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Arbeitszeit reduzieren: So findest Du auch anspruchsvolle Teilzeit-Jobs

Einige Angestellte spielen aktuell mit dem Gedanken, ihre Arbeitszeit etwas zu reduzieren. Doch wer nach Stellen in Teilzeit sucht, der findet vor allem Aushilfsjobs. Zwei Bewerbungsstrategien für Teilzeit-Jobs mit Köpfchen.

Es vergeht in den letzten Monaten kaum eine Woche, in der es in einem meiner Karriere-Coachings nicht um das Thema Teilzeit geht: „Ich überlege, den Job zu wechseln und würde am liebsten auch meine Arbeitszeit etwas reduzieren – aber darf ich das einfach so?“, fragen mich Klientinnen und Klienten, die im vergangenen Corona-Jahr im Homeoffice auf Distanz zu ihren Jobs stark ins Grübeln gekommen sind und für sich reflektiert haben, was ihnen im Leben und Beruf wirklich wichtig ist.

Wer die Entscheidung für sich getroffen hat, die Arbeitszeit zu reduzieren, der möchte von mir erfahren „Wie finde ich denn überhaupt ausgeschriebene Positionen in Teilzeit entsprechend meiner Berufserfahrung und Qualifikation?“. Denn die Suche nach Jobs in Teilzeit abseits von Kurierfahrern, Call-Center-Mitarbeitern, Briefsortierern, Rezeptionisten, Produktionshelfern, Lagermitarbeitern, Reinigungskräften etc. (w/m/d) gestaltet sich schwierig. Auf Stepstone sind aktuell rund 12 Prozent aller ausgeschriebenen Stellen mit dem Suchkriterium "Teilzeit" verknüpft, bei Indeed sind es immerhin 22 Prozent. Doch der erste Blick zeigt, dass dies vorwiegend Aushilfsjobs oder Positionen mit geringem Qualifikations- und Anforderungsniveau sind.

Teilzeit muss zur vollwertigen Vollzeit-Alternative werden

Nicht nur, dass es hierzulande immer noch verpönt zu sein scheint, sich abseits von akuter Kindererziehung oder chronischer Erkrankung bewusst für die Teilzeit im Beruf zu entscheiden und in der Bewerber-Rolle so in Rechtfertigungsnot zu geraten, gestaltet sich auch die Jobsuche für all jene nahezu unmöglich, die nicht im Assistenz- oder Aushilfsjob-Bereich unterwegs sind. „Teilzeitstellen mit Köpfchen“ – wie es neulich eine Klientin sehr treffend benannt hat, sind schwieriger zu finden, als die dickste Stricknadel im Heuhaufen.

Entwicklung der Teilzeitquote 1991 - 2019 nach Geschlechtern. Quelle: sozialpolitik-aktuell.de
Entwicklung der Teilzeitquote 1991 - 2019 nach Geschlechtern. Quelle: sozialpolitik-aktuell.de

Der Teilzeit-Karriere haftet auch im Jahr 2021 immer noch das Klischee der Jobs für gering Qualifizierte oder Nebenher-Verdiener an. „Die Teilzeit muss weg vom Mutti-Image“ habe ich vor fünf Jahren hier getitelt, seitdem ist zumindest in meiner Wahrnehmung nicht viel geschehen. Die Medien sind inzwischen noch voller von buntem New Work, trendig agilem Arbeiten, hier und da ist sogar von innovativen Jobsharing-Modellen auch in Führungspositionen die Rede, doch dies alles zahlt in meiner Wahrnehmung mehr auf das Employer Branding einzelner Best Places to Work ein, als dass wirklich neues Arbeiten auf Basis einer veränderten Arbeitgeberhaltung in der Breite angekommen ist.

Denn sitzen mir im Coaching jene Menschen gegenüber, die in diesem Moment einfach nur einen anspruchsvoll vollwertigen Job in Teilzeit suchen, dann ist ihnen entweder das dicke Fragezeichen vor Hilflosigkeit bei der Suche ins Gesicht geschrieben oder sie mussten die Erfahrung machen, dass ein Arbeitgeber keine Notwendigkeit sieht, auch nur eine Minute von der 40-Stunden-Woche abzuzwacken. Dies, wo wir alle Jahre wieder über die Einführung der 30-Stunden-Woche diskutieren und seit 20 Jahren ein Teilzeitgesetz haben, das sogar einen Rechtsanspruch auf Reduzierung der Arbeitszeit verbrieft.

Dabei geht es bei ihrem Wunsch nach Teilzeit nicht einmal um verrückte Arbeiten-wie-wann-und-wo-ich-will-Träumereien, sondern einfach nur um den einen Tag frei in der Woche – verlässlich und planbar. Für mehr Flexibilität, Selbstbestimmtheit und am Ende des Tages auch für mehr Energie im Job von Montag bis Donnerstag. Es macht mich sprachlos, dass manche Arbeitgeber selbst ihre treuesten und hoch qualifizierten Mitarbeiter lieber kündigen und weiterziehen lassen, als mit ihnen über Lösungen zu sprechen. „Dieser Job in Teilzeit ist hier nicht vorgesehen“ und „Das bekomme ich in der Personalabteilung auch nicht durch“ sind Sprüche aus dem wahren Arbeitsleben – und spätestens mit „Da könnte dann ja jeder kommen“ ist die Sache aus der Welt. So lange Mitarbeitende solche Antworten von ihren Chefs oder HR-Managern zu hören bekommen, sind wir meilenweit entfernt von Flexibilisierung von Arbeit, geschweige denn von Versprechen, wie „Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt“.

Ich weiß, die Meckerei über aus meiner Sicht gestrige Denkmuster in Management- und Führungsetagen hilft Dir in dieser Sekunde nicht weiter, wenn Du gerade jetzt die Entscheidung getroffen hast, dass es für Dich gesünder ist, Deine Arbeitszeit etwas zu reduzieren. Daher sind hier meine Tipps für Dich in der Rolle als Bewerberin oder Bewerber - und vielleicht kann ich trotzdem auch auf der anderen Seite des Tisches etwas in Bewegung bringen ;)

Tipps für Jobwechsler & Bewerber auf Teilzeit-Stellensuche

Aus meiner Erfahrung kommen Bewerberinnen und Bewerber gut an, die von Anfang an Klarheit darüber schaffen, was ihnen heute und in den nächsten Jahren im Beruf wirklich wichtig ist. Bereits das Anschreiben aus Selbstschutz dafür zu nutzen, um potenziellen Arbeitgebern die echte Motivation hinter der Wechselmotivation sowie hiermit verbunden auch den Wunsch nach Reduzierung der Arbeitszeit mitzuteilen. Sachlich, auf Augenhöhe und ohne schnörkelige Rechtfertigung. Denn besonders bei diesem Thema wird gelten: Wer kein Verständnis für Deine Entscheidung hat, der wird Dir als neuer Arbeitgeber ganz sicher nicht jene Unternehmenskultur und Rahmenbedingungen bieten, die Dir wichtig sind und die Du braucht, um dort erfolgreich einen guten Job zu machen.

Ich empfehle Jobwechslern mit Teilzeit-Wunsch zwei parallele Such-Strategien:

(1) Bewirb Dich auch auf etwas zu niedrige Teilzeitstellen bei für Dich attraktiven Arbeitgebern und kläre die Aufgaben oder Entwicklungsmöglichkeiten im Gespräch.

Schaffe schon im Anschreiben Klarheit darüber, dass Du Dich bewusst für die Herabsetzung der Arbeitszeit entschieden hast und sprich auch das Offensichtliche an, dass Du vermutlich auf den ersten Blick für diese Position überqualifiziert erscheinst. Wirst Du mit diesem Bewusstsein zum Gespräch eingeladen, könnt ihr gemeinsam über die Aufgaben und auch über eine fachlich etwas andere Ausgestaltung dieser Position sprechen. Vermutest Du im Anschluss, dass Du Dich dort dennoch langweilen wirst, dann ist es nicht die passende Stelle. Denn ein Boreout - selbst in Teilzeit - wird Dich auf Dauer schwächen.

(2) Suche nach attraktiven Vollzeitstellen und besprich die Möglichkeiten, diese Position auch in Teilzeit auszufüllen. Hier werden noch viele Arbeitgeber an ihren festen Stellenplänen und auf Jahre geplanten Budgets kleben, doch wer sagt, dass Dein Profil im viel beschworenen Fachkräftemangel nicht dermaßen interessant ist, dass sie mit Dir ins Gespräch kommen und über die verschiedenen Möglichkeiten flexibler Arbeitszeitgestaltung sprechen möchten. Du solltest auch bei dieser Strategie früh Klarheit über Deine Teilzeit-Motivation schaffen – entweder bereits im Anschreiben, spätestens jedoch im Laufe des ersten Gespräches. Und vielleicht sind die Rahmenbedingungen, der Chef und die Kollegen sowie die Aufgabe so super cool, dass Du mit viel Freude Kraft daraus ziehen kannst und sich die aus akuter Schwäche motivierte Teilzeit-Idee erübrigt.

Flexibles Arbeiten ist mehr als ein Teilzeit-Job

Sitzen mir Klientinnen und Klienten im Coaching gegenüber, die von einer 4-Tage-Woche träumen und sich gedanklich auf die Jobsuche „Teilzeit“ fokussieren, finde ich es wichtig, auch über andere Formen flexiblen Arbeitens nachzudenken. Denn oft geht es ihnen gar nicht exakt um diesen einen Tag frei in der Woche, sondern um eine grundsätzlich höhere Flexibilität. „Wenn ich nur zwei Tage pro Woche fest vereinbart aus dem Homeoffice arbeiten könnte, dann würde ich auch wieder einen Vollzeit-Job annehmen“, höre ich ebenso häufig, wie "Wenn ich mir freier selbst meine Arbeitszeiten einteilen könnte, um auch mal spontan morgens später zu beginnen und dafür abends noch zu arbeiten, dann wäre auch wieder ein Vollzeit-Job in Ordnung."

Flexibilität von Arbeitszeit und Arbeitsort ist so viel mehr als nur die Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit. Werde Dir in der Rolle als Jobwechsler•in bewusst, worum es Dir persönlich und in Deiner aktuellen Lebenssituation wirklich geht und welche Arbeitszeit-Modelle für Dich infrage kommen. Denn nur dann kannst Du auch gegenüber potenziellen Arbeitgebern die nötige Klarheit schaffen und ihr könnt konkret gemeinsam über mögliche Ausgestaltungen sprechen. Ja, es wird sicherlich immer noch Arbeitgeber geben, die nicht bereit sind, über solche Rahmenbedingungen mit Dir zu verhandeln. In den letzten Monaten der Krise haben jedoch auch immer mehr Unternehmen die positive Erfahrung gemacht, dass Zusammenarbeit auch abseits von Präsenzkultur und starren Arbeitszeiten vertrauensvoll bestens funktioniert.

Der Arbeitsmarkt wird auf die veränderten Wertevorstellung seiner Arbeitnehmer•innen reagieren und nochmals deutlich angetrieben durch die Krise neue Formen der Zusammenarbeit entwickeln müssen. Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Du darfst und solltest es Dir als Bewerberin oder Bewerber erlauben, Deine Erwartungshaltung einem potenziellen Arbeitgeber gegenüber klar zu kommunizieren. Denn erst dann werden Arbeitgeber erkennen, dass die Option Teilzeit bereits heute auch mehr hoch qualifizierte Kandidaten anspricht, als das frischeste Obst oder das trendigste MacBook. Nur so kann die Teilzeit ihr billiges Aushilfsjob-Image verlieren und zu einer vollwertigen Vollzeit-Alternative werden.

Was sind Deine Erfahrungen auf der Suche nach Teilzeit-Jobs oder kennst Du vielleicht jemanden, der diesen Schritt in letzter Zeit gegangen ist? Ich bin gespannt auf Eure Kommentare ⤵

Viele Grüße

Falls wir hier auf XING nocht nicht vernetzt sind, dann folge mir gerne als Insider oder sende mir eine Kontaktanfrage.

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Weitere Beiträge sowie Informationen zum Karriere-Coaching findest Du auf meiner Homepage: www.bernd-slaghuis.de

Dr. Bernd Slaghuis schreibt über Job & Karriere, berufliche Neurorientierung, Bewerbung

Karriere ist heute mehr als nur "höher, schneller, weiter". Seit 2011 habe ich über 2.000 Angestellte bei ihrem nächsten Schritt im Beruf begleitet. Von der Neuorientierung und Bewerbung bis zum Onboarding. Meine Erfahrungen teile ich hier als XING Insider, auf meinem Blog und als SPIEGEL-Kolumnist.

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