoll ist. Wäsche, Haushalt oder gar nichts tun – ganz egal, was es ist, man hat einfach einen guten halben Tag mehr Zeit zur Verfügung. Und Zeit ist das Kostbarste, das wir haben. Wirklich, diese verlängerten Wochenenden entlasten mich manchmal mehr als drei Wochen Urlaub. Ich kann mal richtig abschalten.
Jede Woche spare ich Spritkosten, Pendelzeit und Stress durch Stau oder Wetter.Heiko Reinosch, Teamleiter in der Montage und Betriebsratsvorsitzender beim Maschinenbauer Wenzel AG
Dazu kommt: Ein Mal pro Woche spare ich Spritkosten, Pendelzeit und Stress durch Stau oder Wetter… Ich merke auch es den Kollegen und Kolleginnen jeden Tag an. Die sind einfach deutlich entspannter. Jedes Mal, wenn jemand zu mir sagt: „Ach, Du hast schon Wochenende!?“, merke ich, was für ein Luxus die Vier-Tage-Woche ist. Und nicht nur für Eltern: Wir haben gerade zwei junge Frauen nach ihrer Ausbildung übernommen – die sind genauso begeistert, wie unsere älteren Mitarbeitenden. Sicherlich auch, weil wir als Belegschaft jetzt noch stärker an einem Strang ziehen. Schließlich wollen wir alle die offenen Bestellungen bis Donnerstagabend fertigstellen.
Ich habe einen Kalender an meinem Arbeitsplatz hängen und jetzt male ich da seit einem Jahr jeden Freitag einen Smiley rein – auch wenn es sich eigentlich schon so anfühlt, als ob es den Freitag als Arbeitstag nie gegeben hätte.”
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📆 Vier-Tage-Woche: Gekommen, um zu bleiben?
Es gibt gute Gründe, warum kleine Unternehmen, Konzerne und sogar ganze Nationen über die Vier-Tage-Woche nachdenken: Ein Großteil der Arbeitnehmenden ist überarbeitet und kann seinen Care-Pflichten kaum noch nachkommen. Auch ehrenamtliche Arbeit, Sport und politisches Engagement kommen bei vielen aus Zeitmangel zu kurz.
In einer aktuellen forsa-Befragung aus der DACH-Region fanden 74 Prozent der Teilnehmer•innen die Idee der Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich gut, bei den 18-29-Jährigen sogar 82 Prozent.
📆 Vier-Tage-Woche ist nicht gleich Vier-Tage-Woche
Diese Länder haben die ersten Schritte Richtung Vier-Tage-Woche bereits getan. Aber nicht alle verfolgen dasselbe System.
🇧🇪 Belgien: Ende 2022 hat Belgien das Gesetz eingeführt, das allen Beschäftigten in Vollzeit und in der Privatindustrie erlaubt, einen Antrag auf die Vier-Tage-Woche einzureichen. Gut daran ist, dass Arbeitnehmer·innen hier selbstbestimmt agieren können. Weniger gut: Die Gesamtstundenzahl verringert sich nicht. Arbeitnehmer·innen verpflichten sich, an vier Tagen zehn Stunden zu arbeiten.
🇮🇸 Island: Im bis dato größten Experiment seiner Art hat Island von 2015 bis 2019 die Vier-Tage-Woche getestet. Statt 40 Stunden an fünf Tagen wurden nur noch 35 oder 36 Stunden an vier Tagen gearbeitet. Das Ergebnis: Die Proband·innen berichten von weniger Stress bei gleich viel oder mehr Produktivität. Wie das funktioniert? Prozesse wurden optimiert. Es wurden gezielt Aufgaben gestrichen, Meetings verkürzt oder ganz durch asynchrone Kommunikation ersetzt. Die Arbeit wurde effizienter.
🇬🇧 Großbritannien: Von Juni bis November 2022 fand im Vereinigen Königreich ein Versuch zur Vier-Tage Woche statt. 70 Firmen und über 3.300 Beschäftigte nahmen daran teil. Sie verdienten in dieser Zeit 100 Prozent ihres Gehalts für 80 Prozent ihrer vertraglichen Arbeitszeit und verpflichteten sich zu 100 Prozent Einsatz. Daher nennt man es auch das 100-80-100- Modell.
Der UK Think Tank Autonomy und Wissenschaftler·innen der Oxford und Cambridge Universitäten des Boston College begleiteten die Studie. Auch hier berichteten Proband·innen von weniger Stress, mehr Balance und gesunkenen Kosten für Care-Arbeit und Transportmittel. Die Arbeitgebenden dagegen berichten von weniger Krankmeldungen und Kündigungen. 100 Firmen in Großbritannien haben die Vier-Tage Woche bereits dauerhaft eingeführt.
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